Eine tiefe Stille folgte. Dann schlich eine dunkle Gestalt aus dem Turme hervor und eilte in gebückter Haltung dem Stalle zu, der sich auf der linken Seite des Hofes neben der Rüstkammer befand. Diderichs Dogge sprang hinter ihr her, der andere Hund lief ihnen nach und verschwand in der Dunkelheit, zeigte sich aber bald wieder, den Kopf zur Erde gesenkt und ganz langsam laufend, wie wenn er eine Spur suche. So näherte er sich dem regungslos daliegenden Zygfryd, beschnüffelte ihn aufmerksam, setzte sich neben dessen Haupte nieder, richtete seine Schnauze empor und begann laut zu heulen.
Das Geheul währte lange Zeit, die Schrecknisse dieser grausigen Nacht durch neue Klagelaute noch erhöhend. Endlich öffnete sich knarrend eine in einer Vertiefung der Hauptthüre verborgene Pforte und mit einer Hellebarde in der Hand trat der Thorwart in den Hof.
»Die Pest über diesen Hund!« sagte er. »Ich werde Dich lehren, während der Nacht zu heulen.«
Und die Hellebarde ausstreckend, wollte er mit der Spitze das Tier durchbohren, aber in diesem Augenblick sah er, daß jemand am Eingang des Turmes lag.
»Herr Jesus! Was ist das?«
Sich herabbeugend schaute er in das Gesicht des Regungslosen und schrie: »Hierher! Hierher! Hilfe!«
Hierauf eilte er an das Thor und begann mit aller Kraft den Glockenstrang zu ziehen.
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Sechster Teil.
Erstes Kapitel.
Inhaltsverzeichnis
Wenngleich Glowacz gerne sobald wie möglich nach Zgorzelic gelangt wäre, konnte er dennoch nicht so rasch vorwärts kommen wie er wollte, weil die Wege immer schwieriger wurden. Nach dem harten Winter, der strengen Kälte und dem starken Schneefall, durch den ganze Dörfer wie verschüttet waren, trat heftiges Tauwetter ein. Der Februar war, trotz seines Namens, durchaus nicht rauh. Zuerst erhoben sich dichte, undurchdringliche Nebel, dann kamen wahre Regengüsse, wobei die Schneehaufen zusehends schmolzen. Regnete es nicht, so tobten Stürme, wie sie sonst gewöhnlich im März toben; in Zwischenräumen, ganz plötzlich, wurden dann große Wolken am Himmel hingejagt, zuweilen auch auseinander getrieben, auf der Erde aber fuhr der Wind heulend über die Gesträuche und Bäume und trocknete den geschmolzenen Schnee, unter dem vor kurzem erst die Stämme und Zweige ihren Winterschlaf gehalten hatten.
Die Wälder sahen jetzt dunkel, fast schwarz aus. Auf den Wiesen standen große Wasserlachen, Flüsse und Bäche waren ausgetreten. Dies Ueberwiegen des feuchten Elementes freute nur die Fischer, während die andere, gleichsam in Fesseln geschlagene Bevölkerung sich in ihren Häusern und Hütten verbarg. An vielen Orten konnte man nur mittelst Nachen von einem Dorfe zum andern gelangen. Zwar fehlte es nirgends an Dämmen und Landstraßen, welche durch eingerammte Pfähle hergestellt wurden und durch die morastigen Gegenden führten, aber jetzt waren die Dämme gelockert und an den niedern Stellen versanken die Pfähle in dem Sumpfboden, sodaß der Uebergang gefährlich oder auch ganz unmöglich ward. Besonders in dem an Seen reichen Großpolen konnte der Böhme nur mühsam vorwärtsdringen, da in jedem Frühjahr dort größere Ueberschwemmungen vorkamen als in andern Gegenden des Landes und daher auch die Wege, vornehmlich für Pferde, viel unzugänglicher wurden.
Er mußte häufig anhalten und wochenlang bald in einem Marktflecken oder Dorfe, bald auf einem Gute warten, wo er der Sitte gemäß samt seinen Mannen überall gastfreundlich aufgenommen ward, jedermann begierig seinen Berichten von den Kreuzrittern lauschte und ihm mit Salz und Brot für seine Neuigkeiten lohnte. So hatte denn der Frühling seine Boten in die ganze Welt ausgesendet und der März war zum Teil vorüber, bevor Hlawa sich Zgorzelic und Bogdaniec nähern konnte.
