Wenn ich sie wiedersehe, überkommt mich jedesmal nach der Verwirrung des ersten Augenblicks Freude und gleichzeitig Trauer, daß wir jetzt nur noch so geringe Rollen im Leben des anderen spielen.
Mit Dina lebte ich in diesem Sommer seit gut zwei Jahren zusammen. Was soll ich über sie sagen? Sie hat grüne Augen. Sie hat kurzes, blondes, sehr lockiges Haar. Wir sind im gleichen Alter. Das einfachste, oder für mich am einfachsten zu Begreifende, was ich über sie sagen kann – ich stelle mir ihren Rücken vor. Er ist mir zugewandt. Die scharf hervortretenden Schulterblätter und die sommersprossige, nicht mehr ganz junge, aber warme und überraschend duftende Haut sowie die Nackengrube, das Haar. Dieser Augenblick, der sich so oft wiederholt hat: Ich drehe sie sanft auf die Seite, so daß ihr Rücken sich mir zuwendet. Die erste Erinnerung muß von einem der ersten Male sein, als wir miteinander schliefen. Ich drehte sie plötzlich, aber sanft auf die Seite, sie hob ihr Knie, und ich drang in sie ein und sah ihren Rücken und Nacken und spürte eine Einsamkeit und einen Frieden unermeßlichen Ausmaßes. Ich fühlte, daß ich sie mein ganzes Leben lang für diese Einsamkeit und diesen Frieden lieben konnte.
Das erscheint vielleicht sehr merkwürdig und könnte als kompromittierend angesehen werden. Ihre grünen Augen waren schuld, daß ich versucht hatte, sie zu erobern, und mich in sie verliebte. Diese grünen Augen, die funkelten, und all das Ruhige und Intelligente, das sie mit diesem grünen Funkeln sagte. Es gibt so einen grünen Edelstein, aber ich erinnere mich nicht mehr, wie er heißt. Ihre Familie mütterlicherseits stammt aus Karelien. Sie war kurz vor unserem Kennenlernen in diese Stadt gekommen und war an der Hochschule frischausgebildete Assistentin für Geschichte und Philosophiegeschichte. Ihre eigene Geschichte war lang und machte viel Eindruck auf mich. Diese grünen Augen. Aber das andere war stärker als das Verlieben. Angesichts ihres Rückens, der sich mir zuwandte: Einsamkeit, Stärke und Frieden. Als sähe man in ein langes, einsames Leben, mit tiefer Freude. Später, wie ich zugeben muß, immer häufiger nur Einsamkeit. Das einfachste, was ich über Dina sagen kann: Ich habe mich fast drei Jahre lang in ihrem Rücken gespiegelt.
Worin sie sich bei mir gespiegelt hat, das weiß ich nicht. Vielleicht in dieser Trägheit, einer abwartenden Begriffsstutzigkeit dem Dasein gegenüber, die, wie ich glaube, als Festigkeit und Entschlossenheit mißverstanden werden kann. Vielleicht auch in der überraschenden, fast geheimnisvollen Tatsache, daß ein ungefähr gleichaltriger, geschiedener Mann, der Bürokrat beim Staatlichen Katastrophenschutzamt der Stadt in dem Landesteil ist, in dem sie Hochschulassistentin werden soll, Gedanken einer gewissen Tiefe und Schärfe haben kann (einer freilich nur langsam hervortretenden Schärfe) und von einem ungeahnten Frieden, von einer Stärke übermannt wird, wenn er in sie eindringt. Das geschieht hinter ihrem Rücken, und während der Wollust ihrer Vereinigung betrachtet er stumm, was auch sie betrachtet, sozusagen aus der gleichen Perspektive (und sie mit ihren funkelnden grünen, aber möglicherweise geschlossenen Augen): etwas, das die Form eines gemeinsamen Lebens annimmt, allein, eine lange, friedliche Einsamkeit zu zweit.
Ich lebte also mehr als zwei Jahre mit ihr zusammen, zuerst in ihrer Wohnung, danach in einem Haus, einem Häuschen, muß ich wohl sagen. Das ging sehr gut. Wir mußten feststellen, daß andere Dinge nicht so gut gingen. Jetzt war es Juni. Sie war nicht mit zu Madeleines Hochzeit gekommen, sie hatte ein Sommerseminar vorzubereiten. Das Thema hätte mich interessieren können, war aber nie Gegenstand unserer Gespräche gewesen.
