„Ihr habt Recht,“ versetzte er. „Unser Treiben ist sehr thöricht und unehrenhaft, aber wenn man unter so lustigen Vögeln lebt, muss man mitmachen. Ausserdem, wie könnte ich meines Geldes los werden, das mich in der Tasche brennt, wenn ich an einem Tage nicht so viel ausgebe, als für drei Wochen reichen würde.“
„Gleichwohl möchte ich Euch lieber eine Wunde verbinden, die Ihr in einem ehrenhaften Kampf mit dem Feinde davon getragen hättet, als eine, die Ihr in einer nächtlichen Schlägerei holtet; auch sähe ich Euch weit lieber an der Spitze Eurer Leute im Gefecht, als dass Ihr hier mit anderen trunkenen Gesellen umhertaumelt und in den Strassen Streit sucht.“
„Ich fühle wohl, dass es unter meiner und unter Eurer Würde ist, Ihr unbärtiger Mentor,“ entgegnete Kapitän Levee. „Nun ja, es bedarf nicht eben eines Bartes, um ausfindig zu machen, dass ich mich wie ein Esel benommen habe. Na, was sagt Ihr dazu — wollen wir ein anderes Quartier nehmen, und ein anständiges Leben führen; denn so lange wir uns hier aufhalten, wird uns dies nun und nimmermehr gelingen.“
„Aufrichtig gestanden, es wäre mir lieber so,“ erwiederte ich; „denn unser gegenwärtiges Leben will mir gar nicht gefallen.“
„So sei es denn,“ sagte er. „Ich will den Vorwand brauchen, dass ich ausziehe, um in der Nähe einer schönen Dame zu sein. Dies ist ein guter zureichender Entschuldigungsgrund.“
Am anderen Tag mietheten wir uns ein anständiges Quartier, zogen ein und liessen unsere Bedienten sammt den Pferden im Wirthshaus. Wir speisten mit der Familie, und weil auch noch andere das Gleiche thaten, so hatten wir recht angenehme Gesellschaft, namentlich da unter den Kostgängern sich auch viele des zweiten Geschlechtes befanden. Als wir uns am ersten Tage zu Tisch setzten, kam ich an die Seite eines jungen Mannes von angenehmen Manieren, obschon sein Aussehen ziemlich geckenhaft war. Er trug einen sehr kostspieligen Anzug, einen Degen, dessen Heft mit Diamanten besetzt war, und Diamantenschnallen — wenigstens kam es mir so vor, denn ich war nicht Kenner genug, um ächte Juwelen von falschen zu unterscheiden. Mein Nachbar war ein sehr zutraulicher, redseliger Mensch, und noch ehe das Mittagsmahl vorüber war, hatte er mir bereits die Geschichte der meisten Anwesenden mitgetheilt.
„Wer ist die Dame in dem blauen Leibchen?“ fragte ich.
„Ihr meint vermuthlich die hübschere,“ versetzte er — „die mit dem Schönpflästerchen unter dem Auge? Sie ist eine Wittwe und hat kürzlich erst einen sechszigjährigen Mann begraben, dem sie durch ihre Mutter geopfert wurde. Aber obgleich der alte Kerl so reich war, wie ein Jude, fand er doch so viele Mängel in dem Benehmen der Dame, dass er all sein Geld anderwärts hin vermachte. Dies ist freilich nicht allgemein bekannt, und sie trägt Sorge dafür, es geheim zu halten, weil sie gar gerne wieder heirathen möchte; auch wird es ihr wohl gelingen, wenn ihre nicht sehr bedeutenden Mittel sie in die Lage setzen, das Spiel noch ein wenig länger fortzuführen. Sie hätte beinahe sogar mich daran gekriegt; aber ein Vetter von ihr, der sie nicht leiden kann, unterrichtete mich von dem wahren Sachbestand. Sie hält noch immer ihre Equipage und scheint in Schätzen wühlen zu können; aber ihre Diamanten sind insgesammt verkauft, und sie trägt falsche Steine. Jene einfache junge Person an ihrer Seite hat Geld und kennt den Werth desselben. Sie verlangt Renten gegen Renten, und statt den Bewerber an ihren Vater oder an ihre Mutter zu verweisen, schickt ihn die kleine Hexe zu ihrem Advokaten und Geschäftsführer. So hässlich sie auch ist, würde ich mich doch zum Opfer gebracht haben; aber sie behandelte mich in dieser Weise, und meiner Seele, es that mir nicht sehr leid; denn sie ist für jeden Preis zu theuer, und ich freue mich, dass ich nicht durchgegriffen habe.“
„Wer ist jener alte Gentleman mit dem schneeweissen Haar?“ fragte ich.
