In diesem Augenblick ließen sich Stimmen im Hausflur vernehmen, die Thüre öffnete sich plötzlich, und Jagienka stürzte mit ihrem ältesten Bruder, dem vierzehnjährigen Jasko herein, der ihr so ähnlich war wie ein Zwillingsbruder.
Die Jungfrau, welche durch Bauern aus Zgorzelic gehört hatte, daß ein Gefolge von Mannen auf der Landstraße gesehen worden sei und unter der Anführung des Böhmen Hlawa nach Bogdaniec ziehe, war von dem gleichen Schrecken erfaßt worden, wie Macko, und als sie weiter in Erfahrung gebracht hatte, daß Zbyszko sich nicht dabei befinde, glaubte sie, irgend ein Unglück müsse sich ereignet haben, und eilte unverzüglich nach Bogdaniec, um die Wahrheit zu erfahren.
»Was ist geschehen? Um Gottes willen!« rief sie schon an der Schwelle.
»Was soll geschehen sein?« antwortete Macko. »Zbyszko ist wohl und gesund.«
Der Böhme eilte seiner Gebieterin entgegen, und sich auf ein Knie niederlassend, küßte er den Saum ihres Gewandes, sie aber achtete gar nicht darauf, denn als sie die Antwort des alten Ritters vernommen hatte, wandte sie ihr Antlitz vom Feuer ab in den Schatten, und wie wenn sie sich plötzlich erinnere, daß sie niemand einen Gruß geboten, sagte sie erst nach einer Weile: »Gelobt sei Jesus Christus!«
»In Ewigkeit, Amen!« erwiderte Macko.
Und sie, die jetzt den vor ihr knieenden Böhmen gewahrte, neigte sich zu ihm herab mit den Worten: »Ich freue mich von ganzem Herzen, Dich zu sehen, Hlawa, aber warum hast Du Deinen Herrn verlassen?«
»Er sandte mich hierher, gnädigste Herrin!«
»Wie lautete sein Befehl?«
»Er befahl mir, mich nach Bogdaniec zu begeben.«
»Nach Bogdaniec? Und was befahl er Dir weiter?«
»Er sandte mich ab, um Bericht zu erstatten … um seinen Gruß zu entbieten …«
»Nach Bogdaniec nur? Nun – gut! Und wo befindet er sich?«
»Zu den Kreuzrittern nach Marienburg begab er sich.«
Bestürzung malte sich auf Jagienkas Angesicht.
»So ist das Leben ihm nicht mehr lieb? Warum that er das?«
»Um das zu suchen, was er niemals finden wird, gnädigste Herrin!«
»Wahrlich, er wird es niemals finden!« warf Macko ein. »Wie Du keinen Nagel ohne Hammer einschlagen kannst, so vermag auch der menschliche Willen nichts ohne den göttlichen.«
»Was meint Ihr?« fragte Jagienka.
Macko beantwortete ihre Frage mit einer andern Frage: »Sprach Dir Zbyszko schon von Jurands Tochter? Ich meine, gehört zu haben, daß er schon von ihr sprach.«
Jagienka antwortete nicht sogleich, erst nach einiger Zeit erwiderte sie, einen Seufzer unterdrückend: »Ja, er sprach mir von ihr! Was hätte ihn daran hindern können?«
»Das ist gut, denn dadurch wird es mir auch leichter zu reden,« bemerkte der alte Ritter.
Und er erzählte ihr, was er von dem Böhmen gehört hatte, während er sich selbst dabei wunderte, daß seine Worte zuweilen etwas verworren waren und ihm nur mühsam über die Lippen kamen. Weil er indessen ein kluger Mann war, und weil er Jagienka keinenfalls täuschen wollte, hob er besonders hervor, daß – wie er selbst glaube – Zbyszko tatsächlich niemals Danusias Ehegemahl gewesen, und daß sie wohl für immer verschwunden sei.
Der Böhme bestätigte dann und wann seine Aussagen, indem er bald zustimmend mit dem Kopfe nickte, bald sagte: »Beim lebendigen Gott!« oder: »So ist es, nicht anders!« Das Mägdlein hingegen lauschte mit gesenkten Augenwimpern, ohne ein Wort zu fragen, und war so stille, daß Macko schließlich unruhig ward.
»Nun, und was sagst Du dazu?« fragte er, nachdem er seine Erzählung beendigt hatte.
Sie gab keine Antwort, aber zwei große Thränen drangen unter den gesenkten Lidern hervor und rollten langsam über ihre Wangen.
Nach einer Weile näherte sie sich Macko, und dessen Hand küssend, sagte sie: »Sein Name sei gepriesen!«
»Von Ewigkeit zu Ewigkeit!« entgegnete der alte Mann. »Hast Du so sehr Eile nach Hause zu kommen? Bleibe bei uns!«
Doch sie wollte nicht bleiben und erklärte, sie habe zu Hause das Abendbrot noch nicht zubereiten lassen.
