Der Redakteur lächelte entschuldigend, und er hörte ergeben zu, wie alle durcheinander ihm die Vorgänge darstellten. Als der Lärm sich legte, setzte er an. „Da der Herr dort –“
„Doktor Heßling,“ sagte Diederich scharf.
„Nothgroschen“, murmelte der Redakteur. „Da Sie vorhin den Namen des Kaisers erwähnten, wird es die Herren interessieren, daß wieder eine Kundgebung vorliegt.“
„Ich verbitte mir jede Nörgelei!“ heischte Diederich. Der Redakteur duckte sich und legte die Hand auf die Brust. „Es handelt sich um einen Brief des Kaisers.“
„Der ist Ihnen wohl wieder mal durch einen infamen Vertrauensbruch auf den Schreibtisch geflogen?“ fragte Diederich. Nothgroschen stellte beteuernd die Hand vor sich hin. „Er ist vom Kaiser selbst zur Veröffentlichung bestimmt. Morgen früh werden Sie ihn in der Zeitung lesen. Hier ist die Druckfahne!“
„Legen Sie los, Doktor“, befahl der Major. Diederich rief: „Wieso, Doktor? Sind Sie Doktor?“ Aber man interessierte sich nur noch für den Brief, man entriß dem Redakteur den Zettel. „Bravo!“ rief Jadassohn, der noch ziemlich mühelos las. „Seine Majestät bekennt sich zum positiven Christentum.“ Pastor Zillich frohlockte so heftig, daß sich Schluckauf einstellte. „Das ist was für Heuteufel! Endlich kriegt so ein frecher Wissenschaftler, huck, was ihm gehört. An die Offenbarungsfrage machen sie sich heran. Die versteh’ ja ich kaum, huck, und ich hab’ Theologie studiert!“ Professor Kühnchen schwenkte die [pg 165]Blätter hoch in der Luft. „Meine Härn! Wenn ’ch den Brief nicht in der Klasse lesen lasse und als Aufsatzthema gebe, will’ch nicht mehr Kühnchen heeßen!“
Diederich war tiefernst. „Jawohl war Hammurabi ein Werkzeug Gottes! Ich möchte mal sehen, wer das leugnet!“ Und er blitzte umher. Nothgroschen krümmte die Schultern. „Na, und Kaiser Wilhelm der Große!“ fuhr Diederich fort. „Von dem bitte ich es mir ganz energisch aus! Wenn der kein Werkzeug Gottes war, dann weiß Gott überhaupt nicht, was ’n Werkzeug ist!“
„Ganz meine Meinung“, versicherte der Major. Glücklicherweise widersprach auch sonst niemand, denn Diederich war zum Äußersten entschlossen. An den Tisch geklammert, stemmte er sich von seinem Stuhl empor. „Aber unser herrlicher junger Kaiser?“ fragte er drohend. Von allen Seiten antwortete es: „Persönlichkeit ... Impulsiv ... Vielseitig ... Origineller Denker.“ Diederich war nicht befriedigt.
„Ich beantrage, daß er auch ein Werkzeug ist!“
Es ward angenommen.
„Und ich beantrage ferner, daß wir Seine Majestät von unserem Beschluß telegraphisch in Kenntnis setzen!“
„Ich befürworte den Antrag!“ brüllte der Major. Diederich stellte fest: „Einmütige begeisterte Annahme!“ und fiel auf seinen Sitz zurück. Kühnchen und Jadassohn machten sich gemeinsam an die Abfassung der Depesche. Sie lasen vor, sobald sie etwas gefunden hatten.
„Eine im Ratskeller zu Netzig versammelte Gesellschaft –“
„Tagende Versammlung“, forderte Diederich. Sie fuhren fort:
„Versammlung national gesinnter Männer –“
„National, huck, und christlich“, ergänzte Pastor Zillich.
„Aber wollen die Herren denn wirklich?“ fragte Nothgroschen, leise flehend. „Ich dachte, es sei ein Scherz.“
Da ward Diederich zornig.
„Wir scherzen nicht mit den heiligsten Gütern! Ich soll Ihnen das wohl handgreiflich klarmachen, Sie verkrachter Abiturient?“
Da Nothgroschens Hände den vollkommensten Verzicht beteuerten, war Diederich sofort wieder ruhig und sagte: „Prost!“ Dagegen schrie der Major, als sollte er platzen. „Wir sind die Herren, auf die Seine Majestät sich verlassen kann!“ Jadassohn bat um Ruhe und er las.
