„Apfelmus“, sagte Schwester Rita insgeheim manchmal zu sich, nachdem sie diese Litanei beendet hatte. Diese Buße sollte nun „Montag für Montag für Montag“ wiederholt werden, bis die Nonne das Gesagte als Wahrheit anerkannte. Während diese Prüfungen ihre Gefährtinnen zu Tränen rührten, ließ sich Schwester Rita durch sie weder kleinkriegen noch besonders beeindrucken.
„Mein ganzes Leben stand im Zeichen des Überlebens, und ich glaubte, dass dieser Überlebenskampf jetzt einfach nur an einem anderen Ort stattfand“, erzählte mir Mutter Angelica. „Im Kloster hatte ich viel Sicherheit, und ich musste mich um nichts kümmern.“
Doch nach nur einem Monat Aufenthalt im Kloster erkrankte Rita an einer Lungenentzündung. In den Akten des Klosters steht, dass sie „die Erlaubnis bekam, ins Krankenhaus zu gehen“. Einige Zeit später verließ sie nach einer Halsentzündung die Klausur zum zweiten Mal, um sich die Mandeln entfernen zu lassen. Die schwache Gesundheit der Postulantin wurde für ihre Vorgesetzten allmählich ein Grund zur Besorgnis.
Gegen Ende des Monats September 1944 wurde Rita in das Sprechzimmer gerufen. Da es vorgeschrieben war, bei Besuchen von Gästen immer eine Aufsichtsperson bei sich zu haben, kam Rita in Begleitung von Schwester Veronica. Auf der anderen Seite des geöffneten Gitters saß Onkel Nick Gianfrancesco. In seinen tief eingesunkenen Augen war ein Schimmer von Trauer zu bemerken. Er war gekommen, um Rita mitzuteilen, dass Großmutter Gianfrancesco verstorben war und versuchte als Maes Abgesandter, sie zu überreden, nach Hause zurückzukehren. Doch irgendwie fand er nicht die richtigen Worte. Fast eine Stunde lang, während Rita über den neuen gekürzten schwarzen Schleier sprach, den sie gerade erst erhalten hatte, sowie über die Schönheiten des Klosters, weinte Onkel Nick, als wäre er bei einer Beerdigung. Auf Nick Gianfrancesco musste die ungewohnte Umgebung wie ein Gefängnis gewirkt haben.
„Bist du denn hier glücklich?“, fragte er schluchzend.
„Oh ja, Onkel Nick!“
Beruhigt tupfte er sich die Tränen ab und fuhr wieder zurück nach Canton.
Dort konnte Mae Francis Ritas Entschluss noch immer nicht begreifen und akzeptieren. Die erfahrene Äbtissin, die die Familiensituation ganz richtig einschätzte, schrieb an Mae und lud sie ein, das Kloster anlässlich der Feier der Einkleidung einer anderen Schwester zu besuchen. Die Äbtissin beabsichtigte, der Mutter das klösterliche Leben vorzustellen, um langsam ihre ablehnende Haltung zu ändern.
Im November 1944 gab Mae schließlich ihre Ablehnung auf und fuhr nach Cleveland. Sie durfte zwar Mutter Agnes, aber nicht Rita, sehen. Um Maes Enttäuschung ein wenig abzumildern, bemühte sich die Äbtissin „außergewöhnlich um sie“. Mit Güte und Freundlichkeit versuchte sie, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Allmählich ließ Maes Widerstand gegenüber Ritas Berufung nach. Bei ihren Aufenthalten im Kloster bewohnte Mae ein Zimmer außerhalb der Klausur. Sie fühlte sich als Teil der Klosterfamilie und fing langsam an, Ritas Entscheidung zu verstehen.
Während ihrer ganzen Postulatszeit vertiefte sich Rita in geistliche Schriften. Sie studierte einfach alles, angefangen von den Lebensbeschreibungen der Heiligen bis hin zu der Regel ihres Ordens. Diese Werke, gepaart mit „einer äußerst strengen Lebensweise“, formten Rita in ihrer neuentdeckten franziskanischen Spiritualität. Sie passte sich an das Leben hinter den Klostermauern an und bemühte sich, den starken Charakter zu unterdrücken, mit dem sie sich bei ihren Arbeitskollegen und Freunden in Canton so beliebt gemacht hatte. Doch nun kamen Risse zum Vorschein.
Am 28. Dezember, dem Fest der Unschuldigen Kinder, gingen die älteren Schwestern nach oben in das Noviziat, um mit den Postulantinnen und den Novizinnen zusammenzusein. „Meine Güte, bist du ruhig“, sagte eine der Nonnen zu Schwester Rita. „Ja, und ich muss auch nichts bereuen“, gab Rita schlagfertig zurück und spielte auf die im Kloster üblichen Selbstbeschuldigungen an.
