»Dann liegt es wohl doch am Tag.« Cadie klappte den Ordner auf ihrem Schoß zu. »Brenda war auch mürrisch, als ich sie in der Mittagspause besucht habe. Dabei ist es heute so schön.« Sie stand auf und ging zum Fenster. »Hoffentlich hält das Wetter.« Plötzlich schlug sie sich mit der Hand vor die Stirn. »Mist! Ich habe vorhin vergessen, Brenda wegen des Kuchens zu fragen!«
»Das wird aber langsam Zeit.« Matt lachte leise. »Bis zu Noels Geburtstag sind es noch fünf Tage.«
»Ich wollte schon längst alles geklärt haben.« Cadie verzog gequält das Gesicht. »Der Hausbau hält uns in Atem, ständig vergesse ich die anderen Dinge. Mit der Küche habe ich das übrige Essen bereits abgesprochen, aber Brenda hat mich so kurz angebunden abgefertigt, dass ich sie wegen des Kuchens nicht mehr fragen konnte.«
»Brenda verhält sich in der Tat eigenartig.« Matt fuhr sich durch die Haare. »Ich wollte auf der Party mit ihr reden, aber sie hat mich auflaufen lassen und ist dann verschwunden.« Er schüttelte ratlos den Kopf. »Weißt du was – ich fahre runter und spreche mit ihr wegen des Kuchens. Dabei kann ich ihr noch einmal auf den Zahn fühlen.«
Mit einem Mal hatte er es eilig, aus dem Büro zu kommen. Er sah noch Cadies Schmunzeln, dann griff er sich die Autoschlüssel und machte sich auf den Weg in den Ort. Die Aussicht auf ein Stück Kuchen bei Brenda trieb ihn geradezu den Berg hinunter.
Der Parkplatz neben dem ›Plansprings Inn‹ war verwaist, wie so oft in den vergangenen Monaten. Nur Hanks alter Ford stand in einer Ecke. Dicht an einem Gebüsch geparkt, als wollte er genügend Platz lassen für die Gäste, die doch ohnehin nicht kamen. Es gab Matt einen Stich, wenn er daran dachte, wie lebhaft es hier noch vor wenigen Jahren zugegangen war. Einheimische, vor allem die Arbeiter aus dem Sägewerk, und Urlauber hatten hier manchmal Schlange gestanden, um an einem sonnigen Tag einen der begehrten Tische auf der Terrasse zu bekommen. Jetzt war das Sägewerk bis auf einen kleinen Bereich geschlossen und die Urlauber bevorzugten die elegante Terrasse oben im Resort. So sehr er sich über die Beliebtheit seines Hotels freute – dass er ausgerechnet Brenda und Hank damit schadete, tat ihm in der Seele weh.
Er betrat das ›Inn‹. Mit einem Blick erfasste er, was er ohnehin erwartet hatte: Auch hier herrschte gähnende Leere. Hank polierte Gläser an der Bar, Brenda war nicht zu sehen.
»Matthew«, grüßte der ältere Mann. »Welch seltener Besuch. Was kann ich für dich tun?«
»Hallo Hank.« Matt lächelte. »Wenn du nicht unter die Bäcker gegangen bist, kannst du mir nicht weiterhelfen. Ich wollte zu Brenda, ist sie da?«
Hank nickte. »Hinten. Warte, ich sage ihr Bescheid.«
Wenig später tauchte Brenda mit erhitztem Gesicht und einer steilen Falte auf der Stirn auf. Eine Mehlspur zog sich von der Schläfe über die Wange. Matt streckte die Hand aus, um sie abzuwischen, hielt aber im letzten Augenblick inne. Was tat er da? Diese Geste konnte leicht missverstanden werden. Rasch zog er die Hand zurück. »Man sieht, dass du gerade backst«, sagte er stattdessen grinsend und zeichnete in seinem eigenen Gesicht den Verlauf der Mehlspur nach.
Hastig wischte sich Brenda mit dem Ärmel über die Wangen. Die Furche oberhalb der Nasenwurzel blieb. »Mein Onkel sagt, du wolltest mich sprechen?«
»Ja. Hast du einen Moment Zeit?«
Brenda zuckte mit den Achseln. »Ist ja nicht so, dass uns die Leute hier die Bude einrennen.« Sie ging zur Theke und fragte über die Schulter: »Auch einen Kaffee?«
»Gern. Und wenn du hast, auch ein Stück Kuchen. Darauf freue ich mich schon die ganze Zeit.« Endlich schlich sich die Andeutung eines Lächelns in Brendas Gesicht. Sie verschwand in der Küche und kam mit einem großen Gebäckstück auf einem Teller zurück, den sie vor Matt abstellte.
