1 ...7 8 9 11 12 13 ...32 John’s Children trieben das Live-Chaos von The Who noch weiter. Zum Soundtrack von heulendem Feedback, das ihre musikalische Unfähigkeit verdecken sollte, inszenierte die Band gespielte, aber überzeugend blutige Schlägereien zwischen den Bandmitgliedern. Ellison sprang dann von der Bühne und verwickelte das Publikum in den Streit, womit er die konfrontativen Auftritte eines Iggy Pop von den Stooges und Alan Vega von Suicide vorwegnahm.
Was John’s Children zur ultimativen Freakbeat-Band machte, war ihre ständig schwankende Mischung aus der Aggression der Mods und der Zartheit psychedelischer Musik. Wie Syd Barrett und Donovan sang auch Ellison so rein wie ein Chorjunge. Sein Gesang war dabei so übertrieben englisch, dass er geradezu verweichlicht wirkte. In Songs wie »Come and Play with Me in the Garden« blühten auch die Summer-of-Love-Themen Natur und Kindheit auf. Bei einem Fotoshooting ließ Napier-Bell John’s Children nackt in einem Feld posieren, ihre Geschlechtsteile von Pflanzen bedeckt.
»Wir sahen wirklich fast wie Engel aus«, erinnert sich Ellison, der damals blond und blass war. »Wir waren komplett in weiß gekleidet. Aber sobald man uns auf die Bühne ließ, wurden wir Monster. Man konnte nicht wissen, was wir abliefern würden. Wenn wir zu Gigs fuhren, pflückten wir Blumen aus den Gärten irgendwelcher Leute. Dann warfen wir sie auf die Bühne und sprangen auf ihnen herum. Es war das Gegenteil von Flower Power.«
Im Februar 1967 ging Ellison auf Napier-Bells Vorschlag ein und besuchte Marc Bolan in dessen Zuhause in Südlondon, um herauszufinden, ob sich mit ihm eine musikalische Beziehung aufbauen ließe. »Er saß im Schneidersitz auf dem Sofa und spielte mir diese seltsamen Stücke vor. Ich dachte mir: ›Auf keinen Fall wird der in unsere extrem wilde Band passen, zu unseren riesengroßen Verstärkern.‹« Bolans Akustik-Folk-Ausrichtung und das elektrische Feedback von John’s Children waren nicht die einzigen Gegensätze. Auch in ihrer Herkunft unterschieden sie sich beträchtlich. Ellison und Drummer Chris Townson kannten sich aus dem Internat, ein starker Kontrast zu Bolans Arbeiterklassewurzeln.
Dennoch bewies Bolan schnell, dass die Rechnung aufgehen könnte: Bei einer der ersten gemeinsamen Proben kreuzte er mit Schallabweisern auf, die er aus Alufolie gebastelt hatte und vor den gigantischen Verstärkern seiner Bandkollegen platzierte, um so das Feedback seiner Gitarre zu steuern. Kurz darauf steuerte er auch Songs bei, etwa die Klassiker »Desdemona« und »Midsummer Night’s Scene« sowie »Sarah Crazy Child« und »Go Go Girl«, zwei weitere Highlights im überschaubaren Repertoire der Band.
»Desdemona« ist einer dieser Songs aus den 1960ern, die die große Frage aufwerfen: Warum war das kein Hit? Der Refrain besteht aus der gewagten Zeile »Lift up your skirt and fly«, dazu drischt Townson auf seine Drums ein wie Keith Moon, im Hintergrund hört man Bolan die Backings blöken wie eine Ziege. »Midsummer Night’s Scene« zeichnet ein geradezu dionysisches Bild wie aus einem Fiebertraum von einem Park nach dem Sonnenuntergang: Hippiemädchen mit »von der Liebe entstellten« Gesichtern streuen Blumen und führen die rituellen Tänze des Pan auf. Der Basslauf gibt einem das Gefühl, in einen Ofen zu starren: Er besteht aus gerade einmal einem Ton, der durch einen Verzerrer enorm aufgeblasen wird. Der Song hat – genauso wie die aufregenden »Jagged Time Lapse« und »Remember Thomas A Becket«, die allerdings nicht aus Bolans Feder stammten – kaum etwas, das man einen richtigen Akkord, geschweige denn ein Riff nennen könnte. Stattdessen brechen plötzlich die Verzerrer aus, treiben Schlagzeugwirbel die Geschwindigkeit voran und langgezogenes Feedback taucht ohne jeden Grund auf und verschwindet wieder.
