Er nimmt eine Zigarette aus der Schachtel, aber wie üblich vergisst er, sie anzustecken. Allmählich beruhigt er sich wieder. Am Ende muss er sogar lächeln.
»Sie muss sich wirklich gefragt haben, wie ich …«
Es war gleichzeitig ein Gefühl der Zufriedenheit und der Wut: das Gefühl, gegen einen starken Gegner gekämpft zu haben; das Gefühl, es mit einem Ebenbürtigen zu tun gehabt zu haben.
Und diesmal hat keiner verloren!
Zumindest hat Émile die Juwelen wiedergefunden, und das war alles, was die Versicherung von ihm verlangt hat. Aber Dolly … Aber war es Dolly? Oder Denise? Wie auch immer, inzwischen hatte sie genug Zeit, über die Grenze zu kommen.
Er würde sie wahrscheinlich nie wiedersehen.
Wie würde sie ihn in Erinnerung behalten?
Wie würde er sie in Erinnerung behalten?
»Was soll ich jetzt tun, Chef?«, will Torrence wissen.
»Du rufst jetzt besser die Versicherung an. Bitte sie, jemanden vorbeizuschicken, der dich nach Dunkerque begleiten soll. Du wirst ihnen sagen, dass … Nun, dass du letzte Nacht, dank deiner besonderen Vorgehensweise und der unvergleichlichen Organisation der Agence O, entdeckt hast, dass …«
»Der Direktor der Kriminalpolizei wird sicher wissen wollen, was aus der jungen Frau geworden ist.«
»Tja, sag ihm einfach die Wahrheit. Sag ihm, dass du keinen blassen Schimmer hast!«
In dem Moment klingelt es an der Tür. Barbet kann nicht aufmachen, denn er überwacht immer noch das Majestic. Also öffnet Émile selbst, ohne daran zu denken, dass er immer noch seinen Smoking trägt.
»Sie möchten den Chef sprechen? Wen darf ich melden? Bitte nehmen Sie Platz, ich sehe mal nach, ob er Sie empfangen kann.«
Deutsch von Sabine Schmidt
Der Schuppen am Teich
I Wo Torrence und sein Fotograf Émile sich trotz arktischer Kälte und in einer wenig einladenden Landschaft auf die Suche nach einer Leiche machen
»Verdammter Beruf, Saftladen, verdammter«, knurrt Torrence, als er an Longjumeau vorbeifährt und ein gemütliches kleines Bistro bemerkt, dem er einen sehnsüchtigen Blick zuwirft. In der Nacht ist das Thermometer auf etwa zwanzig Grad minus gefallen. Es ist zehn Uhr morgens. Der Himmel fahl, die Schottersteine von eisigem Weiß, Torrence’ Nase beunruhigend violett. Er sitzt allerdings auch in einem kleinen offenen Auto und muss alle paar Kilometer die Eisschicht abkratzen, die sich auf der Windschutzscheibe bildet.
»Von welchem Laden sprechen Sie?«, fragt sein großer, magerer Reisegefährte freundlich, der fabelhafte Émile, der einen riesigen Fotoapparat mit sich schleppt.
»Von der Agence O, mein Gott! Hätte uns der Chef nicht wenigstens ein anständiges Auto geben können?«
Und Émile seufzt theatralisch:
»Ich frage mich, ob der Chef nicht recht hat … Gewisse Leute, vor allem solche, die ein wenig breit sind und den guten Dingen gern zusprechen, scheinen ärgerlicherweise die Neigung zu haben, in allzu bequemen Fahrzeugen am Steuer einzuschlafen …«
Das gilt dem kräftigen, sanguinischen Torrence. Was den Chef der berühmten Detektei Agence O betrifft, so würde alle Welt wohl staunen zu erfahren, dass das niemand anders ist als der Fotograf Émile, der sich so bescheiden gibt und nur in abgetragenen Kleidern herumläuft.
»Entweder ist dieser Anruf eine Finte«, knurrt Torrence, weil er an diesem Morgen offenbar mit dem falschen Fuß aufgestanden ist, »oder wir haben es mit einer verrückten Alten zu tun …«
Jedenfalls ein sehr seltsamer Anruf. Torrence saß in seinem schönen warmen Büro. Émile befand sich in seinem kleinen Hinterzimmer, von wo er alles sehen und alles hören konnte, und war dabei, sorgfältig einen Bleistift zu spitzen. Das Telefon klingelte. Sie nahmen gleichzeitig ab, denn sie hatten eine gemeinsame Leitung.
»Hallo … Agence O? Kann ich mit Inspektor Torrence sprechen?« Torrence trug nämlich für viele immer noch seine alte Amtsbezeichnung der Kriminalpolizei, wo er lange der Mitarbeiter Maigrets gewesen war.