Es war für sie eine Herausforderung, die barsche Seite ihrer Persönlichkeit im Zaum zu halten. Dazu kam ein gesundheitliches Problem, das ihr seit Anfang Dezember zusetzte. Dies verstärkte nur noch Schwester Ritas Wunderlichkeit. Durch das ständige Knien während der täglichen Gebetszeiten, bei den Bußübungen und bei diversen Arbeiten sammelte sich Flüssigkeit in Ritas Knien, die anschwollen. Später beschrieb Mutter Angelica sie als „zwei aufgeblähte, mit Wasser gefüllte Pampelmusen“. Sie konnte zwar einigermaßen gehen, doch das Hinknien wurde unmöglich – und Knien war zu dieser Zeit ein wesentlicher Bestandteil des kontemplativen Lebens.
Eine Konferenz der Professschwestern, bei dem über Schwester Ritas Aufnahme in das Noviziat abgestimmt werden sollte, war für Februar 1945 vorgesehen. Doch ihre schlimmen Knie und andere Gesundheitsprobleme machten eine Verschiebung der Abstimmung nötig.
„Damals bedeutete Gesundheit einfach alles“, bemerkte Mutter Angelica. „Wenn man gesund war, war man auch berufen.“
Für den Augenblick war Schwester Ritas Berufung ernstlich gefährdet.
Jeden Freitag wurden die Botschaften, die Rhoda Wise bei ihren schmerzhaften Ekstasen empfing, von ihren Anhängern gierig verschlungen. Wie menschliche Telegrafen verbreiteten ihre Verehrer die wöchentlichen Botschaften weit über die Grenzen Cantons hinaus. Für Gläubige waren es Mitteilungen des Allmächtigen. Mutter Agnes, die Äbtissin des Klosters St. Paul, hielt sich selbst auch für eine solche Gläubige.
Eines Nachmittags, als Schwester Rita noch Postulantin war, wurde sie ins Büro der Äbtissin gebeten.
„Beleidigt dich hier jemand?“, fragte Mutter Agnes besorgt und schaute dabei prüfend durch ihre mit Draht eingefasste Brille.
„Nein, Mutter Oberin.“
„Denk nach“, hakte die Äbtissin mit ihrem abgehackten deutschen Akzent nach. „Beleidigt dich hier irgendjemand?“
„Nein“, erwiderte Schwester Rita. Es klang, als würde sie eines Verbrechens angeklagt, das sie nicht begangen hatte.
„Bist du ganz sicher?“
„Ja, Mutter Oberin.“
„Nun, dann weiß ich auch nicht weiter.“ Mutter Agnes zeigte einen besorgten Gesichtsausdruck.
„Schwester Agnes hatte Frau Wise besucht, als diese die Todesqualen der Passion Christi erlitt, und der Herr sagte zu ihr: ‚Sag‘ Rita, jeder kleinste Kummer wird aus ihrem Herzen getilgt werden. Für jede Beleidigung, jeden Herzenskummer gibt es mehr Sterne.‘“ Weder Schwester Rita noch Mutter Agnes konnten zu dieser Zeit die Botschaft entschlüsseln, doch die Sterne tauchten auf.
Im Frühling 1945, an Ritas zweiundzwanzigstem Geburtstag, besuchte Mae Francis ihre Tochter endlich und konnte mit ihr durch das Fenstergitter im Empfangszimmer sprechen. Sie erzählte von zu Hause, sprach von den Kämpfen, die sie beide überstanden hatten und über das Leben, das Rita gewählt hatte. Mae vermisste ihre Tochter, doch sie erkannte die Sinnlosigkeit, gegen Ritas Berufung anzukämpfen. In einem Tagebucheintrag, den sie noch am selben Abend verfasste, gab sie ihre Tochter frei:
20. April 1945
An den König der Könige im Allerheiligsten Altarsakrament Eure Majestät,
heute übergebe ich Dir meine geliebte Tochter an ihrem zweiundzwanzigsten Geburtstag. Ich gebe Dir frohgemut, was Du wolltest und was Du in meine Obhut gegeben hast. Ich habe versucht, mein Bestes zu geben, als ich sie großzog, so gut ich es konnte. Vergib mir, lieber Herr, heute all die Beleidigungen, die ich Dir angetan habe. Ich danke Dir auch für die tiefe Wunde, die Du in mein Herz gesenkt hast. Ich bitte Dich, schütte an allen Tagen ihres Lebens viele Gnaden und viel Segen über sie aus und segne auch all jene, die Du als ihre Vorgesetzten ausgewählt hast. Ich segne sie auch, denn ich bitte Dich demütig nur um die Brosamen, denn ich weiß, dass Du mich liebst. Ich bitte Dich heute demütig um die Gnade, Dich immer mehr zu lieben und um die Gnade, viele Seelen für Dich zu gewinnen.
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