»Dann bist du jetzt mein Versuchskaninchen. Eine neue Kreation, probiere mal.«
Sie brachte zwei Tassen Kaffee, dann setzte sie sich zu Matt an den Tisch und beobachtete mit gespannter Miene, wie er an dem Teilchen roch und dann vorsichtig abbiss.
Eine Geschmacksexplosion setzte ein. Genussvoll verdrehte er die Augen und nahm sofort einen zweiten, größeren Bissen. »Brenda, das ist göttlich.« Er kaute lange und schmeckte den Aromen nach. »Optisch eine Nussschnitte, darauf eine hauchdünne Schicht Karamell. Aber da ist etwas Überraschendes bei, ich komme nicht drauf. Eine latent salzige Note.«
»Richtig.« Brenda freute sich sichtlich über die Aufmerksamkeit, die er dem Gebäck widmete. »Der Karamell ist leicht gesalzen und im Boden ist Erdnussbutter.«
»Das ist großartig.« Er nahm einen weiteren Bissen. »Du solltest das größer aufziehen. Dann rennen dir die Leute doch die Bude ein.« Er hatte den Satz noch nicht beendet, da wusste er, dass er einen Fehler gemacht hatte.
Brendas Miene verdunkelte sich augenblicklich. »Wolltest du etwas Bestimmtes von mir? Ich muss wieder nach hinten.«
Sie stand schon, als er nach ihrem Handgelenk griff und sie festhielt. »Ja, ich wollte etwas Bestimmtes. Ich wollte mit dir über Noels Geburtstag reden.« Er legte den Kopf schräg und sah sie eindringlich an. »Wann genau hat das eigentlich angefangen, dass du ständig vor mir wegläufst?«
»Ich laufe nicht ständig vor dir weg.«
Er sah sie weiterhin ruhig an. Die Wirkung war verblüffend. Wie ein Luftballon, aus dem die Luft entwich, fiel sie in sich zusammen und glitt wieder auf ihren Stuhl.
»Ich kann nur einfach nicht …« Sie fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht und hinterließ einen neuen Streifen Mehl. Ihr gezwungenes Lächeln erreichte ihre Augen nicht. »Was ist mit Noels Geburtstag?«
›Was ist mit dir?‹, wollte er entgegnen, doch er begriff instinktiv, dass sie jetzt nicht reden würde. Also lächelte er zurück, und begann, mit Brenda die Details von Noels Geburtstagskuchen zu besprechen. Die ganze Zeit über blieb jedoch das Gefühl, dass Brenda nicht bei der Sache war und als er sich verabschiedete, wirkte sie regelrecht erleichtert. Grimmig stapfte er über den Parkplatz zu seinem Landcruiser. Viel länger würde er nicht mit ansehen, wie seine immer gutgelaunte Freundin mit Trauermiene herumlief.
Sie blickte Matt hinterher und der Gedanke, alles hinzuwerfen, erschien ihr plötzlich verlockend wie nie zuvor. Begegnungen wie diese zerrten zusätzlich an ihren Kräften. Matt hatte sich – wohl mit Rücksicht auf Noels Geburtstagsplanung – zurückgehalten. Sie hatte gespürt, wie es ihn drängte, sie auszufragen. Natürlich merkten ihre Freunde, dass etwas nicht stimmte. Wie sollten sie auch nicht? Sie war mit Cadie und Matt befreundet, solange sie denken konnte.
Aber diese Probleme musste sie selbst lösen. Zum ersten Mal in ihrem Leben würde sie sich ihren Freunden nicht anvertrauen können. Matt hatte längst erkannt, dass sein Hotel Gäste bei ihr abzog. Das wusste sie von Cadie, die ihr auch gesagt hatte, dass Matt sich deshalb Vorwürfe machte. Solange nicht alles verloren war, würde sie also schweigen. Es wäre niemandem damit geholfen, wenn er sich am Ende auch noch schlecht fühlte, wegen einer Sache, die er ohnehin nicht ändern konnte. Matt zu verletzen, käme ihr niemals in den Sinn, selbst wenn sein Hotel die Wurzel ihres Übels war. Dafür mochte sie ihn viel zu gern. Sollte sie sich irgendwann einmal ernsthaft verlieben, konnte sie nur hoffen, an einen Mann wie Matthew Miller zu geraten: intelligent, humorvoll und ausgesprochen attraktiv.
Sie stellte sich unwillkürlich sein breites Grinsen vor, wenn er ihre Gedanken jetzt lesen könnte, und sofort verbesserte sich ihre Laune. Er würde ihren Zopf um seine Hand wickeln, daran ziehen und ihr mit todernster Stimme und einem Augenzwinkern zuraunen: »Einen wie mich findest du ohnehin kein zweites Mal.«
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