»Hallo, ja, am Apparat …«
»Warten Sie, ich muss erst sicher sein, dass er immer noch da ist …«
»Hallo? Von wem sprechen Sie?«
»Ich schaue kurz aus dem Fenster … Ja, ich sehe ihn … Wundern Sie sich nicht, wenn wir plötzlich unterbrochen werden, und vor allem, rufen Sie nicht zurück … Hier ist Marie Dossin … Ja, mit zwei s … Maison du Lac, bei Ingrannes, im Wald von Orléans … Die Leute hier halten es für ein Schloss, sie nennen es Château du Lac … Sie müssen kommen, aber bitte versprechen Sie mir, dass Sie der Polizei nichts sagen! Heute Morgen habe ich eine Leiche im Schuppen entdeckt … Hallo?«
»Ich höre …«
Unterdessen schreibt Émile, der alles genau nimmt, ein stenographisches Protokoll dieser seltsamen Mitteilung.
»Hallo! Mein Mann darf nicht wissen, dass ich mit Ihnen spreche … Ich beobachte ihn die ganze Zeit aus dem Fenster … Er weiß nicht, dass ich es weiß, verstehen Sie?«
»Um wessen Leiche handelt es sich?«
»Ich glaube … Ich habe sie nicht deutlich gesehen, es war halb dunkel, aber ich glaube, es ist die von Jean Marchons, einem Freund von uns. Er hängt an einem Balken …«
»Hm … Also ein Suizid?«
»Ich weiß nicht … Ich glaube nicht … Kommen Sie … Bevor Sie zum Schloss kommen, gehen Sie zum Schuppen, direkt am Ufer des Teichs. Sie werden ihn ganz leicht finden. Die Tür ist nicht abgeschlossen. Ich habe Angst … Achtung! Ich glaube, er kommt zurück …«
Arpajon … Étampes … Pithiviers … Sie haben den Eindruck, allein auf der Straße zu sein, und wenn doch einmal ein Wagen überholt, sind es Pariser auf dem Weg zur Entenjagd. Der Wald ist alles andere als einladend, mit seinen schwarzen Stämmen, die sich vor dem Weiß des Himmels abzeichnen. Nachdem sie das Auto neben der Kirche von Ingrannes geparkt haben, betreten die beiden Männer den Gasthof.
Vielleicht ist dieser Landstrich zu anderen Zeiten einnehmender, aber bei dem derzeit herrschenden Wetter wirkt alles nur schwarz und weiß wie ein Trauerbrief, und die Alte, die ihnen den Rum bringt, ist auch kein erfreulicher Anblick.
»Das Schloss am See? Biegen Sie bei der nächsten Kreuzung links ab, fahren Sie zum Wald des Gehängten Wolfs …«
Sieh an! Man hängt hier sogar Wölfe!
»Kennen Sie Monsieur Dossin?«
»Warum sollte ich ihn nicht kennen?«
Die beiden Männer tauschen bei dieser ziemlich unerwarteten Antwort einen Blick.
»Und Madame Dossin?«
»Was wollen Sie von Madame Dossin?«
»Nichts … Wir werden ihr vielleicht einen Besuch abstatten. Wohnen die beiden schon lange hier?«
»Kann sein …«
»Ein Freund der beiden, Monsieur Jean Marchons, hat uns gesagt …«
Sie verzieht keine Miene, beide Hände liegen auf ihrem runden Bauch.
»Sie kennen Monsieur Marchons?«, fragt Torrence hartnäckig weiter.
»Man kann nicht alle Leute kennen.«
Nach diesem überwältigenden Erfolg fahren sie in ihrem kleinen Auto mit knirschenden Reifen auf dem hart gewordenen Schnee der Forststraßen dahin. Die Heizung qualmt wie eine Lokomotive. Von Zeit zu Zeit kommen sie auf der vereisten Fahrbahn ins Schleudern.
»Sehen Sie irgendwo ein Schloss?«
Eine halbe Stunde lang drehen sie sich im Kreis und landen schließlich wieder auf dem Hauptplatz von Ingrannes, wo sie beschließen, mit einem zweiten Glas Rum gegen die Kälte anzukämpfen.
»Na? Haben Sie ihn gesehen?«, fragt die Wirtin, die so aussieht, als würde sie höchstens ein Mal pro Jahr lächeln.
»Wen?«
»Monsieur Dossin … Gerade ist er hinausgegangen …«
»War er allein?«
»Warum sollte der Mann nicht allein sein? Ich habe ihm gesagt, dass er Besuch bekommt.«
Diesmal fragen sie eingehender nach dem Weg, und nach ein paar Minuten sehen sie die zugefrorene Fläche eines recht großen Teichs, dem man die eindrucksvollere Bezeichnung See gegeben hatte. Rechts davon, hinter einem Tannenwald, entdecken sie die Schieferdächer eines offenbar recht großen Anwesens. Dort bellt ein Hund, als sich das Auto nähert.
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