›Untrü, Untrü, du machst großes Weh,
Jetzt hebt der Wald am Berg nit meh!‹
»Das war der letzte Wildmann.«
Vroni brach ab. Die Wildheuer, der Vater, die Mutter und Josi, mit ihren Lasten waren herangekommen. Sie warfen ihre Bündel ab, streiften die weißleinenen Kapuzen zurück, die ihre Köpfe vor dem Heustaub schützten, und wuschen sich am Brunnen, der neben der Hütte summt, die erhitzten Gesichter und die Hände.
Vroni, die fast den ganzen Tag einsam gewesen war, begrüßte die Ankömmlinge mit lebhafter Freude, aber sie dauerte nur einen Augenblick. Warum zog sich die Stirne des Vaters so finster zusammen, als er Binias ansichtig wurde, was war das für ein fremder, schmerzlicher Zug, der über das braune Gesicht bis in den blonden Bart hineinzuckte?
Plötzlich schrie er wie aus wilder Qual heraus Binia an: »Fort mit dir, du Schlechthundekind!«
Die Erschrockene und Verwirrte, die das böse Wort wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf, stand einen Augenblick fassungslos, dann flüchtete sie so schnell wie eine Gemse. Hinter ihr drein Eusebi, der aber weit zurückblieb.
Fränzi und die Kinder standen verdutzt; erschreckt, vorwurfsvoll sagte die Frau: »Seppi, Seppi! bist du letzköpfig geworden? Die Binia hat dir ja nichts gethan!«
Der verstörte Mann gab keine Antwort, er setzte sich auf den Dengelstein, mit verbissener Wut begann er die Sicheln zu rüsten, als ob sie in Stücke gehen müssen.
Fränzi ging beleidigt ins Haus, Vroni standen die hellen Thränen der Kränkung in den Augen, Josi machte sich mit dem Heu zu schaffen, damit seine tiefe Verlegenheit nicht zu auffällig sei.
»Vater, der Garde hat gesagt, Ihr sollt heute abend noch zu ihm kommen!« wagte Vroni schüchtern zu melden.
Da schnob Seppi Blatter: »Hole der, welcher hinkt, den Garden mit dem Presi!«
Weinend lief Vroni davon. Mutter und Kinder verstanden den Vater nicht mehr. Den ganzen Tag war er einsilbig gewesen und hatte gebrütet. Und jetzt war er so sinnlos wild, er, der Mann, der sonst immer von stiller Gemütsheiterkeit war und gern einen Scherz machte, wenn ihn die Sorgen nicht zu stark drückten.
Etwas mußte gestern abend im Bären vorgefallen sein.
Aber was? – Wenn er es nicht freiwillig sagte, erfuhren es Mutter und Kinder nicht. Das wußten sie schon.
Als die Haushaltung in der kleinen Stube beim Abendbrot, bei Wegwartekaffee, schwarzem hartem Roggenbrot und Käse, um den Tisch saß, wollte Josi das Gespräch auf die Wildleutlaue bringen, aber da donnerte ihn der Vater mit einem »Halt 's Maul!« an.
Und als Fränzi sanft mahnte, er möchte doch zum Garden gehen, sagte er ganz traurig: »Ich bin todmüde – gute Nacht, alle zusammen.«
Beklommen ging der Haushalt zur Ruhe und die harte Tagesarbeit brachte Josi wenigstens bald den Schlaf.
Er wurde furchtbar daraus geweckt. Ihm war im Traum, als rüttelte der Wind am Haus, als knackte das Schindeldach – er wurde munter – das Getöse dauerte fort, die Balken knarrten, die Ziegen im Stall begannen zu meckern. Im Dorf bellten die Hunde und von weit her hörte er das Vieh plärren. Er schlich sich erschrocken zur Luke, die von seinem Dachgemach ins Freie ging. Der Himmel über den Bergen war sternklar, aber vom Stutz herauf schwebte es wie ein grauer Nebel und die Luft wogte. Feiner Schneestaub begann zu rieseln, die Gegend verfinsterte sich.
Da wußte er es: Die Wildleutlaue an den Weißen Brettern ist gegangen.
Jetzt fingen die Glocken zu läuten an, wie es Brauch ist in St. Peter, wenn eine Lawine, ein Gewitter oder ein Brand im Thale wütet. »Betet, betet!« läuteten sie.
Halb angekleidet stieg Josi in die Stube hinunter.
Welch ein Anblick! Die Mutter saß totenblaß auf einem Stuhl, vor ihr auf dem Boden kniete, barfuß und nur halb bekleidet, der Vater, das Haupt in ihren Schoß geneigt, seine sehnigen Hände um die ihrigen geschlungen.
Der gewaltige Mann stöhnte, schluchzte und rang nach Worten, daß es einen Stein hätte erbarmen müssen. Vroni saß am Tisch vorgelehnt, durch die Hände, mit denen sie das Gesicht bedeckt hielt, drangen die Thränen, ihre junge Brust bebte vor Leid.
