Beau, sein Alpha, sein Ehemann. Beau, bald Arzt für Menschen, der ihm gesagt hatte, dass seine Beruhigungsmittel Gift seien und ihn davon überzeugt hatte, sie aufzugeben. Er erinnerte sich verschwommen an einen wirren Traum, in dem er Beau oder seine Mutter oder … jemand anderen … um die Beruhigungsmittel bat, damit er nach Hause gehen konnte. Damit er wieder zur Schule gehen konnte, ins Haus seiner Eltern und an einem kühlen Morgen Haferflocken essen.
Rory öffnete ein Auge und musterte Beau, der eine Pyjamahose und ein weiches, verblasstes marineblaues T-Shirt mit einer Art Logo, vielleicht in Kreuzform, auf der Brust trug. Feuerwehr?
Rorys Magen knurrte hörbar. Beau sah zu ihm herüber und begegnete seinem halb versteckten Blick.
Beau lächelte nur. „Hungrig?“
Rory nickte gegen das Kissen und drückte sich in die Höhe, umklammerte die Laken, als ihm schwindelig wurde. „Wie lange habe ich …“
„Drei Tage“, antwortete Beau lässig. „Wenn du dich erst waschen möchtest, mach das ruhig, das hier braucht noch ein paar Minuten.“
Rory nickte vorsichtig, als der Schwindel verblasste. Er stemmte sich behutsam auf die Füße und überprüfte sich dabei auf irgendeinen neuen oder unterschiedlichen oder schlimmeren Schmerz.
Er fühlte sich von Kopf bis Fuß wund und krank, aber das war bei ihm jetzt schon eine lange Zeit so. Sein Magen schmerzte leicht, aber er dachte, das sei Hunger und nichts weiter. Sein Mund schmeckte, als hätte er sich die Zähne nicht geputzt oder eine Weile nichts getrunken, aber er schmeckte nicht nach Krankheit oder etwas Schlimmerem.
Sein Arsch tat nicht weh, und tiefer in seinem Bauch auch nichts. Er trug seinen eigenen Pyjama aus dem Asyl, Flanellhosen und ein langärmeliges Shirt. Beides fühlte sich an und roch, als hätte er es bereits mindestens drei Tage an, aber es war kein Geruch nach Sex daran, nur Schweiß und Krankheit. Er hatte nicht das kriechende, dunkle Gefühl, das ihn in den letzten Jahren so oft in den Wachzustand zurückgebracht hatte – die Erkenntnis, dass irgendetwas Schlimmes passiert war, an das er sich nicht mehr erinnern konnte.
Er streckte sich vorsichtig, dann ausgiebig. Seine Wirbelsäule knackte und er stöhnte über die seltsame Erleichterung bei dieser Empfindung. Sofort darauf spürte er eine Bewegung und erstarrte, seine Augen blitzten auf, als Beau mitten im Schritt erstarrte, eine Hand ausgestreckt, die Augen weit aufgerissen.
Er musste denken, das sei ein Schmerzenslaut gewesen, erkannte Rory. Und jetzt wusste er, dass es eindeutig nicht so war.
Rory stand einen Moment einfach nur da, die Arme immer noch ausgestreckt, und dann lächelte Beau ihn ein wenig verlegen an und sagte: „Entschuldigung, alles okay. Sagst du Bescheid, wenn du etwas brauchst?“
Rory nickte, Beaus Stimme hallte in seinen Ohren wider. Weck mich auf, wenn du etwas brauchst. Beau hatte neben ihm geschlafen … letzte Nacht? Irgendwann.
Verspätet ließ er die Hände an seine Seiten sinken und ging Richtung Bad, wobei er unterwegs seine Tasche aufhob. Sobald er mit seinem eigenen Geruch alleine war, brauchte er nicht lange, um zu beschließen, dass er unbedingt eine richtige Dusche brauchte. Er beeilte sich, so gut er konnte, nicht nur, weil Beau auf ihn wartete, sondern weil ihm in der dampfenden Hitze einer Dusche schwindelig werden würde, wenn er zu lange brauchte. Die meiste Zeit über musste er eine Hand gegen die Duschwand halten, aber er wusch sich, sein eigener, kranker Gestank wurde durch den sauberen Duft von Beaus Seife ersetzt. Halb war er versucht, sich Beaus Shampoo über die Kopfhaut zu reiben, nur um das Duftprofil zu vervollständigen, aber dann würde Beau wissen, dass er sein nicht vorhandenes Haar schamponiert hatte. Stattdessen schnupperte er nur an der Flasche, ehe er das Wasser abstellte.
