„Kinder, am meisten Erfahrung habe wohl ich im Leben! Und ich kann nur sagen, wenn die Juden verschwunden sind, müssen wir alle verhungern oder uns um Stellen als Klosettfrauen in Kaffeehäusern umsehen. Geldlassen tun nur die Juden, die anderen wollen alle viel Liebe und wenig Spesen! Zehn Jahre bin ich mit dem Baron Stummerl vom Auswärtigen Amt gegangen, und in diesen zehn Jahren hat er mir ein goldenes Armband, einen Pelzkragen und tausend Gulden geschenkt. Ein Glück, daß ich dabei noch den Herschmann von der Anglobank gehabt habe, sonst hätte ich am Ende noch arbeiten müssen. Seither flieg’ ich nur auf die Israeliten!“
Claire spielte nervös mit dem goldenen, diamantbesetzten Kreuz, das sie an einer Platinkette trug. „Was wohl der Karl sagen wird, wenn ich vom Doktor ßaruch nichts mehr bekomm’!“
Neue Klagen erhoben sich, Wehrufe wurden laut. Daran hatte man im Drange der Geschehnisse noch gar nicht gedacht! Was sollte mit den Freunden werden, die man liebte und aushielt, wenn die Freunde, die zahlten, nicht mehr waren?
Da führte die Frau Kathi einen dieser Freunde herein. Pepi war das Ideal eines feschen Kerls. Tiptop vom staubgrauen Samthut über die gestrickte Krawatte hinweg bis zu den gelben Halbschuhen, über denen man sanft getönte, blaue Seidenstrümpfe sah.
Schluchzend warf sich die reizende schwarze Yvonne in die Arme ihres Herzensfreundes. Alle begrüßten ihn stürmisch, ein Hagel von Rufen und Fragen ergoß sich über ihn. Pepi ließ sich ruhig in einen Fauteuil fallen, zog Yvonne auf seine Knie, zwickte die neben ihm sitzende Lona in die nackten Waden und sagte, nachdem er sich eine Zigarette hatte in den Mund stecken lassen:
„Kinder, da kann man halt nichts machen, als auch auswandern!“
„Ja, woher wirst an’ Auslandspaß kriegen und wer laßt dich denn hinein?“ entgegnete die kluge goldblonde Carola.
„Sehr einfach,“ lachte Pepi. „Morgen geh’ ich aufs Rathaus, werde konfessionslos, übermorgen geh’ ich zur israelitischen Kultusgemeinde, erkläre mich solidarisch mit dem mißhandelten Judentum und werde Israelit. Hoffentlich ohne Operation. Dann heiraten wir, bekommen unser Ablösegeld vom Staat und können nach den Bestimmungen des Völkerbundes uns anderswo ansiedeln. Wir gehen nach Paris oder nach Brüssel oder sonst wohin, wo was los ist.“
Yvonne lachte unter Tränen. „Geh’, was soll ich denn in Paris als verheiratete Frau machen?“
„Tschapperl! Braucht ja niemand zu erfahren, daß wir verheiratet sind! Nimmst dir eine Wohnung, suchst einen Freund, der dich ordentich aushält und ich bin so wie jetzt fürs Herz da!“
In den nächsten Tagen wußten die liberalen Blätter zu berichten, daß Hunderte von wackeren christlichen Jünglingen, empört über das den Juden angetane Unrecht, demonstrativ ihren Übertritt zum Judentum beschlossen hätten, um das Schicksal dieses schwer geprüften Volkes zu teilen.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.