„Die im Ratskeller zu Netzig tagende Versammlung national und christlich gesinnter Männer entbietet Eurer Majestät ihre einmütige begeisterte Huldigung angesichts von Eurer Majestät erhebendem Bekenntnis einer geoffenbarten Religion. Wir beteuern unseren tiefsten Abscheu vor dem Umsturz in jeder Gestalt und sehen in der heute bei uns in Netzig erfolgten mutigen Tat eines Postens die erfreuliche Bestätigung, daß Eure Majestät nicht weniger als Hammurabi und Kaiser Wilhelm der Große das Werkzeug Gottes ist.“ Man klatschte, und Jadassohn lächelte geschmeichelt.
„Unterschreiben!“ rief der Major. „Oder hat einer der Herren noch etwas zu bemerken?“ Nothgroschen räusperte sich. „Nur ein einziges Wort, mit aller gebührenden Bescheidenheit.“
„Das möchte ich mir ausbitten“, sagte Diederich. Der Redakteur hatte sich Mut getrunken, er schwankte auf seinem Sitz und kicherte ohne Grund.
„Ich will ja gar nichts gegen den Posten sagen, meine Herren. Ich hab’ mir sogar schon immer gedacht, Soldaten sind zum Schießen da.“
„Na also.“
„Ja, aber wissen wir, ob auch der Kaiser so denkt?“
„Selbstverständlich! Fall Lück!“
„Präzedenzfälle – hihi – sind ganz schön, aber wir wissen doch alle, daß der Kaiser ein origineller Denker und – hihi – impulsiv ist. Er läßt sich nicht gern vorgreifen. Wenn ich in der Zeitung schreiben wollte, daß Sie, Herr Doktor Heßling, Minister werden sollen, dann – hihi – werden Sie es gerade nicht.“
„Jüdische Verdrehungen!“ rief Jadassohn. Der Redakteur entrüstete sich. „Ich schreibe anderthalb Spalten Stimmung an jedem hohen Kirchenfest. Der Posten aber, der kann auch wegen Mord angeklagt werden. Dann sind wir ’reingefallen.“
Eine Stille folgte. Der Major legte nachdenklich den Bleistift aus der Hand. Diederich ergriff ihn. „Sind wir nationale Männer?“ Und er unterschrieb wuchtig. Da brach Begeisterung aus. Nothgroschen wollte gleich als Zweiter drankommen.
„Aufs Telegraphenamt!“
Diederich gab Auftrag, daß die Rechnung ihm morgen zugestellt werde, und man brach auf. Nothgroschen war auf einmal voll ausschweifender Hoffnungen. „Wenn ich die kaiserliche Antwort bringen kann, komme ich zu Scherl!“
Der Major brüllte: „Wir wollen doch mal sehen, ob ich noch lange Wohltätigkeitsfeste arrangiere!“
Pastor Zillich sah die Leute sich in seiner Kirche erdrücken und Heuteufel von der Menge gesteinigt. Kühnchen schwärmte von Blutbädern in den Straßen von Netzig. Jadassohn krähte: „Erlaubt sich vielleicht jemand einen Zweifel an meiner Kaisertreue?“ Und Diederich: „Der alte Buck soll sich hüten! Klüsing in Gausenfeld auch! Wir erwachen aus dem Schlummer!“
Die Herren hielten sich alle sehr gerade, und manchmal schoß einer unvermutet ein Stück vorwärts. Mit ihren Stöcken strichen sie tosend über die herabgelassenen Rolläden, und im Takt voneinander unabhängig sangen sie die Wacht am Rhein. An der Ecke des Landgerichts stand ein Schutzmann, aber zu seinem Glück rührte er sich nicht. „Wollen Sie vielleicht etwas, Männeken?“ rief Nothgroschen, der aus Rand und Band war. „Wir telegraphieren an den Kaiser!“ Vor dem Postgebäude ward Pastor Zillich, der den schwächsten Magen hatte, von einem Unglück betroffen. Indes die anderen ihm seine Lage zu erleichtern suchten, klingelte Diederich den Beamten heraus und gab das Telegramm auf. Als der Beamte es gelesen hatte, betrachtete er Diederich zögernd – aber Diederich blitzte ihn so furchtbar an, daß er zurückschrak und seine Pflicht tat. Diederich inzwischen fuhr ohne Zweck fort, zu blitzen und steinern dazustehen: in der Haltung des Kaisers, wenn nun ein Flügeladjutant ihm die Heldentat des Postens meldete und der Chef des Zivilkabinetts ihm die Huldigungsdepesche überbrachte. Diederich fühlte den Helm auf seinem Kopf, er schlug gegen den Säbel an seiner Seite und sagte: „Ich bin sehr stark!“ Der Telegraphist hielt es für eine Reklamation und zählte ihm das kleine Geld nochmals vor. Diederich nahm es, trat an einen Tisch und warf einige Zeilen auf ein Papier. Dann steckte er es zu sich und kehrte zu den Herren zurück.
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