Herr de Lorche, welcher neben Zbyszko ritt, suchte ihn zu trösten, indem er sagte, im Augenblick der Gefahr sei Jurand unzweifelhaft auf die Rettung seiner Tochter bedacht gewesen, und wenn auch alle andern nicht mehr am Leben wären, so würde sie gewiß noch lebend, vielleicht schlafend unter ihren Pelzen gefunden werden. Doch Zbyszko glaubte ihm nicht und hatte schließlich auch keine Zeit mehr, ihn anzuhören, da nach wenigen Augenblicken der vorausreitende Führer von der Landstraße abbog.
Der Jüngling ritt zu ihm heran und fragte: »Weshalb wenden wir uns seitwärts?«
»Weil sie nicht an der Landstraße verschüttet sind, sondern dort an jener Stelle! Seht Ihr das Erlengehölz, Herr?«
Bei diesen Worten zeigte er mit der Hand auf ein Dickicht in einiger Entfernung, das sich deutlich von der weißen Schneedecke abhob, zumal der Mond jetzt hinter den Wolken hervortrat und alles ringsumher erhellte.
»Offenbar sind sie von der Landstraße abgekommen.«
»Ja, sie sind von der Landstraße abgekommen und längs des Flusses im Kreise herumgeritten. Bei Sturm und heftigem Schneegestöber kann dies leicht vorkommen. Sie ritten weiter und weiter, bis die Pferde nicht mehr durchkommen konnten.«
»Wodurch habt Ihr sie gefunden?«
»Wir folgten diesem Hunde.«
»Befinden sich keine Hütten in der Nähe?«
»Ja, aber jenseits des Flusses. Wir sind sogleich dort an der Wkra.«
»Vorwärts also, im Galopp!« rief Zbyszko.
Aber es war leichter, den Befehl zu geben, als ihn auszuführen, denn wenngleich die strenge Kälte gebrochen schien, lag auf den Wiesen der frischgefallene Schnee noch fußhoch, so daß die Pferde bis zu den Knöcheln versanken, und man nur langsam
Nach wenigen Minuten erblickte man eine unter dem Baume sitzende menschliche Gestalt, welche das Haupt über die Brust herabgebeugt und die Mütze über das Gesicht gezogen hatte.
vorrücken konnte. Plötzlich drang das Bellen des Hundes zu ihnen, unmittelbar vor ihnen aber tauchte ein dicker, knorriger Weidenstamm auf, dessen Wipfel mit den entlaubten Aesten im Mondschein schimmerte.
»Sie sind noch etwas weiter entfernt, dort in der Nähe des Erlengehölzes,« sagte der Führer, »aber auch hier muß etwas sein.«
»Seht den Schneehaufen unter dem Weidenbaum! Leuchtet!«
Einige Mannen des Fürsten stiegen vom Pferde und leuchteten mit ihren Fackeln. Gleich darauf rief einer von ihnen: »Hier ist ein Mensch unter dem Schnee verschüttet. Seht, der Kopf ist frei!«
»Auch ein Pferd!« rief ein zweiter.
»Sofort ans Werk!«
Die Schaufeln gruben sich tief in den Schnee ein und warfen ihn zu beiden Seiten hoch auf.
Nach wenigen Minuten erblickte man eine unter dem Baume sitzende menschliche Gestalt, welche das Haupt über die Brust herabgebeugt und die Mütze über das Gesicht gezogen hatte. Die eine Hand hielt noch die Zügel des daneben liegenden Pferdes, dessen Nüstern tief in den Schnee eingedrückt waren. Offenbar hatte dieser Mann das Gefolge verlassen, um rascher zu menschlichen Behausungen zu gelangen und Hilfe herbeizuholen, als dann sein Pferd gestürzt war, hatte er unter dem Weidenbaum, da wo er den Wind im Rücken hatte, Schutz gesucht und war hier erstarrt von Frost und Kälte.
»Leuchtet!« rief Zbyszko.
Einer von den Leuten hielt seine Fackel an das Gesicht des Erfrorenen, aber die Züge waren nicht zu unterscheiden. Erst als ein zweiter das herabgesunkene Haupt des Leblosen in die Höhe hielt, entrang sich allen der laute Ausruf: »Der Gebieter von Spychow!«
Zbyszko gebot zwei Mannen, ihn emporzunehmen und in die nächste Hütte zu tragen. Er selbst aber machte sich, ohne einen Augenblick zu verlieren, mit den übrigen Leuten und dem Führer auf, um das Gefolge zu suchen. Während er weiterritt, sagte er sich, daß er nun Danusia, sein geliebtes Weib, vielleicht tot vor sich sehen werde, und er spornte sein Pferd, das bis zur Brust im Schnee versank, aufs äußerste an. Glücklicherweise hatte er nicht mehr weit bis zu seinem Ziele, nur einige hundert Schritte.