»Was giebt's?« fragte Josi; als er aber von keiner Seite Antwort erhielt, fingen vor Angst auch ihm die Glieder an zu zittern, die Zähne zu klappern.
Da kam's aus der Brust des Vaters, als würde ihm das Herz abgedreht und sich im Leib auch eine Lawine lösen:
»O Fränzi – liebe Fränzi – ich habe es versprochen – ich muß an die Weißen Bretter steigen.«
Ein Schrei drang aus der Hütte in die Nacht, er kam von Vroni. Die Mutter saß entgeistert, sie hatte willenlos ihre Hände aus denen des Vaters gelöst und strich ihm über den Scheitel. Sie flüsterte immer nur: »Mein armer Seppi – mein armer Seppi! Das also ist's, warum du nicht hast reden können. Gott! Gott!«
Ihr Streicheln und ihre Worte beruhigten den Knieenden, so daß er, wenn auch nur stoßweise, sprechen konnte.
»Ich habe dem Presi die drei Zinslein für das Aeckerchen bringen wollen. Der Bäliälpler mit der krummen Nase hockte da – der Wildheuer Bälzi mit den wässerigen Augen und dem schwarzen Bocksbart. – Wir haben um eine Maß gehäkelt. – Ich habe beide über den Tisch gezogen. – Da fingen sie an zu necken und zu hänseln. – Ich sei wohl stark, aber doch ein Hasenherz und wage mich nicht, wie sie, auf die Kronenplanken. Ich höre eine Weile zu und sage nichts. Da kommt endlich der Presi und redet von der Wildleutlaue. Er lacht, er spricht so drum her, es könnte einer ein schönes Stück Geld verdienen, wenn er die Gemeinde nicht zum Los kommen lasse. Ich meine, es geht auf Bälzi. ›Hast ja acht Kinder, laß dich auf den Handel nicht ein!‹ sage ich.
»›He, es wird einer an die Bretter steigen müssen,‹ machte der Presi unwirsch, ›er braucht ja nicht grad in die Ewigkeit zu fallen.‹ Ein Wort giebt das andere. Plötzlich sagt er zu mir: ›Wenn einer noch drei Zinslein schuldig ist, braucht er den Mund nicht so weit aufzumachen, wie du, Seppi; gescheiter wär's, du stiegst an die Weißen Bretter.‹
»Ich bin wie vom Donner getroffen, ich rolle das Geld aus dem Sack auf den Tisch, da höhnt er: ›Eben, eben, hast die Loba verkauft. Wenn ich's schon nicht hätte erfahren sollen, so weiß ich's. Hättest mir wohl vorher einen Deut thun können.‹ Ich darauf: ›Es darf doch noch einer sein Rind verkaufen, ohne daß so und so viel Franken in den Fingern des Presi bleiben.‹
»Da schlägt er auf den Tisch, brüllt, es sei traurig, wenn einer an der Zahlung von vierhundert Franken sechs Jahre herumzerre. Und er kündigt mir den Brief auf Martini.
»Ich habe immer gehofft, er werde wieder gut zu mir, er ist sonst nicht ungrad und wir sind alte Schul- und Militärkameraden, drum bin ich in der Stube sitzen geblieben. Er ist auch wieder artig geworden, man redet, man trinkt, da lacht er auf einmal: ›Wage den Streich, Seppi, steige an die Weißen Bretter. Auf deinem Aeckerchen, das für vierhundert Franken verschrieben ist, steht noch eine Schuld von hundertachtzig Franken. Ich will nicht der Presi sein, wenn die Gemeinde dir nicht den Brief abnimmt, sofern du die heligen Wasser wieder herstellst; sage ja, und ich übernehm's auf meine Verantwortung, ich gebe dir gleich den Vertrag. Die Genehmigung durch die Gemeinde bleibt vorbehalten. Soll ich schreiben?'
»›Nein, nein,‹ schreie ich und kann fast nicht reden, ›kennst du das Vaterunser: Und führe mich nicht in Versuchung!‹
»›Ho,‹ meint er, ›es ist ein schöner Verdienst, du kannst an einem Tag nicht mehr gewinnen. Du verdienst nicht so viel in einem Jahr. Und wenn ich das Briefchen kündige, kommst du auch in Verlegenheit.‹«
»›Ein dummer Teufel bist,‹ sagte Bälzi.«
»Ich trinke, die anderen lachen: ›Den Schlotter hast, aber keinen Mut!‹ Da habe ich den Wein im Kopf gespürt, ich habe auf einmal den Acker deutlich vor mir gesehen, wie er schuldenfrei voll Aehren steht. – Hin und her hat es mich gezerrt, daß mir ganz taumelig geworden ist. – Der Presi schreibt, die anderen zwei schwatzen auf mich ein, ich sehe nichts, ich höre nichts. – Da liegen die Scheine vor mir, der Presi sagt: ›Du mußt unterschreiben, – entweder den Empfang der Kündigung oder den Vertrag, daß du an die Bretter gehst.‹
Читать дальше