Das Herz schlug ihm bei dem Gedanken, daß er seine Gebieterin bald wieder sehen werde, denn wiewohl er wußte, daß sie ebenso unerreichbar für ihn war wie ein Stern am Himmel, vergötterte und liebte er sie doch von ganzem Herzen. Indessen beschloß er, sich zuerst zu Macko zu begeben, einmal darum, weil er zu ihm geschickt ward, und dann auch, weil er Leute mit sich führte, die in Bogdaniec bleiben mußten. Nach Rotgiers Tode fiel dessen Gefolge, das den Ordensvorschriften gemäß aus zehn berittenen Mannen bestand, Zbyszko zu. Zwei von diesen geleiteten den Leichnam des Erschlagenen nach Szczytno, die übrigen aber sandte Zbyszko mit Glowacz seinem Oheim als Geschenk, weil er wußte, wie eifrig Macko darauf bedacht war, Ansiedler heranzuziehen.
In Bogdaniec angelangt, traf der Böhme den alten Macko nicht zu Hause an und erfuhr, daß er mit seinen Hunden und der Armbrust in den Wald gegangen sei. Doch kehrte er noch bei Tage zurück, und als er hörte, daß sich eine beträchtliche Reiterschar bei ihm aufhalte, beschleunigte er seine Schritte, um die Angekommenen zu begrüßen und ihnen seine Gastfreundschaft anzubieten. Er erkannte Glowacz nicht sofort, und als jener seinen Namen nannte, erschrak er im ersten Augenblick tödlich, er warf Armbrust und Mütze zu Boden und rief aus: »Um Gotteswillen! Sie haben ihn erschlagen. Erzähle, was Du weißt!«
»Er lebt!« entgegnete der Böhme. »Er ist wohl und gesund.«
Als er dies vernahm, fühlte sich Macko ein wenig beschämt, und er ließ ein förmliches Schnauben hören. Schließlich atmete er tief auf.
»Gelobt sei unser Herr Christus!« rief er aus. »Wo aber befindet sich Zbyszko?«
»Nach Marienburg hat er sich begeben, und mich hat er hierhergeschickt, Euch Kunde zu bringen.«
»Und weshalb begab er sich nach Marienburg?«
»Seiner Gattin wegen.«
»Bei den Wundmalen des Heilands, Bursche, welche Gattin meinst Du?«
»Jurands Tochter. Davon wäre die ganze Nacht zu erzählen, aber gestattet, ehrwürdiger Herr, daß ich zuerst Atem schöpfe, denn ich bin lange umhergeirrt und seit Mitternacht nicht vom Pferde gekommen.«
Nun drang Macko nicht weiter mit Fragen in ihn, die Verwunderung hatte ihn auch der Sprache beraubt. Nachdem seine Erregung ein wenig nachgelassen hatte, rief er einem Knechte, damit dieser Holz auf das Feuer im Herde lege und dem Böhmen einen Imbiß bringe, dann ging er in der Stube auf und ab, und die Hand hastig hin und her bewegend, murmelte er vor sich hin: »Kaum kann ich meinen Ohren trauen … Jurands Tochter … Zbyszko beweibt!«
»Beweibt und doch auch wieder nicht!« sagte der Böhme.
Jetzt erst begann er zu erzählen, was sich ereignet hatte und wie alles gekommen, und der alte Ritter hörte aufmerksam zu, dann und wann ihn mit einer Frage unterbrechend, da der Bericht des Böhmen nicht ganz klar war. So wußte Glowacz zum Beispiel nicht genau, wann sich Zbyszko vermählt hatte, weil kein Hochzeitsfest gefeiert worden war. »Daß die Trauung stattgefunden und daß die Fürstin Anna Danuta selbst dazu den Anlaß gegeben hat,« erklärte Hlawa weiter, »ist gewiß, wenn schon dies erst nach der Ankunft des Kreuzritters Rotgier bekannt geworden ist, mit dem Zbyszko, nachdem er ihn vor ein Gottesgericht gefordert, angesichts des ganzen masovischen Hofes gekämpft hat.«
»Hei! Einen Kampf hat er bestanden?« rief Macko mit blitzenden Augen und in der größten Spannung. »Nun, und wie ist es ihm ergangen?«
»In zwei Hälften wurde der Deutsche niedergestreckt und auch mir hat Gott dem Knappen gegenüber Glück verliehen.«
Macko begann wieder zu schnauben, diesmal aber schien er befriedigt zu sein. »Nun,« sagte er, »das ist ein Bursche, den man nur bewundern, nicht auslachen kann. Der letzte seines Stammes ist er, aber nicht der schlechteste, so wahr mir Gott helfe. Wie ist es denn damals mit den Friesen gewesen … Und er war doch noch ein rechter Knabe …«
Bei diesen Worten blickte Macko den Böhmen aufmerksam an, dann fuhr er fort: »Aber auch Du gefällst mir. Und offenbar lügst Du nicht. Wenn ich einen Lügner vor mir habe, merke ich es sofort. Der Kampf mit dem Knappen war ja nicht von Bedeutung, denn Du sagst ja selbst, Du hättest wenig Mühe dabei gehabt, aber daß Du jenem Hund den Arm ausgerenkt hast und zuvor schon den Auerochsen überwältigtest, muß man Dir als verdienstvolle Thaten anrechnen.«
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