Barbra Ring
Eingeleitet von
Franz Karl Gingkey
Lust
Die Jungfrau Übersetzt von Julia Koppel Originaltitel Jomfruen Copyright © 1917, 2019 Barbra Ring und LUST All rights reserved ISBN: 9788711503942
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
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Ein angesehener Kritiker in ihrer Heimat hat Barbra Ring die Repräsentantin des Seelenadels im demokratischen Norwegen genannt. Die Formel ist gut, wenn sie auch nur einen Teil ihres Wesens umreisst, denn es geht in der Kunst nicht allein um den Charakter oder die Gesinnung, so nötig sie auch sein mögen. Man müsste hinzusetzen: sie ist auch ein ganzer Mensch, ein leidenschaftlicher Künstler und ein unverdrossener Kämpfer.
Um zuerst das Äussere vorwegzunehmen: sie ist in der kleinen Stadt Drammen in Norwegen geboren. Herangewachsen ist sie auf dem Gute Stabbäkk in Bärum, wo ihre Väter schon seit Generationen erbsässig waren, Offiziere, Juristen, Geistliche, die sich alle, was in Norwegen nichts Seltenes ist, nebstbei auch der Landwirtschaft, der Pflege der eigenen Scholle, widmeten. Auch Barbra Ring besass durch einige Jahre einen kleinen Hof, den sie bewirtschaftete. Das erklärt das Urwüchsige, das heimatlich Wissende ihrer Naturbetrachtung, ihre Gestalten schweben nicht aus blauer Dichterluft zu uns herab, sie steigen aus der Erde hervor und klammern sich daran fest, der Sturm des Schicksals kann sie wohl beugen, aber nicht entwurzeln.
Ihr Vater, Jurist von Beruf, war ziveifellos ein Original. Sein Steckenpferd waren Weltgeschichte und die Klassiker der Alten. Der Unterricht in der Töchterschule genügte ihm nicht für sein Kind. Mit zehn Jahren schon kannte Barbra Homer und Ovid, auch dessen für junge Mädchen etwas schwierige ,Metamorphosen‘, und das erste ,Märchenbuch‘, worin sie las, war, wie sie selbst berichtet, die Geschichte von Norwegen, Schweden und Dänemark in fünf grossen Bändert. So wurde, nebst der Heimatliebe, ein weiterer Anker für die Seele gelegt, über das Ich hinaus in das Glück und Leid der Völker und Zeiten, ins Ausserpersönliche.
Hin und wieder dichtete Barbra ein wenig, nämlich zu Vaters Geburtstag, weil er es so wünschte. Dann malte sie auch oder tanzte, wie es bei jungen Damen eben üblich ist und dann tanzte sie sich plötzlich, erst achtzehnjährig, in die Ehe mit einem älteren achtbaren Herrn hinein. Das tat aber auf die Dauer nicht gut, die Ehe wurde geschieden und die junge Frau, tun Mutter eines kleinen Mädchens (sie ist jetzt eine beliebte und gefeierte Schauspielerin im Nationaltheater in Oslo), nahm nun ihr Schicksal selbst in die Hand. Der dritte Anker wurde geworfen, der einer tapferen Lebenszuversicht und er hielt so gut wie die übrigen. Barbra Ring wurde Archivar und Bibliothekar eines öffentlichen Intstitutes. Und dann begann sie plötzlich zu schreiben. Sie schrieb zuerst für ihre Tochter ihre Kindheitserinnerungen nieder, ohne vorerst an eine Veröffentlichung zu denken. Man letzte ihr aber nahe, es doch zu tun. Es ist vergnüglich an sich und überaus bezeichnend für die Dichterin, dass der würdige Verleger, dem sie das Buch, ,Babbens Tagebuch‘ hiess es, in Demut vorlegte, nicht recht wusste, ob das nun eine Kindergeschichte sei oder ein Buch für Erwachsene. Die Wahrheit lag wohl in der Mitte, wie bei jedem guten Kinderbuch. Der Erfolg war sehr gross und da schrieb sie nun vorerst Jugendbuch auf Jugendbuch, und warf damit einen neuen Anker für die Seele aus, den ins geistig Mütterliche. Wir verspüren ihn auch in all den schönen und starken Werken, die sie später für die Erwachsenen schrieb. So wurde sie allmählig die beliebteste Jugendschriftstellerin Norwegens, aber das konnte sie auf die Dauer nicht ganz erfüllen, ihre durchaus künstlerische Natur verlangte ein Weiteres, das rückhaltlose Bekenntnis zu sich selbst im Spiegel eines Weltbildes.
