»Hast du Sawyer vorm Abdrücken erkannt?«
Fox schaute weiter geradeaus auf die Straße. »Er geriet in meine Schusslinie.«
»Aber ist dir klar gewesen, dass er es war?«
»Ja, ist es.« Seine Finger auf der ledernen Armlehne verkrampften. »Er hat meine Frau gevögelt.«
Snow bremste, als sie die Vorstadt von Shoreham erreichten. »Also hast du den Job nicht bekommen, oder?«
»Was?« Fox lachte auf. »Nein, hab ich nicht.« Er zeigte nach vorne. »Nimm die nächste rechts; am Supermarkt dürfte ein Parkplatz frei sein.«
Snow nahm die Abbiegung und hatte innerhalb einer Minute eine Lücke gefunden.
»Jetzt sag, wo verdienst du dein Geld?« Fox fiel mit der Tür ins Haus.
»Beim MI6.« Snow hatte keinen Grund, die Wahrheit zu verbergen.
Paddy nickte einsichtig. »Als hätte ich es geahnt.« Er klopfte mit einer Hand aufs Armaturenbrett. »Hat der MGs unter der Haube und drehbare Wechselkennzeichen?«
»Nein, aber einen Schleudersitz, besonders für Beifahrer schottischer Gesinnung.«
Fox zeigte ihm im Gegenzug einen Mittelfinger, als sie ausstiegen.
Snow ging hinter ihm her über den Parkplatz zur schmalen Hauptstraße. Keiner von ihnen sprach weiter, bis sie im Pub eingetroffen waren und je ein Pint vor sich stehen hatten. Wie immer war niemand im The Crown & Anchor, außer Burt und Dave. Ersterer zeigte auf die Zeitung in seiner Hand und gab dem Helden gestisch zu verstehen, dass er ihn für einen solchen hielt.
»Also, wie kann ich dir helfen?« Fox hatte keine Ahnung, was sein alter Waffenbruder im Auftrag des SIS in Erfahrung bringen sollte.
»Hab gehört, dir wurde eine Stelle als Leibwächter angeboten, richtig?«
Fox bestätigte. »So ist es.«
»Ich finde, du solltest sie annehmen.« Snow schlürfte von seinem Lager.
»Du meinst wohl, MI6 findet, ich sollte sie annehmen.«
»Oder so, ja.« Patchem hatte von Anfang an gewusst, dass die beiden einander als Soldaten begegnet waren, und Snow deshalb für diese Annäherung ausgesucht.
Fox trank sein Glas leer. »Vom Trainieren bekomme ich einen Riesendurst. Du musst mich zu meinem Glück zwingen.«
Snow begriff, was er damit andeutete, und bestellte noch ein Pale Ale für ihn sowie eine Cola light für sich selbst.
»Bist du zum Weichei geworden, oder was? Wo ist deines?«
»Ich muss fahren.«
»Musst du nicht. Ich sagte, du musst mich zu meinem Glück zwingen, also lass dir auch ein Bier bringen. Kannst heute bei mir übernachten.«
Snow kehrte zum Tresen zurück; er hätte sich eigentlich nicht zweimal auffordern lassen müssen. Als er wieder zum Tisch kam, stellte er außer seinem Pint zwei doppelte Whiskeys ab. »Wenn wir schon trinken, dann richtig.«
Fox hob das Spirituosenglas hoch. »Runter damit, es werden keine Gefangenen gemacht!«
»Damit kennst du dich ja aus.«
Er kniff die Augen zusammen. Kaum jemand anderem hätte er das durchgehen lassen. Die beiden stürzten ihren Whiskey hinunter. Dave schaute von seiner Zeitung auf, sagte aber nichts. Fox trank einen Schluck Bier. »Und was hast du während der letzten zehn und mehr Jährchen so gemacht?«
Snow gab seine eigene Geschichte wieder: Wie er nach seiner Tätigkeit beim »Det« zunächst zum Regiment zurückgekehrt war, um dem ukrainischen SBU zu assistieren, dann eine Schussverletzung erlitten und sich schließlich MI6 angedient hatte.
