„Erzähl Gusti doch, wie du zu ihm kamst!“ verlangte Tante Abelchen.
„Ja, das ist auch eine mehr als seltsame Geschichte. Er kam wie sonst die Babys, für die er zuständig ist oder doch jahrhundertelang war, durch den Schornstein gefallen. Durch meinen. Schwarz und ruhig stand er in meinem Kamingitter, und ich wußte nicht recht, wie ich ihn begrüßen sollte. Einen Frosch hatte ich nicht zur Hand, um ihm Zappelsalat anzubieten, so verbeugte ich mich nur tief und sagte ‚Herzlich willkommen!‘, da verbeugte er sich auch und hackte mir in die Fußspitze. Ich hopste vor Schmerzen umher, das getroffene hochgezogen und mit beiden Händen haltend.“
„Mach’s vor!“ rief Tante Abelchen, und er stand auf und mimte gehorsam seine damalige Schmerzensreaktion. Wir lachten, daß uns die Tränen kamen.
„Er hat dann lange bei mir gewohnt, wir sind gute Freunde geworden“, erzählte der Hagestolz weiter. „Ich fuhr damals täglich nach frischem Fisch und bot ihm welchen an. Manchmal nahm er ihn, manchmal verweigerte er ihn drei Tage hintereinander, und ich mußte mir ein paar Katzen anschaffen, um den Fisch nicht wegwerfen zu müssen. Mein Haus stank nach Fisch und nach Storch. Störche haben nämlich einen ziemlichen Eigengeruch.“
„Blieb er hier im Wohnraum?“ fragte ich neugierig.
„Ja. Und er wurde so zahm, daß ich ihn schließlich streicheln konnte. Und das war gut, er hatte nämlich ...“, der Hagestolz stockte. Tante Abelchen gab ihm einen aufmunternden Schubs. Los, weiter! hieß das.
„Er hatte – und daran erkannte ich, daß er eine Störchin war – eine typische Frauenkrankheit. Krampfadern, ja. Und die machten ihm – machten ihr – Beschwerden. Da habe ich sie mit einer entsprechenden Salbe massiert, und es hat auch geholfen. Nachdem sie erst tagelang auf einer Stelle stand, begann sie jetzt umherzuspazieren, durch die Durchreiche zu gucken“ – er zeigte dabei auf ein kleines Fenster, das vom Wohnraum aus in die Küche führte und durch das man Tassen, Teller und Schüsseln durchgeben kann –, „und ich konnte ihr von der Küche aus was in den Schnabel stecken, ohne immer herlaufen zu müssen. Schließlich versuchte ich, sie ins Freie zu locken. Ich ließ die Tür auf, und eines Tages spazierte sie draußen auf der Wiese umher und begann, das Gefieder zu schütteln, zu putzen und auch zu klappern. Da merkte ich, daß sie genesen war.“
„Das Storchennest auf der Erde muß ich sehen“, sagte ich begeistert, „und knipsen. Oder haben Sie ...“
„Natürlich habe ich.“ Er stand auf und holte einen Kasten mit Fotos. Sodann bewunderten wir schließlich seine Aufnahmen.
„Da könnte man sich ja mal ein Storchenei stibitzen“, sagte Tante Abelchen versonnen, „wie lange muß man das kochen, eh es weich ist?“
Wie gemein! Aber welche dazulegen, vielleicht Enteneier“, schlug ich vor. Der Hagestolz sah mich an.
„Auf diesen Gedanken sind schon andere Lausejungen gekommen, bei uns daheim“, erzählte er, „da haben sie einen Storch einmal wirklich Enteneier untergelegt. Da kam der Storch, der männliche, der Ehemann also – Störche leben in Einehe, Biber übrigens auch –, mit einer ganzen Anzahl anderer Störche, und sie hackten auf die arme, unschuldige Störchin ein, daß sie fliehen mußte, um am Leben zu bleiben. Die kleinen Störche hat dann der Papa aufgezogen – leicht war das nicht. Nein, solche Witze sollte man nicht machen.“
„Ich meinte ja nur“, murmelte ich beschämt. Und er antwortete tröstend: „Ich glaub’s. Das Nest zeige ich Ihnen nachher. Ja, ja, es gibt nichts, was es nicht gibt.“
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.