„Sie haben recht,“ sagt Helle nachdenklich. „Auch vor dem Überfall kam es mir schon vor, als ob er mich auszuhorchen versuchte. Aber trotzdem: Ich bin ihm zu Dank verpflichtet. Ohne ihn wäre ich jetzt noch in der Gewalt der Banditen.“
Der Japaner machte eine kleine Verbeugung. „Ich bin ganz Ihrer Ansicht. Die letzte Entscheidung trifft General Doihara, aber ich glaube Ihnen jetzt schon versichern zu können, daß von unserer Seite aus Ihrer Weiterreise nichts im Wege steht. Aber — ganz außerdienstlich möchte ich Ihnen zu bedenken geben: Wollen Sie wirklich nach dieser bösen Erfahrung Ihre Reise nach Irkutsk fortsetzen? In Begleitung dieses Herrn Gentzer?“
„Wenn ich an Ihrer Stelle wäre,“ fährt der Japaner fort, als Helle betroffen schweigt, „so würde ich den Plan vorläufig fallen lassen. Ihr Herr Bruder ist noch in Tokio, nicht wahr? Da würde ich an Ihrer Stelle von hier aus erst mal nach Tokio zurückkehren. Setzen Sie sich von dort aus doch mit Ihrem Bräutigam brieflich in Verbindung. Vielleicht können Sie ihn veranlassen, Ihnen entgegenzureisen, Sie in Wladiwostok in Empfang zu nehmen.“
Helle sieht schweigend vor sich hin. Was der Japaner da sagt, ist nicht schlecht. Einen Herzschlag lang hat sie sogar das Gefühl, als böte ihr hier das Schicksal noch einmal warnend die Hand. Aber dann überwiegt in ihr wieder der Trotz. Was werden Heinz und die „Jungs“ in Tokio für Gesichter machen, wenn sie jetzt zurückkehrt! Vorwürfe wird es regnen, Klagen, Spott. Wir haben dich ja gleich gewarnt! Warum bist du so bockig! Und dann — wie lange wird es dann dauern, bis sie die Verbindung mit Irkutsk aufgenommen hat! Am Ende wird gar Kola selber ihr besorgt abraten von der Reise, und sie kann unverrichteter Sache mit Heinz nach Berlin zurückfahren. Jetzt, wo sie nur ein paar Tagereisen vom Ziel steht.
„Ich danke Ihnen, Herr Hauptmann!“ sagt Helle, entschlossen den Kopf hebend. „Ich möchte trotzdem meine Reise fortsetzen!“
„Wie Sie wünschen! Ich werde dem Herrn General Vortrag halten.“
Helle sitzt allein in dem Büro und starrt auf die Tür, hinter der der Offizier verschwunden ist. Der Name „General Doihara“ ist ihr kein Begriff. Sie entsinnt sich zwar dunkel, diesen Namen schon einmal irgendwo in einer Zeitung gelesen zu haben, aber sie weiß nicht, daß hinter der Tür dort der Mann sitzt, der die Politik Japans in Manchukuo und Korea lenkt, der Mann, bei dem alle Fäden des großen, weitverzweigten Spiels zusammenlaufen: General Doihara.
Sporenklirrend kommt der kleine gelbe Hauptmann zurück. Sein Gesicht strahlt vor Freundlichkeit.
„General Doihara läßt Ihnen gute Reise wünschen, meine Dame! Sie können noch heute abend die Fahrt fortsetzen. Ja, und was ich noch sagen wollte: Sie reisen nach Rußland. Darf ich voraussetzen, daß Sie — als Deutsche — mehr Sympathie haben für mein Vaterland als für die Sowjetunion?“
„Das dürfen Sie!“ sagt Helle ehrlich. „Ich bin Ihnen für Ihre Liebenswürdigkeit sehr dankbar, Herr Hauptmann!“
„Vortrefflich! Dann bestünde vielleicht die Möglichkeit einer — hm! — Zusammenarbeit?“
„Wie soll ich das verstehen?“
„Oh, ich wünsche nichts Gefährliches oder gar Schlechtes von Ihnen, meine Dame. Aber Sie reisen nach Irkutsk. Sie werden vielleicht die Möglichkeit haben, dies und jenes von den Kriegsvorbereitungen der fernöstlichen Armee zu sehen. Vielleicht erfahren Sie auch durch Herrn Gentzer allerlei Interessantes. Für uns ist jede Kleinigkeit wichtig. Sie würden meinem Vaterland und mir einen ausgezeichneten Dienst leisten, wenn Sie auf der Rückreise mich hier wieder aufsuchen und Ihre Eindrücke aus Sibirien schildern wollten.“
Helle steht auf. Um ihren Mund liegt ein unmutiger Zug.
„Bedaure! Ich habe nicht die Absicht, Spionage zu treiben. Weder für Rußland noch für Japan oder sonst jemand. Ich will zu meinem Verlobten — weiter nichts!“
„Glückliche Reise!“ Der Japaner macht eine auffallend tiefe Verbeugung. Als er sich wieder aufrichtet, ist sein Lächeln herzlicher und aufrichtiger als vorhin. „Ich beglückwünsche Sie zu diesem Entschluß! Hätten Sie meinen Vorschlag angenommen, so wäre ich genötigt gewesen, die Ausreiseerlaubnis zu widerrufen!“
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