Fox stieß einen Pfiff aus. »Und ich? Nach der Zeit beim Regiment arbeitete ich sechs Jahre lang für einen Haufen Napfsülzen, wurde vor die Tür gesetzt und musste dann – fast hätte ich's vergessen – drei böse Jungs umlegen, um eine Prinzessin zu retten.«
Weder das eine noch das andere taugte zum herkömmlichen Plausch der Marke »Wiedersehen macht Freude«, doch andererseits konnten sie einander auch nicht als herkömmliche Kollegen ansehen. Trotz des Altersunterschieds zwischen ihnen hatten sie beim SAS zusammengearbeitet und dem Tod gemeinsam ins Auge geblickt. Snow erinnerte sich an jene Nacht in Armagh, als Jimmy McKracken, das damals neuste und seinem Ruf zufolge härteste Mitglied der IRA, sie aus dem Graben gezogen hatte. Fox, dessen Spitzname »Paddy« auf seinen irischstämmigen Vater zurückging, war mit der Weisung, sich als Angehöriger einer anderen Terrorzelle auszugeben, vor Ort als Trumpf eingesetzt worden. Er hatte Snow ordentlich vermöbelt, um seinem Spiel Glaubwürdigkeit zu verleihen, und dabei mit seinem besten Ulster-Akzent gelästert.
Nachdem McKrackens Männer die Bombe am Straßenrand scharfgemacht hatten, waren Fox und Snow zu einem Bauernhaus gebracht worden, wo der Anführer der IRA-Gruppe Fox' Alibi bestätigen wollte – und das in einer Zeit vor dem Siegeszug der Mobiltelefone auf breiter Ebene. Man hatte Snow lädiert mit einem Getreidesack über dem Kopf in eine Scheune geworfen und Fox unterdessen in die Küche geführt. Keiner der beiden war über den Verbleib des jeweils anderen im Bilde gewesen, doch gehandelt hatten sie einvernehmlich.
Snow hatte so getan, als sei er schwerer verletzt als in Wahrheit, und in dem Moment, als ihm der Sack vom Kopf gezogen worden war, hatte er mit einem Bein ausgetreten und dem IRA-Wächter den Boden unter den Füßen weggerissen. Dem jungen Iren war die Luft weggeblieben und die Pistole aus der Hand gerutscht. Snow hatte sich auf ihn gewälzt, ihm mit einer Kopfnuss die Nase gebrochen und die noch gefesselten Hände um den Hals gelegt. Er wollte ihn eigentlich lediglich bewusstlos würgen, aber wegen des Adrenalinschubs in dieser Situation hatte er zu fest zugedrückt.
Das war Snows erste Tötung gewesen – eine schlimme Sache, doch für Reue hatte ihm die Zeit gefehlt. Die Fesseln konnte er mit dem Messer des Unabhängigkeitskämpfers durchtrennen, und nachdem er die Pistole aufgehoben hatte, war er so leise wie möglich zum Bauernhaus geschlichen.
In der Küche hatte man Fox nicht an einem Stuhl festgebunden, sondern von zwei Männern bewachen lassen, als McKracken mit dem Telefon hinausgegangen war. Dank eines Sommers bei seinen Großeltern in der benachbarten Gegend war Fox in der Lage gewesen, seine Aufpasser mit Anekdoten zu unterhalten, bis einer draußen Bewegungen bemerkt hatte. Da war der Gefangene aufgesprungen und hatte dem nächsten Mann zwischen die Beine getreten. Während der eine Terrorist zusammengesackt war, hatte sich Fox sein Sturmgewehr geschnappt. Gleichzeitig hatte Snow durchs Fenster geschossen, zwei 9mm-Patronen in den Schädel des anderen Mannes. Fox war weiter ins Haus gegangen und Snow durch die Tür hereingekommen, um den Liegenden in Schach zu halten, der sich noch seine Hoden gehalten hatte.
Fox hatte Schüsse gehört, doch McKracken war nicht geblieben, um zu kämpfen, sondern mit seinem Chevrolet Cavalier geflohen. Der nächtliche Einsatz war ein Erfolg gewesen. Sie hatten die Bombe entschärft und die übrigen Mitglieder der IRA-Zelle dazu gebracht, wertvolle Informationen herauszugeben. Fox und Snow hatten sich als starkes Team bewährt.
Der Schotte stand nun auf. »Komm, holen wir uns was zu essen.«
»Warum nicht hier?« Snow mochte das hausgemachte Steak- und Nierenfleisch im Fettmantel.
Fox schaute ihn an, als halte er ihn für verrückt. »Du willst noch länger leben, oder?«
Dave, der die Gläser einsammelte, warf ihm einen bösen Blick zu. »Denkt mal an mich. Ihr könnt euch aus der Affäre ziehen, aber meine bessere Hälfte besteht darauf, jeden gottverdammten Tag für mich zu kochen!«
Sie verließen das Lokal und gingen die Hauptstraße hinunter. »Willst du das Auto nehmen?«
Snow verneinte. »Ist ein Gemeinschaftswagen. Würde er abgeschleppt, bekäme ich einen anderen.«
»MI6-Karre mit Radkralle, wäre 'ne prima Schlagzeile für die Abendausgabe des ›Argus‹.« Fox fand seine Scherze selbst am witzigsten. »Also, ich hab Lust auf Indisch.«
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