Er selbst war ein Mittdreißiger, als er die sogenannte Madame de Taisévouze kennenlernte, die noch nicht dreißig war.
Innerhalb des Gesellschaftslebens betrachtete man ihn ängstlich und mißtrauisch als einen Clown, der aus irgendeinem ungewissen Grund für gefährlich gehalten wurde, obgleich er – darin waren sich alle einig – völlig harmlos war. Sein Verhältnis zu den Hunden begriff man als unnatürlich, als krankhafte Neigung, der er sein elendes Schicksal verdankte. Madame de Taisévouze sah seine Einsamkeit und wurde von ihm angezogen wie von einem Magneten. Sie war zu klug, um zu glauben, sie könne sie durchdringen. Er lehrte sie, daß diese Einsamkeit keine Grundlage für eine besondere Trauer oder Bitterkeit liefere. Er sagte: Sie ist verwandt mit dem Tod, um den niemand herumkommt.
Als sein Vermögen aufgebraucht war, ließ er sich von ihr aushalten und war dadurch imstande, seinen Umgang mit den Pariser Saufbrüdern und seine Besuche in den Hurenhäusern der Stadt fortzusetzen.
Sie wunderte sich und fragte: Bin ich nicht genug für dich?
Ach, antwortete er, du bist mehr als genug, aber ich hege einen unglückseligen Hang dazu, mich zu verderben und die Welt von der Unterseite der Verderbnis her zu erfahren. Meine Erfahrungen haben mich, ehrlich gesagt, zu den seltsamsten Schlüssen geführt. Denn wenn ich mich in euren Salons bewege, fühle ich mich nun von einer so abgrundtiefen und übelriechenden Verderbnis umgeben, daß ich mich schleunigst durch einen Besuch in den berüchtigtsten Schweineställen dieser Stadt reinigen muß. Nimm es mir nicht übel und verurteile mich vor allem nicht zu sehr: Ich leide an einer Augenkrankheit, und dein liebes Gesicht ist fast das einzige, dessen Anblick ich länger als fünf Minuten ertragen kann. Und was soll ich tun, wenn ich es nicht vor Augen habe? Außerdem habe ich mir verschiedene Gedanken über die Kette, wie ich sie nenne, gemacht: Ihre Glieder bestehen aus Geld, greifen ineinander und lassen sich nie brechen. Die Freiheit, die du in dem Verhältnis zu deinem Mann, dem guten Marquis, genießt, die bezahlst du von Zeit zu Zeit damit, daß du ihn in deinem Schlafzimmer empfängst und ihm deine Beine breitmachst. Die Leistungen, die ich von dir erhalte, bezahle ich wiederum mit Gegenleistungen verschiedener Art. Doch sollte die Kette hier aufhören? Nein, sage ich und gehe zu der kleinen Louise Derval, und zu ihr sage ich akkurat dasselbe wie dein Mann zu dir. Ich will kaufen, hast du etwas zu verkaufen? Und dann kaufe ich zehn Minuten oder eine Stunde oder eine Nacht, je nachdem, wieviel Geld ich habe.
Madame de Taisévouze war blaß geworden.
Sie erwiderte: Die Wahrheit dessen, was du sagst, hat mich getroffen. Aber dann ist es doch überhaupt nicht mehr möglich, jemanden zu lieben, wenn es sich so verhält.
Ich schließe entgegengesetzt, antwortete Stéphane. Wehe dem, der niemanden liebt, wenn es sich so verhält.
Kurze Zeit nach diesem Gespräch beging Madame de Taisévouze die größte Dummheit ihres Lebens. Sie weihte ihren Mann in Stéphane de Crânes Gedanken ein. Was den Marquis amüsiert hätte, hätte er es in einem Buch gelesen oder als einen geistreichen und witzigen Beitrag zu einer Konversation gehört, das stimmte ihn nun nachdenklich, und in seinem Herzen begann er Stéphane de Crâne zu hassen. Als er eines Abends die Marquise in ihrem Schlafzimmer aufsuchte, widerfuhr ihm ein unangenehmes Erlebnis. Sie lag im Bett und sah wie immer verführerisch aus, doch als er sich ihr näherte, fiel ihm die unzüchtige Zirkulation des Geldes in dieser Welt ein. Der Gedanke wirkte störend auf die erwartete Blutstauung, er versuchte ihn zu verdrängen, indem er seine Aufmerksamkeit auf die Brüste konzentrierte, deren schwellende Formen gegen das Nachthemd spannten. Doch es kam ihm vor, als sei jede der Brustwarzen, die als dunkler Schatten hinter dem durchsichtigen Stoff zu sehen waren, eine Münze. Er fühlte seine Geschlechtsorgane schrumpfen, als seien sie von einem Fluch getroffen worden, und nachdem er eine Entschuldigung hervorgestammelt hatte, verneigte er sich leicht und entfloh. Als er mit sich allein war, unterzog er sich einer Untersuchung, die nur bestätigte, was er gefühlt hatte, und ihm seine eigene Ohnmacht nur noch bewußter machte. Er rief nach seinem Kammerdiener, der ihn auf der Bettkante sitzend fand, aschgrau im Gesicht.
