Er mußte unterbrochen werden, sonst hätte er immer weiter geschwatzt, und der Baron fragte:
– Wann wollen Sie denn heiraten?
Da ward der Bursche plötzlich wieder verlegen, furchtsam und sagte endlich:
– Nu wenn mer ee kleenes Papierchen dariber machten.
Diesmal ward der Baron böse:
– Himmel Donnerwetter, Sie kriegen doch den Heiratskontrakt, das genügt doch!
– Aber mer könnt’n doch immer was Schriftlichs uffsetzen, schaden kanns doch ni.
Der Baron stand auf, der Sache ein Ende zu machen:
– Sagen Sie ja oder nein, und zwar sofort! Wenn Sie keine Lust mehr haben, sagen Sie es mir, ich habe einen andern Bewerber.
Da ängstigte sich der schlaue Normanne vor dem etwaigen Konkurrenten und hielt die Hand hin, wie beim Kuhhandel:
– Nu schlagen Sie ein, Herr Baron, abgemacht! Ee Schuft, wer zurücktritt!
Der Baron schlug ein. Dann rief er Ludwine. Am Fenster erschien der Kopf der Köchin.
– Bringen Sie mal eine Flasche Wein, wir wollen trinken, um das Geschäft zu begießen.
Dann ging der Bursche mit leichteren Schritten davon. Julius ward von dem Besuche nichts gesagt. Der Kontrakt ward im Geheimen festgesetzt, und nachdem einmal das Paar aufgeboten war, fand die Hochzeit an einem Montag morgen statt.
Eine Nachbarin trug das Wurm zur Kirche hinter dem jungen Paare her, wie ein sicheres Unterpfand auf künftiges Glück, und niemand in der Gegend wunderte sich weiter darüber. Man beneidete nur Desiderius Lecoq. Er »legte sich eben in ein gemachtes Bett,« sagte man mit verständnisinnigem Lächeln, aber ohne jede sittliche Entrüstung.
Julius machte eine fürchterliche Szene, die die Anwesenheit seiner Schwiegereltern in Les Peuples abkürzte. Ohne zu große Traurigkeit sah sie Johanna abreisen, denn Paul war für sie eine unerschöpfliche Quelle des Glückes geworden.
Inhaltsverzeichnis
Als Johanna sich nach dem Wochenbett wieder ganz erholt hatte, beschloß man den Besuch der Fourvilles zu erwidern und auch zum Marquis Coutelier zu gehen. Julius hatte eben auf einer Auktion einen neuen Wagen erstanden, ein Phaeton, zu dem nur ein Pferd notwendig war; so daß er nun zweimal monatlich fahren konnte.
An einem hellen Septembertage wurde der Wagen angespannt, und nachdem sie zwei Stunden durch die normannische Ebene gefahren, bogen sie in eine kleine Thalsenkung ein, deren Hänge bewaldet waren, während sich die Mitte unter dem Pfluge befand.
Dann wurden die Äcker von Wiesen abgelöst, und die Wiesen wieder durch einen Sumpf voll hohen, in dieser Jahreszeit trockenen Röhrichts, dessen lange Blätter wie goldene Bänder im Winde wehten.
Plötzlich, nachdem die Thalmulde eine Biegung gemacht, erschien das Schloß La Brillette, auf der einen Seite an die bewaldeten Hänge gelehnt, mit der anderen ganzen Front an einem großen Teiche stehend, den gegenüber am entgegengesetzten Hang ein Wald hoher Tannen abschloß.
Um in den Herrenhof des Schlosses zu gelangen, mußte man über eine alte Zugbrücke und durch ein großes Portal im Stil Ludwigs XIII., das sich vor einem eleganten Schloß aus derselben Zeit erhob, einem Ziegelbau mit zwei schiefergedeckten Türmen rechts und links.
Julius machte Johanna auf alle Einzelheiten des Schlosses aufmerksam, wie jemand, der es genau kennt, und war ganz begeistert über seine Schönheit:
– Sieh nur dieses Portal, das ist doch großartig. Die ganze andere Front geht nach dem Teich mit einer geradezu fürstlichen Terrasse am Wasser. Am Fuße der Stufen liegen vier Boote, zwei für den Grafen, zwei für die Gräfin. Da drüben, wo Du die Pappelreihe siehst, rechts, ist der Teich zu Ende, und da beginnt der Fluß, der bis Fécamp läuft. Die ganze Gegend ist sehr reich an Wassergeflügel, es ist des Grafen höchste Passion, hier zu jagen. Das ist ein richtiger Herrschaftssitz!
