»Was lässt Sie dies glauben?«
»Ihr Blick – Ihr Benehmen.«
»Sehen Sie mich doch jetzt an!«
»Oh, jetzt sind Sie ganz anders. Jetzt kann ich es wagen, mit Ihnen zu sprechen.«
»Und doch bin ich derselbe, ausgenommen, dass ich den Handelsmann in Hollow’s Mill zurückgelassen habe. Jetzt steht nur Ihr Verwandter vor Ihnen.«
»Mein Cousin Robert, nicht Mr. Moore.«
»Kein Stückchen von Mr. Moore. Caroline –«
Hier hörte man, wie die Gesellschaft im anderen Zimmer aufstand. Man öffnete die Tür. Das Pony-Fuhrwerk wurde bestellt. Nach Umhängen und Hüten gesucht. Mr. Helstone rief nach seiner Nichte.
»Ich muss nun fort, Robert.«
»Ja, das müssen Sie, oder jene kommen sonst hierher und finden mich hier, und ich will lieber, als diesem ganzen Schwarm unterwegs zu begegnen, meinen Abschied durch das Fenster nehmen. Glücklicherweise öffnet es sich wie eine Tür. Noch eine Minute bloß – stellen Sie das Licht weg – gute Nacht! – Ich küsse Sie, weil wir Verwandte sind, und da wir es sind, sind auch – ein – zwei – drei Küsse erlaubt. Caroline, gute Nacht!«
Am folgenden Tag war Moore vor der Sonne aufgestanden und nach Whinbury und wieder zurückgeritten, ehe seine Schwester den café au lait bereitet oder die tartines zum Frühstück geschnitten hatte. Was er dort getrieben hatte, behielt er für sich. Hortense fragte nicht. Es war nicht ihre Gewohnheit, ihn nach seinem Tun zu befragen, noch die seine, darüber Rechenschaft abzulegen. Geschäftsgeheimnisse – verwickelte und oft düstere Mysterien – blieben in seiner Brust begraben und kamen nie aus dieser Gruft, außer dann und wann, um Joe Scott daran teilnehmen zu lassen und einem fremden Korrespondenten einen Hinweis zu geben. In der Tat schien eine allgemeine Gewöhnung an Zurückhaltung in jeder wichtigen Sache in seinem kaufmännischen Blut zu liegen.
Als das Frühstück vorbei war, ging er ins Kontor. Henry, Joe Scotts Sohn, brachte ihm Briefe und Zeitungen. Moore setzte sich an sein Pult, erbrach die Siegel der Briefe und überflog sie. Sie waren alle kurz, wenig freundlich, vielmehr im Gegenteil verdrießlich, denn als Moore den letzten weglegte, zeigte sich an seinen Nasenflügeln ein verhöhnendes und misstrauisches Zucken, und obwohl er nichts sagte, lag doch in seinen Augen eine Glut, die den Teufel anzurufen schien und ihm auferlegte, die ganze Geschichte zur Hölle zu schaffen. Nachdem er jedoch eine Feder genommen und in einem kurzen Anfall von Fingerwut die Fahne davon abgerissen hatte – bloß in Fingerwut, denn sein Gesicht blieb ruhig – schrieb er eine Reihe Antworten, versiegelte sie, stand dann auf und ging durch die Fabrik. Als er zurückkam, setzte er sich wieder, um die Zeitungen zu lesen.
Ihr Inhalt schien nicht außerordentlich interessant zu sein. Er legte sie mehr als einmal übers Knie, kreuzte die Arme und starrte ins Feuer. Zufällig wandte er das Gesicht zum Fenster. Manchmal sah er auch nach der Uhr, kurz, sein Geist schien abwesend. Vielleicht dachte er an die Schönheit des Wetters, denn es war ein schöner und milder Morgen für diese Jahreszeit, und er wünschte ihn in den Feldern zu genießen. Die Tür des Kontors stand weit offen, Luft und Sonnenschein drangen ungehindert ein, aber der erste Besuch brachte keinen Wohlgeruch auf seinen Schwingen, sondern bloß gelegentlich einen Schwefelgeruch von der rußerfüllten Rauchsäule, die grau aus dem Fabrikschornstein emporstieg.
Eine dunkelblaue Erscheinung (die von Joe Scott, der eben vom Farbkessel kam) trat für einen Augenblick an die offene Tür, stieß die Worte: »Er ist da, Sir!« heraus und verschwand.
Mr. Moore wandte die Augen nicht von den Papieren.