Wir gingen in einer langen Reihe mit dem Teller in der Hand und nahmen uns etwas. Das Brautpaar war das Risiko eingegangen und hatte draußen gedeckt. Wir saßen an einem Tisch, der aus vielen verschiedenen Gartentischen zusammengesetzt war, schlimmstenfalls hätte man sich auch drinnen arrangieren können. Ich habe nicht aus der Erinnerung nachgezählt, aber wir müssen an die fünfzig gewesen sein, alle Kinder eingerechnet. Hoher Himmel, Sonnenfunkeln in Biergläsern, Karaffen und Besteck, vielfarbige Soßen zum Lachs und zu den Salaten, es wurde keine Rede gehalten, statt dessen wurde in langgezogenen Dialogen gesprochen, genau plazierte lange Pässe und sicheres Zuspiel, zwischendurch ein schnellerer, überraschender Einwurf aus dem toten Winkel, wahrscheinlich würde niemand auf dem Tisch tanzen. Ich will nicht näher darauf eingehen. Einige waren einmal meine Freunde gewesen. Ein Mann saß da mit spärlichem Haar und breiten Händen, den ich immer noch sehe, wie er bleich im Gesicht wird, als sich die Puch Dakota seines Bruders aufbäumt, die er sich ohne dessen Erlaubnis ausgeliehen hatte, und wie der Kies am Fußweg bei der Kiesgrube ihm um die Ohren spritzt und er geradewegs auf dem Rücken wegrutscht, das Moped zwischen den Beinen. Und ich erinnere mich daran, wie er mich einmal im Winter anrief, bei mir zu Hause in der Stadt, in der ich damals wohnte, weil die Top Ten von der nächsten Stadt aus gesendet wurden, was ich schon wußte, und er, weil er in der Jury war, auf den Abstimmungsknopf drücken durfte! Er hatte für Lady Madonna an erster Stelle gestimmt. Es klang, als wolle er dafür eine deutliche Bestätigung haben. Ich sagte, ich hätte für Hole in My Shoe mit Traffic gestimmt, und er verstummte sofort, und später sagte er, es sei ein verdammtes Glück, daß er mich im Sommer nicht mehr sehen müßte. Und ich merkte, daß daraufhin nichts weiter zwischen uns aufzubauen war, deshalb sagte ich, daß ich eigentlich für eine ganz andere Platte gestimmt hätte, wie hieß sie noch, was war das noch für eine: »This is the captain of your ship, your mind speaking ...«
Eino wollte noch nachts nach Växjö zurückfahren und trank nichts von dem, was mit der Zeit in kleinen Mengen auf den Tisch kam. Später am Abend saßen wir in einem der Zimmer im Obergeschoß, nachdem wir wegen der Mücken reingegangen waren, zusammen, er, ich und noch ein paar andere, am einfachsten bezeichnet als diejenigen Männer, die auf keine Kinder zu achten hatten, und ich erinnere mich, daß wir unter anderem über die Partei »Neue Demokratie« sprachen. Und einer, der da saß, sagte: »Rassisten können sie verflucht noch mal ja meinetwegen sein, aber zumindest sollen sie sich wie ordentliche Menschen benehmen.« Worauf wir zu etwas anderem übergingen. Aber es war der gleiche Mann, der später damit anfing, in allen Einzelheiten zu erzählen, wie das Geld in dem großen Wintersportprojekt zirkulierte, das vor ein paar Jahren mit Staatsbeteiligung und Bausparkassenkredit in Konkurs gegangen war – er war Bauarbeiter. Wie der kommunale Parlamentsrat mit Hubschraubern dorthin geflogen war, und wie die Scheinwerfer in den Sommernächten gestrahlt hätten.
Später folgten dann versöhnlichere und ruhigere Geschichten, da Menschen versöhnliche und ruhige Geschichten mögen, weniger ironisch, sondern eher versöhnlich aufgrund ihrer Ruhe. Ich erinnere mich, daß Eino, der sich ziemlich fremd gefühlt hatte, über einen Autohändler in der Stadt lachte – ich hatte schon früher davon gehört –, der, als er für acht Monate ins Gefängnis mußte, einen Zettel an die Scheibe klebte: »Bin gleich zurück.«
Und dann brach Eino auf, er verabschiedete sich, wir stellten fest, daß wir gar nicht miteinander geredet hatten, das sollte ein anderes Mal nachgeholt werden.
Ungefähr zu dem Zeitpunkt verabschiedete sich auch die Pfarrerin, Elisabet Hallby, in der Runde und brach auf.
Gleich danach ging ich in Begleitung von vier Männern zu meiner Hütte. Es waren Jan-Erik Krantz, der im Ort wohnt, ein Lehrer, Bertil Larsson, einer vom Bau, Espen Nilsson, und einer, der Sund heißt und in der Fischzucht arbeitet. Ich wollte gern dorthin und ihnen zeigen, wie es dort drinnen aussah. Ich hatte den letzten Sommer bis in den Herbst und Winter hinein dort viel getischlert, und da war etwas mit dem Fußboden, wozu ich mir einen sachkundigen Rat erhoffte. Als wir gingen, setzte die Dämmerung ein, der Weg liegt an einem Osthang. Ich wollte im Sommer nicht dort wohnen, wollte aber gern zeigen, wie es da aussah. Die Bilder nahmen wir auch mit. Ich ging hinein und sprach darüber, wo sie hängen sollten, und wir stellten sie hin und sprachen über dieses und jenes. Ich erzählte von der Archäologin, die die Hütte mieten wollte. Sie meinten, ich wäre zu billig. Sie lobten die Hütte. Sie meinten, ich solle lieber selbst darin wohnen. Ich würde das Doppelte bekommen, wenn ich sie über eine Vermittlung für einen Monat vermietete. Sie fragten, wonach man denn hier graben könnte, und ich erklärte, daß es um Fallgruben ginge, sie wollte vor allem die Landbesitzer befragen; Krantz und Espen Nilsson, die ein Teilstück besaßen, würden sicher Besuch bekommen. Aber sie wollte ein großes Gebiet bearbeiten, sagte ich.
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