Lutz Kreutzer - Taubenblut

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Ein thailändischer Guru mit deutschen Wurzeln und deutschem Pass kommt nach Bayern in die Heimat seines verstorbenen Vaters und eröffnet ein Bordell. Seine Mädchen sind ausnahmslos Katoeys, also Transvestiten, für die der Guru eine breite Kundschaft sieht. Sein Etablissement im katholischen Herzen Oberbayerns ist bald ein großer Erfolg. Eigentlich jedoch dient das Ganze nur zur Tarnung, um Taubenblut-Rubine illegal nach Deutschland zu schmuggeln, die hier veredelt und geschliffen werden. Bald werden zwei Katoeys in einem Baggersee tot aufgefunden, an einen Grabstein gefesselt.
Friedrich Sperber, unkonventioneller und querdenkender Wissenschaftler beim bayerischen Landeskriminalamt, übernimmt den Fall. Sperber und seine Kollegen kommen dahinter, dass ein Staatssekretär und seine Freunde die Finger im Spiel haben. Und zwar tiefer als man denken sollte. Und was hat die Schwester des Staatssekretärs, die stellvertretende Chefnonne von der Fraueninsel, und ein gestrauchelter Albaner mit der Sache zu tun?
Ein weiterer Mord geschieht, diesmal an einem Althippie und Esoteriker, der mit den Rubinen handelt. Bald fällt der Verdacht auf den Vertrauten des Gurus. Doch das alles stellt sich als falsch heraus, und die Überraschung wird erst am Ende der spannenden und skurrilen Story aufgedeckt.
Rubine aus Birma (Myanmar) sind die wertvollsten der Welt. Der Wert dieser Steine, wegen ihres bläulichen Schimmers Taubenblut genannt, übersteigt den von gleichschweren Diamanten erheblich. Es handelt sich also um die wertvollsten Edelsteine der Erde. Der Handel in Mitteleuropa ist nur einigen wenigen Experten möglich, weshalb dieses Geschäft mehr im Verschwiegenen blüht.

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TAUBENBLUT Kriminalroman von Lutz Kreutzer Sechskommafünf Sommer 1987 Es - фото 1

TAUBENBLUT

Kriminalroman

von

Lutz Kreutzer

Sechskommafünf

Sommer 1987

Es klang wie Donner. Sperbers Beine zitterten. Die Stollenwände bewegten sich hin und her, und der Boden rollte auf ihn zu. Sperber drückte seinen Hut tiefer in die Stirn, schlug McMullen von hinten auf die Schulter und schrie: »Raus hier!«

Ein Felsbrocken brach aus der Decke. McMullen strauchelte und stürzte in den Staub. Das Bruchstück krachte auf eine Schiene der Lorenbahn und kippte zur Seite. McMullen schrie auf, seine Wade war eingeklemmt. Sperber riss an McMullens Fuß, so dass dieser stöhnte und für einige Sekunden in Ohnmacht fiel. Endlich bekam er McMullens Bein frei, packte ihn am Kragen, hievte ihn hoch und schleppte ihn auf das helle Loch zu, das sich in der Staubwolke vor ihnen auftat.

Das Poltern herabfallender Steine war ohrenbetäubend. Schreie von Panik und Schmerz hallten hinter ihnen. Deckenbalken barsten, Holzbohlen knarrten. Sperber ächzte unter der Last McMullens, dessen Arm er fest auf seine Schultern presste. Er biss die Zähne zusammen und zog seinen Freund in Richtung Licht, rang nach Luft und schwankte. Seine Atemwege waren so verklebt, so dass er spuckte und röchelte. Der Staub unter seinen Lidern rieb ihm die Augen wund. McMullen kam wieder zu sich, war immer noch benommen und hustete sich die Lunge aus dem Leib. Dann waren sie draußen.

Zwanzig Meter weiter ließ Sperber McMullen auf den Boden gleiten. Schließlich hörte die Erde auf zu beben. Das Grollen verhallte, und einige Sekunden war Totenstille. Danach begannen die Vögel wieder zu zwitschern.

»Nur ’ne Fleischwunde«, sagte McMullen beiläufig, obwohl die Wade stark blutete. Als er sie vorsichtig inspizierte, verzog er das Gesicht und sog die Luft ein.

Sperbers Kraft war gewichen. Seine Arme zitterten, die Beine wollten ihn nicht mehr tragen. Sein Verstand verschwamm hinter einem Dunst aus Gedankenfetzen. Angst bahnte sich ihren Weg und ließ ihn schwitzten wie ein Pferd. Seine dunklen Haare waren tropfnass und klebten vor Dreck. Sein schwarzer Fedora hatte eine weiße Kruste angesetzt. Als er den Hut abnahm, liefen ihm Schweißtropfen in die brennenden Augen. In dem Gesteinsmehl, das in seinem Gesicht klebte, hatten sich Rinnsale gebildet. Er nahm einen Flachmann aus der Hosentasche und reichte ihn McMullen. »Glück gehabt. Die Ärzte hier in Birma sollen ja nicht die besten sein«, keuchte er.

McMullen schraubte den Flachmann auf, goss den Inhalt über die Wunde und stöhnte.

Ein Soldat winkte zwei Sanitäter herbei, die McMullen das Bein verbanden. Er trank einen Schluck und blinzelte Sperber an. »Du verdammter Irrer«, stammelte er mit einem gehetzten Lachen.

Sperber stand langsam auf, klopfte sich den Staub von den Ärmeln und taumelte zum Stolleneingang zurück. Er schrie hinein und bekam Antwort. Nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er die vier Arbeiter auf sich zuwanken. Sie stützten sich gegenseitig und sahen aus, als hätte man sie in Puderzucker gewälzt.