Obwohl nun Macko wußte, daß eine alte Edelfrau, Sieciechowa genannt, in Zgorzelic weilte, welche Jagienka ganz gut hätte ersetzen können, drang er doch nicht weiter in diese, da er sich sagte, daß die Bekümmerten gern ihre Thränen verbergen, und daß die Menschen den Fischen gleichen, welche sich auf dem tiefsten Grunde verbergen, wenn sie den Angelhaken im Innern spüren.
So strich er denn der Jungfrau nur sanft über die Haare und geleitete sie mit dem Böhmen zusammen in den Vorhof. Hlawa aber führte sein Pferd aus dem Stalle, bestieg es und ritt hinter dem Mägdlein her.
In die Stube zurückgekehrt, seufzte Macko tief auf und murmelte kopfschüttelnd vor sich hin: »Ein rechter Thor, dieser Zbyszko! … Es ist, als ob dies Mädchen einen Duft von Jugendfrische zurückgelassen habe.«
Und dem alten Kämpen ward recht wehmütig zu Mute. Er sagte sich, wenn Zbyszko sie sogleich nach seiner Rückkehr zum Weibe genommen hätte, würde jetzt nur eitel Freude und Wonne bei ihnen herrschen. Aber wie ist es jetzt? So oft sie an ihn denkt, kommen ihr die Thränen in die Augen, dachte er, und dieser Bursche wandert in der weiten Welt umher und wird sich noch seinen Schädel an den Mauern Marienburgs einrennen. Aber in unserm Hause ist es leer, und die Wände starren von alten Rüstungen. Was nützt denn die Bewirtschaftung des Gutes, was nützt meine Thätigkeit, was nützt der Besitz von Spychow und Bogdaniec, wenn niemand da ist, der uns beerben wird?
Hier begann es förmlich in Mackos Seele zu stürmen.
»Warte, Du Landstreicher!« sagte er laut, »nachlaufen werde ich Dir nicht, Deinem Schicksale werde ich Dich überlassen.«
Doch wie zum Hohn überkam ihn in demselben Augenblick eine tiefe Sehnsucht nach Zbyszko. »O nein, ich werde ihm nicht nachlaufen,« dachte er, »aber soll ich hier still sitzen? Eine Strafe Gottes ist all dies! … Denn daß ich den Bösewicht in meinem ganzen Leben nicht mehr sehen soll – das vermag ich mir nicht vorzustellen! Wieder hat er einen solchen Lotterbuben zerhauen – und Beute gewonnen. Ein anderer wäre grau geworden, bevor er den Rittergürtel erworben hätte, und ihn hat der Fürst schon gegürtet … und mit Fug und Recht, denn es giebt zwar viele lobenswerte Männer unter den Edelleuten, aber einen zweiten wie Zbyszko giebt es nicht!«
Und allgemach vollständig von Rührung übermannt, untersuchte er die Rüstungen, Schwerter und Beile, die im Rauch schwarz geworden waren, wie wenn er erwäge, was er mit sich nehmen, was er zurücklassen solle. Dann verließ er die Stube, zuvörderst, weil es ihm zu enge darin ward, und zweitens, weil er die Wagen schmieren und den Pferden eine doppelte Portion Hafer geben lassen wollte.
Im Hofe schon gedachte er wieder Jagienkas, welche hier kurz zuvor ihr Pferd bestiegen hatte, und plötzlich ward er tief traurig.
»Wenn es sein muß, so gehe ich,« sagte er sich, »aber wer wird das Mägdlein vor Cztan und Wilk schützen? Gott gebe, daß ein Blitzstrahl die beiden erschlüge!«
Indessen ritt Jagienka mit ihrem Bruder auf dem Waldwege gen Zgorzelic, und der Böhme folgte ihnen schweigend, das Herz von Liebe und Leid erfüllt. Er hatte der Jungfrau Thränen wohl gesehen, jetzt schaute er unablässig nach ihrer dunklen Gestalt aus, deren Umrisse in der Dämmerung, inmitten des Waldes, kaum sichtbar waren, und er erriet ihre Pein und ihren Schmerz. Ihn dünkte, jeden Augenblick könnten sich die Räuberhände Wilks oder Cztans aus dem finsteren Dickicht nach ihr ausstrecken –und bei diesem Gedanken ergriff ihn eine wilde Kampfgier. Diese Kampfgier ward zuweilen so groß, daß ihn die Lust anwandelte, sein Beil oder Schwert zu ergreifen und irgend eine Fichte am Wege zu fällen. Fühlte er doch, daß es ihm Erleichterung bringen würde, wenn er zu einem Schlage ausholte. Schließlich wäre er froh gewesen, sein Pferd wenigstens zum Galopp anspornen zu können, aber Jagienka und ihr Bruder ritten langsam weiter. Schritt für Schritt, fast ohne ein Wort zu sprechen, denn auch Jasko, der sonst sehr gerne plauderte, war nach einigen vergeblichen Versuchen, die Schwester zum Reden zu bringen, in Schweigen versunken.
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