Auf ihrem Weg zu den ewigen Gelübden machte sich Angelica die Selbstvergessenheit und die Selbstverleugnung des Ordenslebens zu eigen. Sogar die Demütigungen von Mutter Clare waren nun leichter zu ertragen.
Da sie der Überzeugung war, dass „diejenigen, die Leitungsaufgaben übernehmen werden, gedemütigt werden müssen“, musste die neunundsiebzigjährige Äbtissin bei Schwester Angelica wohl schon Führungsqualitäten entdeckt haben. Einmal sagte sie zu ihr: „Schwester, wenn Sie Ihr Betragen nicht ändern, werde ich Ihren Namen ändern.“
„Wenn Mutter Clare etwas gegen die Gemeinschaft vorzubringen hatte, musste Angelica ihren Kopf hinhalten“, erinnerte sich Joan Frank, eine ehemalige Nonne des Klosters St. Klara. „Wenn alle das Gleiche getan hatten, wurde Angelica als Einzige herausgegriffen.“
Doch trotz einer solch strengen Behandlung hatte die Äbtissin eine große Achtung vor der neunundzwanzigjährigen Nonne. Als Zeichen des Vertrauens in Angelicas Führungsqualitäten beauftragte Mutter Clare sie mit der Organisation der Arbeitseinteilung für die Schwestern. Auf eigene Faust führte Angelica einmal eine Gruppe von Nonnen als Putzkolonne in den Keller. Eine der Schwestern, die von einem anderen Orden übergetreten war, protestierte gegen diese Arbeit und beschwerte sich bei Mutter Clare.
Die Äbtissin entzog Schwester Angelica umgehend ihren Posten. Die Nonne vergoss in ihrer Zelle wütende Tränen wegen dieser Zurückweisung. „Ich meinte, das getan zu haben, was Mutter Clare von mir wollte, und nun war ich arbeitslos“, erzählte mir Mutter Angelica.
Die Stellvertreterin von Mutter Clare, Mutter Luka, schob sich leise in Schwester Angelicas Zimmer mit dem üblichen mitfühlenden und zerknirschten Gesichtsausdruck. Die alte Nonne setzte sich auf den Bettrand und tröstete sie: „Angelica, eines Tages werden Sie eine gute Oberin sein, aber eben jetzt noch nicht.“
Angelica wäre schon damit zufrieden gewesen, wenn sie endlich den Rang einer Professschwester erreicht hätte. „Es war mir völlig egal, ob ich jemals Oberin werden würde. Das war damals meine Einstellung.“
Nach fast neun Jahren im Kloster erreichte Angelica ihr Ziel und legte am Freitag, dem 2. Januar 1953, ihre ewigen Gelübde in der neuen Kapelle ab. Ihr alter Seelenführer, Monsignore George Habig, fungierte als Zelebrant. Angelica versprach „während des (ihres) ganzen Lebens… in Gehorsam, Armut und Keuschheit zu leben“. Auf dem Höhepunkt der Feier lag Angelica ausgestreckt auf dem Boden, und die Schwestern breiteten ein schwarzes Tuch über sie aus. Die Symbolik dieses Sterbens für diese Welt und des Eintretens in ein neues Leben hinterließ einen tiefen Eindruck bei der Nonne, die die feierliche Profess abgelegt hatte – auch wenn ihr Magen zu dieser Zeit flatterte.
„Irgendjemand beschloss, einen jener Geldgürtel mit all diesen Gebetsanliegen an meinem Bauch zu befestigen. Meine Mutter hatte welche hineingepackt, meine Tante und mein Onkel, die Schwestern und alle meine ehemaligen Schulkameraden“, sagte Angelica. „Ich habe mich gebückt, doch mein Bauch berührte nicht einmal den Boden.“
Am 12. August 1953 reiste Schwester Angelicas Freundin, Mutter Veronica, von Canton ab, um in Washington ein neues Kloster zu gründen. Wie Waisenkinder wurde die Gruppe der Novizinnen in den Händen von Mutter Mary Immaculata zurückgelassen. Die Schwestern vermissten die mütterliche Wärme Veronicas. Sie waren jetzt einer Nonne ausgeliefert, die sie als „stur“, „melancholisch“, „sarkastisch“ beziehungsweise als „hartnäckige Perfektionistin“ schilderten.
Als Lehrerin aus Irland trug Mutter Mary Immaculata tatsächlich den treffenden Namen. In ihrer Kleidung und ihrem Benehmen war sie makellos. Von ihren Schützlingen erwartete sie nichts Geringeres als absolute Perfektion. Obwohl sie in Canton eines Tages eine beliebte Äbtissin werden sollte, konnte sie zu dieser Zeit jedenfalls noch ungewöhnlich streng zu den Novizinnen sein.