Ein großer, breitschultriger, grobschlächtiger Mann, in Barchenthemd und grauwollenen Strümpfen trat ein, wurde mit einem Nicken empfangen und veranlasst, sich zu setzen, was er denn auch tat, nachdem er seinen sehr schlechten Hut abgenommen, unter einen Stuhl gelegt und sich die Stirn mit einem geflickten baumwollenen Taschentuch, das er aus dem Hutkopf gezogen hatte, abgewischt hatte, und die Bemerkung machte, »dass es für Februar recht warmes Wetter sei.«
Mr. Moore bejahte das, wenigstens gab er eine Art Ton von sich, der, wenn auch unartikuliert, doch für eine Zustimmung gehalten werden konnte. Nun stellte der Besucher einen offiziell aussehenden Stab, den er in der Hand hatte, sorgfältig in die Ecke neben sich. Nachdem er dies getan hatte, pfiff er, wahrscheinlich, um ganz ungezwungen zu erscheinen.
»Sie haben doch das Nötige?« sagte Mr. Moore.
»Oho! Es ist alles in Ordnung.«
Nun begann er wieder zu pfeifen, und Mr. Moore fuhr fort zu lesen. Die Zeitung war zweifellos interessanter geworden, doch wandte er sich jetzt zu seinem Speiseschrank, den er mit seinen langen Armen erreichen konnte, öffnete ihn, ohne aufzustehen, nahm eine schwarze Flasche – dieselbe, die er zu Mr. Malones Besten hervorgeholt hatte –, einen Tummler und einen Krug heraus, setzte sie auf den Tisch und sagte zu seinem Gast: »Bedienen Sie sich selbst. Wasser ist dort in der Ecke.«
»Ich glaube nicht, dass davon viel nötig sein wird, denn früh morgens ist jedermann durstig«, sagte der in Flanell gekleidete Mann, stand auf und tat, wie verlangt.
»Wollen Sie nicht ebenfalls zugreifen, Mr. Moore?« fragte er, nachdem er mit geschickter Hand eine Portion gemischt, sie mit einem tiefem Zug getrunken hatte und sich nun gesättigt und zufrieden in seinen Sessel lehnte. Moore antwortete wortkarg durch eine verneinende Bewegung und Gemurmel.
»Tun Sie es doch!« fuhr der Besucher fort. »Es wird Sie ermuntern. Ganz vortrefflicher Holländer! Sie bekommen ihn wohl von fremd her? Nicht wahr?«
»Ja.«
»Folgen Sie meinem Rat und trinken Sie ein Glas. Sie werden noch viel zu reden haben, und wer weiß, wie lang. Sie werden ein Schlückchen brauchen.«
»Haben Sie diesen Morgen Mr. Sykes gesehen?« fragte Moore.
»Ich sah ihn vor einer halben Stunde – nein – vor – vor einer Viertelstunde etwa, als ich eben fortging. Er sagte mir, er wollte auch herkommen, und ich wunderte mich, dass der alte Helstone noch nicht da ist. Ich fand ihn, wie er sein kleines Pferd sattelte, als ich hinter der Pfarrei vorbeikam.«
Der Sprechende war ein echter Prophet, denn keine fünf Minuten später hörte man schon den Trapp des kleinen Pferdchens im Hof. Es hielt an, und eine wohlbekannte, näselnde Stimme rief: »Bursche (zweifellos an Harry Scott gerichtet, der sich gewöhnlich von neun Uhr früh bis nachmittags um fünf im Hof aufhielt) »nimm mein Pferd und bring es in den Stall.«
Helstone trat ein, flinker und gerader marschierend und brauner, eifriger und lebhafter aussehend als gewöhnlich.
»Ein schöner Morgen, Moore! Wie geht’s Ihnen denn? Ei, wen haben wir denn hier?« (sich zu der Person mit dem Stab wendend) »Sugden! Wie? Sie gehen gerade ans Werk? Wahrhaftig, das nenne ich keine Zeit verlieren! Aber ich muss mir erst Erklärungen erbitten. Ihre Botschaft wurde mir ausgerichtet. Wissen Sie aber auch gewiss, dass Sie auf dem rechten Weg sind? Wie wollen Sie denn die Sache nun angehen? Haben Sie einen Verhaftungsbefehl?«
»Sugden hat ihn.«
»Wollen Sie ihn also jetzt aufsuchen? Ich begleite Sie.«
»Sie können sich diese Mühe ersparen. Er kommt selbst hierher. Ich sitze eben deshalb jetzt hier in meinem Herrschersitz, um seine Ankunft zu erwarten.«
»Und wer ist es denn? Eines meiner Kirchkinder?«
Unbemerkt war Joe Scott eingetreten. Er stand jetzt wie eine finstere Erscheinung da, da er zur Hälfte in tiefstes Indigo gefärbt war, und lehnte sich an den Tisch. Seines Herrn Antwort auf des Pfarrers Frage bestand in einem Lächeln. Er ergriff also das Wort, warf einen ruhigen, aber listigen Blick auf den Pfarrer und sagte:
Читать дальше