Gott sei Dank, raste es durch seinen Kopf. Sie hatten es alle geschafft. Verletzt, aber lebendig. Die Arbeiter taumelten aus dem Stollentor, husteten heftig, schlurften an Sperber vorbei und legten sich zu McMullen auf den Boden. Auch ihre Wunden wurden von den Sanitätern versorgt. Begierig tranken sie aus den Wasserflaschen, die ein weiterer Soldat herbeigebracht hatte.

Sperber ging zurück zu den anderen. Dann sah er noch einmal zum Schlund des Stollens hinüber, aus dem immer noch der Marmorstaub quoll. »Mindestens Sechskommafünf«, murmelte er fast ungläubig.

»Sechskommafünf was?«, fragte der birmanische Militär-Dolmetscher.

»Richterskala«, ergänzte McMullen und spuckte.

»Bei einem solchen Beben ist vor mehr als hundert Jahren eure alte Hauptstadt ›Ava‹ dem Erdboden gleich gemacht worden«, brummte Sperber. »Zweihundert Kilometer von hier entfernt.« Er winkte einen der Arbeiter heran und erklärte ihm kurz etwas. Der Mann nickte und entfernte sich. Nach ein paar Minuten kam er mit zwei Flaschen zurück. Alle tranken jetzt von Sperbers bestem Scotch, einer nach dem anderen. Sie lehnten sich zurück und ruhten sich aus. In Kürze waren sie alle von der Unbarmherzigkeit ihrer Gedanken und der Gnade des Whiskys besoffen.

»Wir haben’s überlebt!«, sagte McMullen und lachte. Danach ging alles leichter. Sie würden den Tag durchhalten, dachte Sperber. Dann hörten sie ein Krachen. Der Stollen brach zusammen, so dass der Wind ihm den Hut vom Kopf blies.

Ehre

Herbst 2010

Der Morgentau lag noch auf den Wiesen, durch die rauschenden Bäume blitzte hier und da die Sonne. In den Senken hing der Nebel wie Schaum. Bunte Blätter segelten durch die würzige Luft des Hochgebirges. An diesem sonnigen Tag kehrte Adnan Curri reumütig zu seiner Mutter zurück. Ihr Bauernhaus klebte an einem Hang in einem kleinen Dorf im Prokletije , den ›Verwunschenen Bergen‹ Albaniens.

Adnans Herz bebte. Würde seine Mutter ihn freundlich aufnehmen? Nachdem er ein Jahr zuvor verzweifelt aus seinem Dorf davongelaufen war, war er in Tirana schnell auf die schiefe Bahn geraten. Allein auf den Straßen der Hauptstadt wurde er von einem Mann mit einer sanften Stimme angesprochen. Er brachte ihn in sein Haus, gab ihm gutes Essen und bot ihm ein Bett an. Nach drei Tagen hatte er ihm eine Ausbildung eingeredet. Naiv und dankbar, wie Adnan war, nahm er an. Fast ein Jahr lang schulte man ihn im Einbruch, im Raub, im Umgang mit Messern und im Nahkampf. Er war an die Mafia geraten. Als ihm das klar wurde, konnte er nicht mehr zurück.

Adnan war begabt, wie sein Ausbilder es nannte. Sein Kryetar wollte ihn nach Berlin schicken. Bei dem Gedanken daran hatte Adnan Heimweh bekommen, so großes Heimweh, dass ihm selbst die Schmach egal war, die ihn zuhause erwarten würde.

Er wirkte gestählt, als er nun in der verrauchten Küche vor seiner Mutter stand. In ihren Augen sah er eine Träne.

Als er sie umarmen wollte, betrat Adnans Bruder Qamil die Küche. »Was willst du hier?«, ging Qamil ihn hart an. Qamil wandte sich der Mutter zu. »Geh weg von ihm!«, befahl er ihr. »Willst du jetzt auf einmal weich werden? Du? Geh weg von ihm!«, schrie er erneut, bis die Mutter Abstand von Adnan nahm.

Pausenlos beschwor Qamil die Schande, die Adnan über sie gebracht habe. Er war nicht mehr zu stoppen. Er hetzte die Mutter so sehr gegen Adnan auf, bis aller Rest an Liebe, auf die Adnan gehofft hatte, aus ihr gewichen schien.

»Du hast dich mit Verbrechern eingelassen«, warf Qamil ihm vor. »Du weißt, dass das nach unserem Glauben hier oben eine Todsünde ist!«, schrie Qamil. »Und du hast uns alle im Stich gelassen!«, fauchte er. Die Mutter nickte.

Adnan geriet in Wut. »Ihr beide seid selbst schuld daran«, brüllte er verzweifelt, während sich seine Stimme überschlug, »dass ich euch verlassen hab!«

Qamil lachte nur hämisch.

»Weißt du eigentlich, wie du aussiehst? Hässlich und vertrocknet. Grausam bist du geworden«, hieß er Qamil. »Und du, Mutter, du bist schwach und herzlos. Eine Schande seid ihr für mich!«

Der Streit wurde heftiger. Schließlich packte die Mutter im Zorn einen Besen und prügelte mit dem Stil auf Adnan ein. Qamil ergriff eine Mistgabel und drängte ihn vom Hof.

Als er mehr fliehend als gehend sein Dorf ein zweites Mal verließ, während seine Mutter und Qamil zeternd hinter ihm herliefen, wurde er von denselben Dorffrauen bespuckt, die ihm als kleinem Jungen einst den Kopf gestreichelt hatten.

Qamil aber schwenkte seine Zigarette hin und her und schrie ihm nach: »Wenn du dich noch einmal hier sehen lässt, werde ich dich erschießen!«

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