„Mutter Immaculata ließ mich glauben, dass ich eines Tages in die Hölle käme“, erinnerte sich Mutter Angelica klagend.
Mutter Veronicas Weggang und ihr Vorhaben, in Washington ein neues Kloster aufzubauen, gaben Schwester Angelica schon 1953 den Anstoß, über ein neues Kloster nachzudenken, das eine besondere Ausrichtung haben sollte. Joan Frank erinnerte sich, wie sie mit Angelica im Garten arbeitete, als die junge Schwester zum ersten Mal die Möglichkeit erwähnte, „ein Kloster für kleine Neger [ sic !] unten im Süden“ zu gründen. Sie stellte sich vor, dort gezielt schwarze Schwestern für das kontemplative Leben anzuwerben. „Sie war alles andere als rassistisch eingestellt. Über schwarze Menschen sprach sie immer sehr liebevoll“, erinnerte sich Frank.
„Ihre Mutter mochte die Schwarzen gern“, erzählte Schwester Michael. „Ich glaube, dies färbte sich vermutlich auch auf Schwester Angelica ab.“ Die Beobachtung, wie Mae Francis völlig ungezwungen mit den Schwarzen umging und mit ihnen befreundet war, bevor es überhaupt Ansätze zu einer gesellschaftlichen Integration gab, legte sicher das Fundament für Angelicas Idee. Wie die von der Gemeinschaft abgehaltene Veranstaltung zur Rassenintegration zeigte, bestand im Kloster St. Klara ein Interesse an der Rassenfrage. Dies bestärkte Schwester Angelica sicher noch in ihrer Vision. Sie erwähnte gegenüber den ihr freundlich gesinnten Nonnen vorsichtig die Möglichkeit einer Neugründung im Süden, doch vorläufig blieb es beim Gespräch und ging nicht darüber hinaus.
Dann sollte eines Nachmittags im Jahre 1953 die Vorsehung abermals schmerzvoll in das Leben von Schwester Mary Angelica einwirken, und zwar mit nachhaltigen Folgen. Sie war mit der Reinigung des Ganges und der Schlafzimmer in der Novizinnenabteilung im zweiten Stock beauftragt und wählte eine moderne Reinigungsmethode. Um die Arbeit zu beschleunigen, goss sie Seifenwasser auf den Fußboden und steuerte eine elektrische Scheuermaschine darüber. Sie besaß die nötige Körpergröße und war wohl auch kräftig genug, um diese bockige Maschine zu beherrschen. Als sie dieses Gerät in engen Streifen hin und her durch den Schaum schob, verfing sich das Kabel in den Bürsten. Die schwere Maschine bockte und zitterte, und Angelica verlor das Gleichgewicht.
„Die ganze Maschine ging hoch, der Haltegriff traf mich in den Magen und warf mich auf diesen rutschigen Fußboden“, erklärte Angelica und zuckte zusammen, als sie daran dachte, was danach geschah. „Ich fiel also hin und verspürte einen großen Schmerz.“ Die linke Seite ihres Rückens tat weh. Der Schmerz strahlte unten vom Rücken bis auf die Mitte ihres linken Beines aus. Angelica stützte sich an der Wand ab, um wieder auf die Beine zu kommen. Sie schaffte es auch. Dann schleppte sie sich zu der umgekippten Maschine, stellte sie wieder auf und beendete ihre Arbeit. Sie dachte, die Rückenschmerzen würden schon von alleine wieder verschwinden. Drei Jahre später wartete sie noch immer darauf.
Ende 1953 litt Mutter Clare wieder unter ihren alten gesundheitlichen Problemen. Die Äbtissin erlitt zwei Herzinfarkte und kam schwer angeschlagen in die Gemeinschaft zurück. In ihrem geschwächten Zustand wandte sie sich ruhig an Schwester Angelica, ihre so oft gedemütigte Tochter, damit diese bei der Führung einsprang.
Die Befreiung der Gefangenen
Im Herbst 1953 hatten elf Novizinnen St. Klara verlassen, um dem strengen Regiment von Schwester Mary Immaculata, der Novizenmeisterin, zu entkommen. Die Nonnen, die in dieser „extrem strengen“ Umgebung zurückgeblieben waren, litten an Darmerkrankungen, Weinkrämpfen und Gefühlen des Unwürdigseins. Die dauernden Verweise und das unnötige Hervorheben von kleinen Schwächen führte bei einer der Schwestern zu einem Nervenzusammenbruch und ebnete den Weg für einen weiteren. „Es war so eine Art Sklaverei“, wie es Schwester Raphael nannte.
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