»Bist Du bereit?« fragte Zygfryd.
Diderich neigte stumm das Haupt.
»Du erhieltest den Befehl, ein mit Kohlen gefülltes Becken zu bringen.«
Der stämmige Mann gab wieder keine Antwort, sondern zeigte nur auf die im Kamine brennenden Holzscheite, ergriff eine daneben stehende eiserne Schaufel, holte unter den Scheiten die Kohlen hervor und füllte das Becken damit. Dann zündete er die Laterne an und stand ruhig wartend da.
»Höre mich an, Mensch!« sagte Zygfryd. »Einstmals schwatztest Du aus, was Dir der Komtur Danveld anbefahl, und deshalb ließ er Dir die Zunge ausreißen. Weil Du nun dem Kaplan alles, was Du willst, mittelst der Fingersprache mitteilen kannst, verkündige ich Dir hiemit: wenn Du ihm durch eine einzige Bewegung kund thust, was Du auf mein Geheiß vollführen mußt, lasse ich Dich aufhängen.«
Abermals neigte Diderich das Haupt, aber sein Gesicht verzerrte sich auf unheilverkündende Weise durch die Erinnerung an jenen Vorgang, denn die Zunge war ihm aus einem ganz anderen Grunde ausgerissen worden, als aus dem von Zygfryd angegebenen.
»Gehe jetzt voraus und führe mich zu Jurands Gefängnis.«
Der zum Henker Ausersehene umfaßte den Griff des Beckens mit seiner riesenhaften Hand, hob die Laterne in die Höhe und sie verließen die Stube. An dem schlafenden Knaben vorüber gingen sie die Stufen hinunter, wendeten sich jedoch nicht dem Haupteingang zu, sondern begaben sich hinter die Treppe, wo sich ein schmaler Korridor hinzog, der die ganze Breite des Gebäudes einnahm und an dessen Ende sich eine schwere, in einer Mauernische verborgene Pforte befand. Diderich öffnete, und sie traten in einen kleinen Hofraum, der auf vier Seiten von steinernen Lagerhäusern umgeben war, worin man große Vorräte von Getreide für Kriegs-und Belagerungszeiten aufgespeichert hatte. Unter einem dieser Lagerhäuser, auf der rechten Seite, zogen sich die unterirdischen Kerker für die Gefangenen hin. Es stand keine Wache hier, denn selbst wenn ein Gefangener aus seinem Kerker hätte ausbrechen können, wäre er in diesen Hof gekommen, deren einziger Ausgang gerade jene Pforte bildete.
»Warte!« sagte Zygfryd.
Und sich mit der Hand an der Mauer festhaltend, blieb er stehen, denn er fühlte, daß etwas Eigentümliches in ihm vorging, und daß ihm der Atem fehlte. Es war, wie wenn seine Brust in einen allzu engen Panzer eingeschnürt wäre. Das, was er erlebt hatte, überstieg geradezu seine Kräfte, er fühlte, daß unter der Kapuze große Schweißtropfen auf seine Stirne traten, und er hielt an, um Atem zu schöpfen.
Nach einem trüben Tage war eine ungewöhnlich schöne Nacht angebrochen. Der Mond stand am Himmel und übergoß den ganzen Hof mit seinem silbernen Scheine, sodaß der Schnee fast grünlich schimmerte. Zygfryd sog die reine, kalte Luft gierig ein. Aber zugleich erinnerte er sich auch, daß sich Rotgier in solch lichtvoller Nacht nach Ciechanow begeben, und daß man ihn nun als Leichnam zurückgebracht hatte.
»Und jetzt liegst Du in der Kapelle!« flüsterte er vor sich hin.
In der Meinung, der Komtur spreche mit ihm, hob Diderich die Laterne in die Höhe und betrachtete dessen scharfgeschnittenes, geierähnliches Gesicht, welches furchtbar bleich, fast wie das eines Toten aussah.
»Gehe weiter!« sagte Zygfryd.
Der gelbe Lichtkreis der Laterne zitterte wieder auf dem Schnee, während sie dahinschritten. In einer Vertiefung der dicken Mauern des Lagerhauses befanden sich einige Stufen, die zu einer großen, eisernen Thüre führten. Diderich öffnete sie und stieg die Treppe in einen dunklen Gang hinunter, wobei er die Laterne hoch hielt, um dem Komtur den Weg zu zeigen. Am Ende der Treppe war ein Korridor, an dessen beiden Seiten ganz niedrige Thüren in die Zellen der Gefangenen führten.
»Zu Jurand!« sagte Zygfryd.
Nach einer Weile knirschte der Riegel, und sie traten ein.