»Halt!« ertönte es plötzlich aus der Dunkelheit. Es waren die Stimmen der Männer, welche bei den Verschütteten zurückgeblieben waren. Zbyszko sprang vom Pferde.
»Die Schaufeln her!«
Zwei Schlitten waren schon durch die Leute ausgegraben, welche das Wächteramt versehen hatten. Die Menschen in diesen Schlitten waren samt den Pferden vollständig erfroren. Wo sich noch andere Gespanne befanden, das konnte man leicht an den Schneehügeln erkennen, doch waren nicht alle Schlitten vollständig verdeckt. An manchen befanden sich noch die Pferde, die bis zum Bauche im Schnee versunken, offenbar mit aller Gewalt versucht hatten, sich wieder herauszuarbeiten, und bei dieser letzten Anstrengung zu Grunde gegangen waren. Vor zwei Pferden stand, die Lanze in der Hand, ein Mann bis zum Gürtel im Schnee, und unbeweglich wie ein Stein; etwas weiterhin sah man erfrorene Knechte, die noch ihre Rosse festhielten.
Der Tod hatte sie offenbar in dem Augenblick ereilt, da sie die Pferde aus dem tiefen Schnee herausziehen wollten. Ein Gespann am äußersten Ende des Zuges war nicht verschüttet. Der Kutscher saß zusammengekauert, mit den Händen über den Ohren da, hinter ihm, auf dem Sitze, befanden sich zwei Leute, über deren Brust eine herangewehte weiße Decke lag, die sich bis zu dem Schneehügel daneben hinzog und sie einhüllte, gleich einem Tuche, so daß sie still und friedlich zu schlummern schienen. Wieder andere waren zu Grunde gegangen, während sie bis zuletzt gegen den Sturm ankämpften, denn ihre Stellung zeigte, welche Kraft sie aufgeboten hatten. Manche Schlitten waren umgestürzt, an manchen waren die Deichseln zerbrochen. Die Schaufeln enthüllten jeden Augenblick einen gekrümmten Pferderücken, oder einen Pferdekopf, dessen Zähne in den Schnee eingedrückt waren, Männer in jedem Alter, die sich in den Schlitten oder daneben befanden, wurden ausgegraben, aber ein Weib war nirgends zu entdecken. Zuweilen arbeitete Zbyszko selbst mit, bis ihm der Schweiß auf der Stirne stand, zuweilen leuchtete er den Toten ins Gesicht, mit klopfendem Herzen forschte er nach dem geliebten Antlitz – doch umsonst! Die Flammen erhellten nur die strengen, bärtigen Gesichter der Haudegen von Spychow. Doch weder Danusia noch ein anderes weibliches Wesen war zu sehen.
»Wo mag sie sein? Was hat dies für eine Bewandtnis?« fragte sich der junge Ritter immer wieder. Er rief den in einiger Entfernung arbeitenden Leuten zu und fragte sie, was sie entdeckt hätten, doch auch von ihnen waren nur Männer ans Licht befördert worden. Endlich war das schwere Werk beendigt. Die Knechte spannten ihre eigenen Pferde an die Schlitten und fuhren mit den Leichen gen Niedzborz, um dort in den warmen Stuben zu versuchen, ob einer oder der andere von den Totgeglaubten ins Leben zurückgerufen werden könne. Zbyszko blieb noch mit dem Böhmen und zweien seiner Leute zurück. Ihm war plötzlich der Gedanke gekommen, Danusias Schlitten sei vielleicht von den andern getrennt gewesen und wenn dieser Schlitten, wie man wohl annehmen durfte, mit den besten Pferden bespannt war, hatte Jurand möglicherweise angeordnet, daß seine Tochter vorausfahre, und sie hatte dann in einer Hütte unterwegs Schutz gesucht. Was er nun beginnen sollte, wußte Zbyszko selbst noch nicht recht, auf alle Fälle wollte er jedoch nochmals in den vom Wind zusammengewehten Schneehaufen hier in der Nähe, sowie auch im Erlengehölz nachforschen, dann aber umkehren und auf der Landstraße seine Untersuchungen anstellen.
Allein unter dem Schnee war nirgends mehr etwas zu finden. Im Erlenwalde blitzten einige Male glühende Wolfsaugen vor ihnen auf, doch fanden sie keine Spur von Menschen und Pferden. Die Wiese zwischen dem Gehölze und der Landstraße schimmerte hell im Mondschein, und auf der weißen öden Fläche waren zwar in der Ferne hie und da einige dunkle Punkte zu sehen, aber auch dies waren Wölfe, welche sofort entwichen, als die Männer sich näherten.
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