»Oma ist krank. Es geht ihr sehr schlecht, und nur deswegen kommt sie nicht. Das weißt du genau.«
»Warum holst du sie dann nicht ab und bringst sie mit?«
Annemette ließ die Frage im Raum stehen.
»Ich hab mich doch damals richtig entschieden, oder? Sonst würdest du heute nicht Geburtstag feiern.«
»Und das wäre besser gewesen. Alles wäre besser gewesen als das hier!« »So was darfst du nicht sagen, Schätzchen.«
Der Puls stieg und das Zwerchfell krampfte sich zusammen. Hätte sie das Frühstück besser nicht ausfallen lassen sollen?
»Gibt es zur Feier des Tages nicht ein bisschen Kaffee und Kuchen?«
Sie versuchte die Gereiztheit in ihrer Stimme zu verbergen.
»Sie geben heute Abend eine Feier für mich. Kommst du?« Kit sah sie bittend an.
»Du weißt genau, ich kann nicht.« Sie nahm ihre Hände, die schlaff auf dem Tisch lagen. »Ich muss doch arbeiten.«
Kit riss ihre Hand an sich und sah sie wütend an, bis sie plötzlich die andere Hand losließ. »Du hättest mich sterben lassen sollen, dann hättest du nicht so viel arbeiten müssen. Dann hätte der Bürojob ausgereicht. Dann hättest du kommen können.«
»Ja, aber dann wärst du nicht hier gewesen und es hätte keine Feier gegeben.« Sie lächelte und versuchte neckend zu klingen. Manchmal reichte das. »Aber dann kannst du heute Abend deinen schicken Pullover anziehen. Das wird bestimmt schön mit all deinen Freunden.« »Freunde! Nennst du das Freunde? Wo sind meine Freunde jetzt? Verrat mir das mal!«
»Schätzchen, du verstehst doch bestimmt, dass sie ...« Sie stockte, als ihr aufging, dass der Satz katastrophal missverstanden werden würde. Sie stand auf und begann, den Mantel anzuziehen. Kits Blick folgte jeder ihrer Bewegungen. Es tat im Innersten weh und sie freute sich beschämt darauf, wieder draußen im Sonnenschein zu stehen und die reine Luft einzuatmen. Draußen in einer anderen Welt. Ihrer eigenen.
»Rufst du morgen an und fragst, wie die Feier war?« Es kam eine Bewegung über Kits Lippen, die zur Feier des Tages einen Hauch schimmernden Lipgloss verpasst bekommen hatten.
Annemette deutete das als ein Lächeln und atmete erleichtert auf. »Natürlich. Hab einen schönen Abend und freu dich darüber, zwanzig zu werden. Das ist das beste Alter im Leben.« Vielleicht war das unangebracht – geradezu böse, aber jetzt war es gesagt.
»Ja, das Alter, in dem man sich amüsiert und sein Leben lebt.« Dieses Mal lächelte sie, aber es war ein ironisches und bitteres Lächeln. »Darf ich dir winken?«
»Natürlich darfst du das. Ich muss dann mal.«
Sie ging um Kit herum und schob den Rollstuhl ans Fenster.
Als sie vom Parkplatz aus zum Fenster schaute und zurückwinkte, dachte sie, dass Kit der größte Fehler war, den sie je begangen hatte.
In der Klosterstraße öffnete niemand, daher gingen sie davon aus, dass Sebastian Juhl noch bei der Arbeit war.
Die Autowerkstatt lag versteckt in einem Hinterhof. Wäre das Schild Ole Hanssons Autowerkstatt an der Tür nicht so markant, hätten sie sie nie gefunden. Und markant war das Schild mit kräftigen roten, gelben und blauen Farben – nicht weiter schön, was Mikkel Jensen zu einer Grimasse veranlasste, als er es sah. »Es ist bestimmt hier«, kommentierte er trocken, fuhr über den Bürgersteig hinein und parkte.
Die Werkstatt war ein niedriges Gebäude, das mehr an einen Hühnerstall als an eine Werkstatt erinnerte. Wenn man von den verrotteten Autos absah, die dahinter geparkt waren, hätte es ohne Weiteres Hühner beherbergen können. Aber der Mann, der sofort heraus ins Sonnenlicht kam, war ohne Zweifel Mechaniker und kein Geflügelzüchter. Er war saudreckig und trocknete die Ölfinger an einem Stück farbiger Putzwolle ab, während er sie mit schmalen Augen in einem fetten, unrasierten Gesicht abschätzig musterte. Seine Haare waren nach vorne gekämmt, um eine beginnende Glatze zu verstecken.