Er trocknete sich ab und erst da realisierte er, dass das heiße Wasser an seinem Nacken nicht annähernd so gebrannt hatte, wie er es gewohnt war. Er tastete mit den Fingern nach den Verbrennungen und zuckte zusammen, als er feststellte, dass sie nach wie vor mächtig schmerzten, wenn er sie anfasste. Dann trocknete er sich weiter ab und mied wie üblich seinen eigenen Anblick im Spiegel. Eigentlich war er durchaus neugierig zu sehen, ob sich die Verbrennungen besserten, aber er wollte sich dem Rest nicht stellen. Nicht jetzt, da Beau draußen auf ihn wartete.
Er holte saubere Boxershorts und ein langärmeliges T-Shirt aus seiner Tasche mit seinen Besitztümern, die die Hälfte der winzigen Badezimmerablage einnahm. Er nahm sie wieder mit nach draußen, als er das kleine Bad verließ, unsicher, was er sonst noch anziehen sollte. Die schöne Hose von seinem Hochzeitstag, die er nirgendwo im Badezimmer gesehen hatte? Die durchgeschwitzte Schlafhose, die er gerade ausgezogen hatte?
Als er aus dem Bad kam, wanderten seine Augen zuerst zum Herd; der Topf mit Haferflocken stand da und dampfte noch, obwohl er sich jetzt auf einer kalten Herdplatte befand. Als Nächstes suchte Rory nach Beau: Er war halb versteckt hinter Pappkartons und kramte in einem Müllsack, der nicht nach Müll roch. Mit einem Lächeln sah er auf, als Rory einen zögerlichen Schritt auf ihn zu machte. „Hey, ich habe nur geschaut … ich dachte, das könnte dir passen. Ich hatte diesen irren Wachstumsschub, gleich nachdem ich hier eingezogen war, also hatte ich nie die Chance, sie aufzutragen, aber sie rochen immer noch so vertraut und Chicago nicht, also habe ich sie behalten.“ Beau stand auf und hatte zwei zusammengefaltete Jeans in dunkler Waschung in der Hand. Er legte sie auf einen Karton, schüttelte ein Paar aus und hielt sie in Rorys Richtung. „Vielleicht ein bisschen lang, aber ich war verdammt dünn, also werden sie wohl nicht rutschen? Obwohl, ich meine, wir können dir auch neue Sachen kaufen“, korrigierte Beau, senkte die Jeans und wirkte unsicher, als Rory schwieg und verblüfft erstarrte. „Ich hasse es einfach, neue Sachen zu kaufen, vor allem ist es zu anstrengend, sie nach Zuhause riechen zu lassen. Und hoffentlich wirst du genug an Gewicht zunehmen, wenn es dir besser geht, dass du dir einfach alles neu kaufen musst, also dachte ich, es wäre einfacher …“
Rory gelang es schließlich, ruckartig zu nicken. „Ja, das, ich werde …“
Er stellte die Tasche mit seinen Sachen in der Mitte des Raumes ab und streckte die Hand aus, und Beau kam die zwei Schritte auf ihn zu, um ihm die Hose zu geben.
Sie fühlte sich weich in seiner Hand an – reine Baumwolle, das wusste er bei der ersten Berührung, festes, gut gefärbtes Denimgewebe. Keine Marke, kein Label, nur ein kleines Zeichen in Rot und Gelb war in der hinteren Mitte des Bundes eingestickt, und ein weißes an der rechten Hüfte. Gute Wünsche, traditionelle Talismane.
Die Hose war für Beau handgemacht worden. Von seinem Rudel gemacht. Natürlich hatte er sie behalten, als er an den fremden Ort kam – aber jetzt bot er sie Rory an.
Er schluckte hart, erinnerte sich an den letzten vorhandenen Sweater, den ihm seine Mutter gegeben hatte. Zuletzt war er zu klein gewesen und so aufgetragen, dass er beinahe durchsichtig war, und zum Schluss hatte er ein Loch gehabt, das sich nicht mehr flicken ließ. Doch auch wenn er ihn nicht mehr tragen konnte, hatte er ihn aufgehoben, so lange er konnte, gut verstaut in einem Schubfach. Eines Tages war er einfach weg gewesen, und Martin hatte gesagt, er hätte nach Abfall ausgesehen, also hatte er ihn weggeworfen. Er konnte seinen Omega schließlich nicht in Lumpen herumlaufen lassen, oder? Und dann hatte Roland dankbar zu sein gehabt, obwohl er viel lieber über den Verlust geweint hätte, und dankbar zu sein bedeutete nur eines.
Bei dieser Erinnerung fühlte sich Rory leicht krank, seine Haut kribbelte; er zuckte zurück, als sich Beaus Hand zu seinem Ellbogen hin bewegte, um sich darauf zu legen, und Beau zog die Hand weg.
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