Rodrigue, sagte der Marquis, mir ist etwas Fürchterliches zugestoßen. Meine Manneskraft verließ mich just in dem Augenblick, als ich das Bett der Marquise besteigen wollte. Ich bin verloren! Was ist geschehen? Was soll ich tun? Hilf mir!
Das ist nicht so gefährlich, antwortete Rodrigue kaltblütig. In uns wohnt eine Person, deren Namen wir nicht kennen. Außerdem trägt sie eine Maske! Sie kann launisch und unberechenbar sein, und sie hat Gewalt, zwar nicht über unsere Lüste, aber doch über das Organ, mit dem wir sie befriedigen. Dann müssen wir erst herausbekommen, wie wir diese Person wieder begütigen. Schlimmer ist das alles nicht. Wenn mich der Herr Marquis mal nachsehen lassen würde?
Der Marquis lehnte sich zurück und hob das Nachthemd an. Rodrigue setzte sich auf den Bettrand.
Wollen doch mal sehen, wie schlimm es ist, murmelte er.
Es gelang Rodrigue ohne größere Schwierigkeit, dem Marquis zu beweisen, daß die Angelegenheit in Wirklichkeit gar nicht so schlimm war.
Und nun, sagte er, während er sich in einer Wasserschüssel die Hände wusch, gilt es herauszubekommen, wodurch der Herr Marquis die Maskenfigur, von der ich sprach, beleidigt hat. Ich habe da so meine Vermutungen.
Das nun folgende Gespräch machte deutlich, daß die Kalamität, die die Maske den Marquis strafen ließ, Stéphane de Crânes bloße Existenz war.
Sein Verschwinden wäre mit anderen Worten das höchste Glück, das mir widerfahren könnte? fragte der Marquis.
Parfaitement , antwortete Rodrigue, dann könnten der Herr Marquis die Marquise ungestört genießen. Und, fügte er hinzu, die finanzielle Transaktion, die in die Verbindung, wie in jede Verbindung dieser Art, einfließt, wird zweifellos weitaus gesünder sein, wenn Stéphane de Crâne, der notorisch wahnsinnig ist und von dem es heißt, er führe lange Gespräche mit seinen Hunden, wenn er des Nachts stundenlang mit ihnen in den Straßen von Paris herumläuft, nicht einer der Kontrahenten ist.
In diesem Augenblick spürte der Marquis entsetzt, daß er die Gewalt über seine Maske an seinen Kammerdiener abgetreten hatte.
Was sollen wir denn tun? fragte er mit schwacher Stimme.
Etwa eine Woche später wurde Stéphane de Crâne von zwei Männern angegriffen, während er mitten in der Nacht, in ein Gespräch mit seinen beiden Hunden vertieft, durch die Rue de l’Echaudé spazierte. Anfangs sagten sie nichts, sondern schlossen bloß auf, der eine schräg vor ihm, der andere schräg hinter ihm. Er konnte ihre Gesichter nicht sehen, die unter großen Schlapphüten versteckt waren.
Aladdin jaulte: Die giftigen Gedanken dieser Männer sind so voller Angst und Bosheit, daß sie selbst fast daran ersticken.
Nureddin knurrte: Paß an der nächsten Straßenecke auf!
Doch an der nächsten Straßenecke geschah nichts Ernsthaftes: Nur wurde Stéphane de Crâne, der nach rechts abbiegen wollte, von den beiden Fremden daran gehindert und gezwungen, geradeaus weiterzugehen.
Während sie weitergingen, sprach er leise mit seinen beiden Hunden. Sie näherten sich der Seine, und alle drei Männer verlangsamten unwillkürlich ihre Schritte. Die beiden Männer, die gekauft worden waren, Stéphane de Crâne zu töten, begannen ihre Vorbereitungen zu treffen. An einem dunklen Abend auf der Straße einen Menschen zu erschlagen ist gar nicht so ganz einfach, wenn man sicher sein will, daß es ordentlich gemacht wird. Am Kai angelangt, blieben sie stehen. Stéphane zitterte am ganzen Körper. Die enorme Faust, die schon lange sein schmächtiges linkes Handgelenk in eiserner Umklammerung hielt, hatte jeden Gedanken an Widerstand, geschweige denn Flucht, unmöglich gemacht. Der andere der beiden stand halb abgewandt und befühlte ein letztes Mal die lange, spitze und scharfe Messerklinge. Er befürchtete trotzdem, nicht tief genug eindringen zu können und vor allem, falsch zu treffen, solange der Delinquent den weiten Umhang trug, der seinen Oberkörper verhüllte. Nuschelnd brachte er seine Wünsche vor, aber es dauerte etwas, bevor Stéphane erfaßte, worum er bat.
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