Es war ganz dunkel in dieser Höhle, daher befahl Zygfryd, der bei dem matten Lichte der Laterne nichts zu unterscheiden vermochte, die Fackel anzuzünden, in deren hellem Scheine er dann Jurand auf dem Stroh liegen sah. Dieser hatte Fesseln an den Füßen, und an den Armen Ketten, die lang genug waren, daß er sich selbst Nahrung zuführen konnte. Er trug noch denselben Sack aus grobem Werg, worin er vor den Komtur hingetreten war, aber dies Bußgewand war jetzt mit dunklen Blutflecken bedeckt, denn an jenem Tage, da dem Kampfe erst ein Ende gemacht ward, als man den vor Schmerz und Wut wahnsinnigen Ritter in einem Netze gefangen hatte, wollten die Söldlinge ihn töten und brachten ihm mit ihren Hellebarden mehrere Wunden bei. Der Kaplan von Szczytno verhinderte sie daran, ihr Vorhaben auszuführen. Die Wunden waren zwar nicht tödlich, doch verlor Jurand soviel Blut, daß er halbtot ins Gefängnis gebracht ward. In der Burg glaubten alle, es könne jede Stunde mit ihm zu Ende gehen, aber seine außergewöhnliche Kraft überwand sogar den Tod, und er lebte noch, obgleich seine Wunden nicht verbunden waren und man ihn in dies furchtbare Gefängnis geworfen hatte, wo das Wasser von den Wänden heruntertropfte und in der kalten Jahreszeit die Mauern von einer dicken Eisschichte bedeckt waren.
So lag er denn in Ketten auf dem Stroh, machtlos und verwundet, aber dabei sah er noch so gewaltig, so furchterregend aus, daß er, auf diese Weise hingestreckt, das Ansehen eines aus einem mächtigen Felsblock ausgehauenen steinernen Riesen hatte. Zygfryd befahl Diderich, dem Gefangenen ins Gesicht zu leuchten, und eine Weile betrachtete er diesen schweigend, dann wendete er sich wieder zu seinem Begleiter, indem er sagte:
»Schau her, nur noch an einem Auge hat er Sehkraft, brenne ihm dies Auge aus.«
Eine gewisse Schwäche und Hinfälligkeit machte sich in dem Tone des alten Kreuzritters bemerklich, aber gerade darum klang der furchtbare Befehl noch furchtbarer. Die Fackel zitterte auch ein wenig in der Hand des Henkers, gleichwohl neigte er sie herab und bald fielen große brennende Pechtropfen auf Jurands Auge.
Jurands Gesicht zog sich krampfhaft zusammen, unter seinem fahlgelben Schnurrbarte wurden die fest aufeinandergepreßten Zähne sichtbar, aber kein Wort drang über seine Lippen und, war nun Erschöpfung oder war die angeborene Willenskraft seiner gewaltigen Natur schuld daran, er ließ auch keinen Klageton hören.
Zygfryd ließ sich nun also vernehmen: »Man versprach Dir, Dich frei dahinziehen zu lassen, und dies wird auch geschehen, aber den Orden wirst Du nicht anklagen können, denn die Zunge, mit der Du ihn gelästert hast, wird Dir herausgerissen werden.«
Und wieder winkte er Diderich, dem ein seltsamer Gurgellaut entfuhr, und welcher durch Gebärden kundgab, daß er beide Hände gebrauchen müsse und den Komtur ersuche, ihm zu leuchten.
Da nahm der Greis die Fackel und hielt sie mit der ausgestreckten, zitternden Hand, doch als Diderich sich mit den Knien gegen Jurands Brust stemmte, wendete er den Kopf ab und blickte auf die mit Reif bedeckte Wand.
Während eines kurzen Augenblickes vernahm man das Klirren der Ketten, schwere, keuchende Atemzuge, etwas wie ein dumpfes Aechzen, dann folgte eine tiefe Stille.
Schließlich ließ sich Zygfryds Stimme von neuem hören: »Jurand, die Strafe, welche Du erduldet, war Dir schon längst bestimmt, aber ich gelobte auch Bruder Rotgier, welcher durch den Ehegemahl Deiner Tochter erschlagen ward, Deine rechte Hand in seinen Sarg zu legen.«
Da beugte sich Diderich, der sich schon aufgerichtet hatte, abermals über Jurand.
Nach einer gewissen Zeit befanden sich der alte Komtur und Diderich wieder in dem vom Mondlicht übergossenen Hofe. Als sie den Korridor durchschritten hatten, nahm Zygfryd die Laterne, sowie einen unförmigen, in einen dunklen Lappen gewickelten Gegenstand aus der Hand des Henkers und sagte laut zu sich selbst: »Jetzt zurück in die Kapelle und dann in den Turm.«
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