„Dies weiss Niemand genau,“ antwortete mein Nachbar; „allein ich habe so meine Gedanken. Ich bin der Ansicht;“ fügte er bei, indem er seine Stimme zu einem Flüstern ermässigte, „dass er ein katholischer Priester — vielleicht ein Jesuit — und ein Parteigänger des Hauses Stuart ist. Meine Vermuthung ist nicht ohne Grund, denn jedenfalls ist so viel gewiss, dass er von den Sendlingen der Regierung auf’s Sorgfältigste beobachtet wird.“
Ihr werdet Euch erinnern, Madame, wie etwa ein Jahr vor dieser Zeit das Land durch die Landung des Prätenden bennruhigt wurde, wie erfolgreich es ihm anfangs ging, und wie der Herzog von Cumberland, nachdem er von der Armee in den Niederlanden zurückgekehrt war, in Schottland einmarschirte.
„Hat man von Schottland aus Kunde über die Bewegungen der Armeen?“ fragte ich.
„Dem Vernehmen nach hat der Prätendent die Belagerung von Fort William aufgegeben; weiter wissen wir nicht, und es lässt sich nicht gut sagen, in wiefern das Gerücht wahr ist. Ihr Herren vom Militär müsst natürlich in der einen oder der andern Weise Krieg haben,“ warf mein Nachbar in gleichgültiger Weise hin.
„Was die Frage des Fechtens betrifft,“ erwiederte ich, „so wäre es mir ziemlich gleichgültig, auf welcher Seite ich kämpfte, da der Anspruch beider Parteien blos Sache der Meinung ist.“
„Wirklich?“ entgegnete er, „und für welche Seite entscheidet sich die Eurige?“
„Für gar keine, denn ich glaube, das Recht liegt bei beiden Theilen ziemlich gleich in der Wagschale. Das Haus Stuart verlor den Thron Englands wegen seiner Religion, und das von Hannover ist aus demselben Grunde zur Herrschaft berufen worden. Beide haben zur Zeit zahlreiche Anhänger, und weil Hannover für den Augenblick stark ist, so folgt daraus nicht, dass das Haus Stuart seine Sache aufgebe, so lange es noch Aussicht auf Erfolg hat.“
„Das ist wahr; aber wenn Ihr Euch für die eine oder für die andere Seite entscheiden müsstet, welcher würdet Ihr den Vorzug geben?“
„Natürlich würde ich die protestantische Religion lieber unterstützen, als die katholische. Ich bin Protestant, und dies ist Grund genug.“
„Ihr habt Recht,“ entgegnete mein Nachbar. „Ist Euer wackerer Freund derselben Ansicht?“
„Ich habe ihn nie darüber gefragt, glaube aber recht wohl für ihn mit Ja antworten zu können.“
Es war ein Glück, Madame, dass ich meine Erwiederung also hielt, denn ich erfuhr nachher, dass dieser geschniegelte, schwatzhafte Jüngling mit seinen Ringen und Bändern nichts Anderes war, als ein Regierungsspion, der auf Missvergnügte fahndete. Jedenfalls war seine Verkleidung gut, denn hinter seinem flitterhaften Aeussern und seinem gezierten Wesen hätte ich nimmermehr einen solchen Kern gesucht.
Unser gegenwärtiges Leben gefiel wir viel besser, als das frühere. Wir führten die Damen in’s Theater und zu Ranelagh, und die Sorglosigkeit, mit welcher Kapitän Levee, mich selbst mit eingeschlossen, sein Geld verthat, sicherte uns bald einen Pass in die gute Gesellschaft. Etwa vierzehn Tage später langte die Kunde von der Schlacht bei Culloden an, und es wurden Vorbereitungen zu grossen Freudenfesten getroffen. Mein geckenhafter Freund bemerkte gegen mich:
„Nun die Hoffnungen des Prätendenten in Rauch aufgegangen sind, und die hannöverische Erbfolge gesichert ist, gibt es Viele, welche dergleichen thun, als freuten sie sich und als seien sie ungemein loyal; aber wenn man die Wahrheit wüsste, würden sie als Verräther geviertheilt werden.“
Ich muss bemerken, dass am Tag vor dem Einlaufen der Kunde über die geschlagene Schlacht der alte Gentleman mit dem schneeweissen Haar verhaftet und nach dem Tower gesendet, später aber wegen Hochverraths hingerichtet wurde.
Briefe von unserem Rheder, welcher uns zu wissen that, dass unsere beiderseitige Anwesenheit unverweilt erforderlich sei, machten unserem fröhlichen Leben in London ein Ende. In der That ging auch nachgerade unser Gold sehr auf die Neige, und dieser Umstand, in Vereinigung mit der gedachten Aufforderung, bewog uns, drei Tage später aufzubrechen. Wir verabschiedeten uns von der Gesellschaft im Hause, und ausserdem gab es noch eine zärtliche Scene mit ein paar lebenslustigen jungen Frauenzimmern; dann bestiegen wir wieder unsere Rosse und brachen nach Liverpool auf, wo wir ohne irgend ein erzählenswerthes Abenteuer anlangten.
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