Und so entstand ihr erster Roman ,Die Jungfrau‘, der 1914 zuerst im Buchhandel erschien, ein leidenschaftliches, von allen Morgenröten und frischen Brisen eines hochbegabten Erstlings umwehtes Buch, ein Werk soll jugendlicher Kraft und Freude der Selbfterfüllung. Ein massgebender Kritiker Norwegens hat, als das Buch erschien, mit guter Berechtigung auf die Ähnlichkeit dieser Schilderungen mit dem Wesen der modernen Malerei hingewiesen; grelle Farben flammen auf, Übergänge werden oft gewaltsam übersprungen, Schattentiefen aufgerissen, Temperament scheint wichtiger als Ausgeglichenheit. Wer junge Kraft liebt und ihre Berauschtheit ansich selbst, muss auch dieses Buch lieben. Scheinbar wird im Flackern der Liebesflammen nur das Erotische aufgezeigt. Es erweist sich aber, dass, wie überall, eben dieses Erotische die schaffende Kraft des Lebens überhaupt ist, und das alte Norwegen, sein Boden, seine Gebräuche, seine innerste Wesenheit steigen langsam als Hintergrund dieser wabernden Lohe höchst lebendig auf und vollenden das Seelenbild zu einem Kulturbild.
Barbra Ring mag noch bessere oder für die Forderungen ihres Landes wichtigere Bücher geschrieben haben, als ihre ,Jungfrau‘, aber keines mit stärkerem Temperament. Sie hat dann, nebst ihrer journalistischen Tätigkeit, Roman auf Roman veröffentlicht und jeder behandelte eine Schicksals- oder Gewissensfrage der heutigen Gesellschaft. Ihr zweiter Roman zum Beispiel ,Ehe die Kälte kommt‘, behandelt die moderne Tragödie einer geistig hochstehenden Frau, die die Geliebte eines verheirateten Mannes ist. Das Buch erregte grosses Aufsehen, es fand viel Beifall und viel Widerspruch, wie immer, wenn eine Wunde der Gesellschaft blossgelegt wird, für die es kein Universalheilmittel gibt. Das nächste Werk wieder, ,Unter Segel‘, beleuchtet anderseits die Rechte der Gattin, der Geliebten gegenüber. Hier zeigt sich ein wesentlicher Zug der Barbra Ring, sie kämpft für Freiheit, aber auch für Gerechtigkeit, was ja ein hervorragender Grundzug ihres ganzen Volkes ist. Sie erblickt bei jeder Seite des Lebens auch die Kehrseite, das lässt sie wissend und gütig zugleich sein. Zu ihrer Eigenheit gehört auch, dass sie in manchem ihrer Romane den Mut hat, im Auftakt bereits den Inhalt vorauszusagen, oder ihn wenigstens, ahnen zu lassen, eine Kraftprobe, die sich nur der Berufene leisten kann. Sie holt weit aus, sie baut auch im kleinen fest, eine gute Hausfrau der Gedanken. Der Reiz ihrer Dichtungen gipfelt überhaupt in der Tatsache, dass sie als Schriftstellerin nichts als Weib sein will, hier aber auch über alle Waffen und gottgewollten Listen eines echten, gesunden Weibtums verfügt. Ausflüge ins geistige Männerland liegen ihr nicht, sie empfindet sie als unorganisch und wesensfremd. Der Aufbau ihrer Erzählungen ist mit grosser Kunst gefügt, es formt sich alles aus der Sicherheit ihres Wesens heraus. Sie hat es niemals eilig, auch wenn es um Spannung geht, es stellt sich alles schon im rechten Augenblick ein, weil eben alles organisch in ihr selbst entsteht, als Deutung des Lebens, als des Daseins weiserer Bruder.
Sie hat auch Bücher geschrieben, in denen das Kulturgeschichtliche vorwiegt, wie in ,Der Kreis‘ oder ,Die Schwestern‘. Dann sind es wieder gewagte Gesellschaftsprobleme, und ihre kritische Betrachtung, um die es geht. Nicht selten taucht auch ein stiller wissender Humor auf; es ist kein gewaltsam gerufener, es ist jener, der in der Welt gebunden ruht und nur gehoben zu werden braucht, als ein Teil des Weltbildes, seiner Harmonie und tieferen Begründung. Als den besten Sieg ihres Schaffens verspüren wir aber immer jene letzte Weisheit des Herzens: dass das Glück des Lebens nicht im Nehmen liegt, sondern im Geben.
In der Literatur ihrer Heimat nimmt Barbra Ring eine Sonderstellung ein. Sie ist kein ruhiges Licht an der Küste des Daseins, das unverrückbar leuchtet. Ihr Element ist funkelnde Beweglichkeit, die Vielfältigkeit eines europäisch eingestellten Geistes, dem der Widerspruch gegen alles in Formeln Versteinte tief im Blute liegt. Vielleicht ist es nicht ohne prickelnde Beziehung, dass alle ihre Urgrossmütter im Jahre der französischen Revolution zur Welt kamen. Aber umstürzlerische Naturen wie diese kann man sich wohl gefallen lassen, denn der Urgrund ihres Wesens ist immer, im Rahmen einer allseitigen Bildung, eine reiche mütterliche Güte, die im letzten doch immer erfreuen und beschenken will. Auf ihrem Lebensschilde steht längst die Formel der im Herzen Ausgereiften eingeprägt: sich selbst zu geben und möglichst wenig für sich zu verlangen.
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