Die Eingangsthür hatte sich geöffnet, und die bleiche Gräfin erschien, ihrem Besuch lächelnd entgegen eilend, in einem Schleppkleide, wie die Schloßfrauen früherer Zeit.
Sie hatte etwas gleich der Frau vom See und schien geboren für dieses gräfliche Schloß.
Von den acht Fenstern des Salons gingen vier auf das Wasser und den finsteren Tannenwald, der sich gegenüber die Anhöhe hinauf zog.
Die dunklen Bäume gaben dem Teiche etwas Tiefes, Düsteres, Strenges, und wenn der Wind blies, hatte das Ächzen der Bäume etwas wie die Stimmen der Sümpfe.
Die Gräfin nahm Johannas beide Hände, als ob sie Freundinnen wären von Kindheit an. Dann ließ sie sie niedersitzen und nahm an ihrer Seite Platz auf einem niedrigen Stuhl, wahrend Julius, in dem die einstige längst vergessene Eleganz seit fünf Monaten wieder erwacht war, freundschaftlich und liebenswürdig schwatzte und lächelte.
Die Gräfin und er sprachen von ihren Ausflügen zu Pferde. Sie lachte ein wenig über seine Art zu Pferde zu sitzen. Sie nannte ihn den »Ritter von der traurigen Gestalt« und er sie »die Amazonen-Königin.«
Da klang plötzlich unter den Fenstern ein Schuß, und Johanna stieß einen kleinen Schrei aus. Es war der Graf, der eine Kropfente gestreckt hatte. Seine Frau rief ihn sofort. Man hörte das Anlaufen eines Bootes und er erschien in hohen Stiefeln, von zwei wassertriefenden Hunden gefolgt, die rot waren, wie er, und die sich auf den Abtreter vor der Thür legten.
Er schien sich in seinen vier Pfählen sicherer zu fühlen und freute sich über seine Gäste. Er ließ im Kamin Feuer nachlegen, Madeira und Bisquit bringen, und plötzlich rief er:
– Aber Sie bleiben natürlich zu Tisch, das ist selbstverständlich.
Johanna, die nie ihr Kind vergaß, lehnte ab. Er bat noch einmal, als sie aber dabei blieb, nicht annehmen zu wollen, machte Julius eine ungeduldige, Bewegung. Da fürchtete sie, seine böse Laune und Streitsucht zu erwecken, und obgleich ihr der Gedanke, Paul erst am andern Tage wieder zu sehen, Qualen verursachte, nahm sie die Einladung an.
Der Nachmittag war reizend. Zuerst wurden die Quellen besucht. Sie ergossen sich am Fuß eines bemoosten Felsens in ein klares Bassin, in dem es immer brodelte und zischte, wie wenn das Wasser kochte. Dann wurde eine Bootfahrt unternommen auf richtigen Wasserstraßen, die in einen Wald trockenen Schilfes eingeschnitten waren. Der Graf saß zwischen seinen beiden Hunden, die immer in der Luft herum schnupperten. Jeder Stoß seiner Ruder hob das große Boot und drückte es vorwärts. Ab und zu ließ Johanna ihre Hand in das kalte Wasser hängen und freute sich über die eisige Kühle, die ihr von den Fingern bis ans Herz lief. Ganz hinten im Boot saßen Julius und die Gräfin in Shawles eingewickelt, jenes stehende Lächeln auf den Lippen wie glückliche Menschen, die in ihrem Glück keine Worte finden.
Es war dunkel, ein langer, kalter Hauch fuhr daher, der Nordwind, der über das trockene Röhricht blies. Die Sonne war hinter den Tannen untergetaucht und allein schon beim Anblick des roten, mit kleinen scharlachenen Wölkchen übersäeten Himmels, ward einem kalt.
Sie kehrten in den großen Salon zurück, in dem ein gewaltiges Feuer brannte. Das gab gleich beim Eintritt ein Gefühl von Wärme und Molligkeit. Da nahm der Graf, der aufgeräumt war und guter Laune, seine Frau in seine Athletenarme, hob sie wie ein Kind bis an seinen Mund und gab ihr zwei kräftige Küsse auf die Wangen, wie ein braver, zufriedener Mann.
Und Johanna betrachtete lächelnd diesen gutmütigen Riesen, den man, schon wenn man seinen gewaltigen struppigen Bart sah, für einen Menschenfresser gehalten hätte, und dachte: »Es ist doch sonderbar, wie man sich immer in den Menschen täuscht.« Als sie fast unwillkürlich die Blicke zu Julius wendete, gewahrte sie ihn, wie er in der Thür stand, totenbleich, starr die Augen auf den Grafen gerichtet. Sie näherte sich ängstlich ihrem Mann und fragte mit leiser Stimme:
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