Doch John’s Children gaben sich nicht damit zufrieden, The Who nur musikalisch in ihrer eigenen Disziplin zu übertrumpfen. Auch die theatralisierte Destruktion dachten sie noch weiter. In einem Bandinterview bezeichnete Bolan einen typischen Gig als »fünfundvierzigminütiges Happening. Manchmal ist uns kaum bewusst, was wir tun. Es ist wie eine große Séance zwischen uns und dem Publikum. Ich habe Andy verrückt werden sehen wie einen Medizinmann bei einem Stammestanz.« Ellison distanziert sich heute von dem Wort »Happening«, das in den 1960ern ein Modewort in der Kunstwelt und dem radikalen Theater war: »Ich habe es nie als irgendeine Art von Kunstform gesehen. Aber wir haben es auf die Spitze getrieben. Uns fast zerstört.«
Dieser Hang zur Selbstzerstörung erreichte im Frühling 1967 seinen Höhepunkt auf einer Tour durch Westdeutschland, passenderweise als Vorgruppe von The Who. Die Mod-Götter wurden komplett an die Wand gespielt, nicht nur was die Musik und die Anarchie auf der Bühne anging, sondern auch durch die schiere Lautstärke. Möglich gemacht hatte das eine massive Wand aus Jordan-Verstärkern, von denen Ellison behauptete, dass sie »von der NASA hergestellt« worden seien und die John’s Children mit dem Geld erwarben, das sie durch den US-Erfolg von »Smashed Blocked« verdienten, das es in Kalifornien und Florida in die regionalen Top 10 geschafft hatte. Die Band hatte sich eine Bühnenshow ausgedacht, in der Peitschen, Kunstblutkapseln (für die Glaubwürdigkeit) und eine große Anzahl an Federn, die im ganzen Konzertsaal verstreut wurden, prominente Rollen spielten.
»Ich hatte damals eine silberne Peitsche«, erinnerte sich Bolan 1972 dem NME gegenüber. »Ich kettete ganze Pritschen voller Verstärker aneinander, schleppte sie über die Bühne und peitschte die Gitarre aus.« Während die Band ohrenbetäubende Dezibel abfeuerte, mischte sich Ellison unter die feindseligen deutschen Zuschauer, kämpfte sich durch ein Meer von wütenden Fäusten und riss dabei voller Freude Kissen auseinander, mit deren Federn er um sich warf. Nach einem besonders wilden Auftritt sahen The Who sich gezwungen, ihr Set mit »My Generation« zu beginnen, eigentlich der abschließende Höhepunkt ihrer Show. »Nur so konnten sie weitermachen«, so Bolan. »Die Bühne war voll von Federn, Büstenhaltern und anderem Zeug.« Ellison erinnert sich, dass The-Who-Manager Kit Lambert John’s Children warnte, dass er sie feuern würde, wenn sie so weitermachten. »Aber wir konnten nicht aufhören. Wir wollten herausfinden, wie weit wir es treiben konnten.«
Der teuer erkaufte Sieg kam beim nächsten Konzert, in Ludwigshafen. »Die Bereitschaftspolizei wurde gerufen. 20.000 Leute drehten durch«, erzählt Ellison. »Wir wurden verletzt. Zuschauer stiegen auf die Bühne und attackierten uns. Wir mussten uns dünne machen. Während wir versuchten, da rauszukommen, sah ich, wie Wasserwerfer durch die Fenster schossen, während Stühle nach draußen geworfen wurden.« Weil die Band nun gezwungen war, Westdeutschland möglichst schnell zu verlassen, ließen sie ihr Equipment zurück.
Fast sofort nach ihrer Rückkehr nach Großbritannien stieg Bolan aus. Vielleicht hatte er begriffen, dass Bands wie John’s Children – auch wenn sie aufregend waren – zu unkoordiniert waren, um erfolgreich zu sein. Dass »Desdemona« kein Hit wurde, leistete seinen Beitrag zu dem Gefühl, dass sich die Gruppe auf dem Holzweg befand.
Auch die Musikwelt befand sich im Umbruch. Das ungehobelte Auftreten von den frühen Who und Stones verschwand, versiertes musikalisches Handwerk und im Studio geschliffene Produktionen nahmen zu, etwa im Fall von Eric Clapton und Jeff Beck, nachdem sie bei den Yardbirds ausgestiegen waren. Dann gab es noch Bands wie Procol Harum und Traffic, die »reifen« Beatles mit ihren Schnauzbärten oder die Fusion von Gewalt und Virtuosität, die sich The Jimi Hendrix Experience auf die Fahnen geschrieben hatten. John’s Children hingegen nahm keiner ernst.
Dennoch sah Bolan seine kurze Zeit mit der Band als wegweisend. 1971 erklärte er ZigZag : »Alles, was ich [mit T. Rex] tue, ist im Prinzip John’s Children nachzubilden oder das, was ich mir von John’s Children erhofft hatte, als ich bei ihnen anfing.« Von John’s Children zu T. Rex nahm er allerdings einen langen Umweg über seine neue Band Tyrannosaurus Rex.
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