»Kriminalpolizei«, erklärte Roland und zeigte ihm seine Dienstmarke. »Wir würden gerne mit Sebastian Juhl sprechen.«
»Ole Hansson«, stellte sich der Mechaniker vor, wodurch ihnen schnell klar wurde, dass sie mit dem Eigentümer persönlich sprachen.
»Sebastian hat heute frei«, ergänzte er ohne ein besonderes Interesse, worüber die Polizei mit einem seiner Angestellten sprechen wollte.
»Weiß jemand, wo er ist? Bei ihm zu Hause war keiner«, fragte Roland ihn aus.
»Woher soll ich das wissen? Was meine Leute in ihrer Freizeit machen, geht mich nichts an.« Ole Hansson fuhr fort, seine Finger an der Putzwolle zu trocknen und Kaugummi zu kauen. Sie hielten sich wohl auch an das Rauchverbot, war Rolands erster Gedanke, bis er die Glut einer Zigarette in der dunklen Werkstatt erblickte. Rauchen war im Präsidium verboten, aber anscheinend nicht hier im Benzin- und Öldunst.
»Dürfen wir uns ein wenig umsehen?«, fragte er, und war höflicher als Mikkel Jensen, der schon auf dem Weg in die Werkstatt war.
»Worum geht’s?«, wollte Hansson schließlich wissen.
»Wie lange arbeitet Sebastian hier schon?«
»Es müssten jetzt ungefähr sechs Jahre sein, glaube ich. Er hat hier seine Lehre gemacht. Sobald er fertig ausgebildet war, hat er eine Stelle in der Werkstatt bekommen. Sebastian ist ein tüchtiger Mechaniker.« Ole Hansson sah ihn skeptisch an, während er ihm in die Werkstatt folgte, die nur von den Arbeitslampen erhellt wurde. Es gab keine Fenster und es roch nach Benzin. Alles wirkte schmutzig. In der Ecke waren Autoreifen aufgestapelt und überall lagen gebrauchte Motoren herum. An einer Wand hing ein ölfleckiges Bild eines Pin-up-Girls. In der Werkstatt waren zwei Mechaniker in ihre Arbeit vertieft. Der eine hantierte in der Schmiergrube unter einem verhältnismäßig neuen Fiat, der andere kümmerte sich um den Unterboden eines verrosteten weißen Lieferwagens, der auf einer Hebebühne aufgebockt war. Er war derjenige, der eine angezündete Zigarette zwischen den fülligen Lippen unter einem schwarzen Schnurrbart hängen hatte. Er schmiss sie schnell auf den Boden und trat die Glut aus, als er die beiden Fremden in schicker Kleidung erspähte. Sie könnten ja von der Gewerbeaufsicht sein. Er nahm seine Arbeit wieder auf und schaute sie nicht mehr an.
»Weiß einer von euch, ob Sebastian heute was vorhat?«, rief Ole Hansson. Aus dem Autograben wurde etwas Verneinendes gemurmelt und der an der Hebebühne zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. »Können wir uns kurz unterhalten?« Roland machte eine Kopfbewegung in Richtung eines abgeschlossenen Raums mit dreckigen Glasscheiben zur Werkstatt hin, in dem er das Büro vermutete. Undeutlich konnte er darin eine Kaffeemaschine und einen neueren Flachbildschirm ausmachen.
Ole Hansson nickte und öffnete die Tür zum Büro. Auch hier roch es nach Benzin. Roland spürte einen beginnenden Kopfschmerz. Mikkel blieb in der Werkstatt und beobachtete die Arbeit am Unterboden. Er bastelte in seiner Freizeit selbst an alten Autos, deswegen würden sie wohl hauptsächlich darüber reden.
»Wissen Sie etwas über Sebastians Familie?«, fragte Roland und lehnte dankend den ihm angebotenen Kaffee ab. Er konnte riechen, dass er lange in der Kaffeemaschine gestanden hatte. Ole Hansson schenkte sich etwas davon in einen großen, ölverschmierten Becher ein und trank einen Schluck.
»Nicht viel. Er redet nicht darüber. Aber was sollen die ganzen Fragen? Hat Sebastian was ausgefressen?«
»Nicht soweit wir wissen. Es geht um seine Mutter.«
Ole Hansson schüttelte mit einem besserwisserischen Lächeln den Kopf. »Soviel ich weiß, ist seine Mutter verschwunden, als er noch ziemlich klein war. Armer Junge. Sicher, dass ihr nach dem Richtigen sucht?«
Roland nickte langsam. Er war sich nun noch sicherer als vorher. »Was hat er sonst noch über seine Eltern erzählt? Wissen Sie beispielsweise, was seine Mutter gemacht hat?«
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