Und der Pfarrer erhob sich und drückte Mutting die Hand:
– Bemühen Sie sich doch nicht Frau Baronin, bemühen Sie sich nicht, ich weiß, wie schwer jeder Schritt ist.
Als er hinaus ging, begegnete er Tante Lieschen, die nach ihrer Kranken sehen wollte. Sie merkte nichts, man sagte ihr nichts, sie erfuhr nichts, wie immer.
Inhaltsverzeichnis
Rosalie hatte das Haus verlassen, und Johanna machte die schmerzhafte Zeit der Schwangerschaft durch. Sie empfand keine Freude bei dem Gedanken an ihre Mutterschaft: zu viel Kummer hatte sie gehabt. Sie erwartete ohne Spannung und Ungeduld ihr Kind, immer noch von unsäglichen Qualen gebeugt.
Langsam war es Frühling geworden, die kahlen Bäume zitterten in dem immer noch frischwehenden Winde, aber im nassen Gras in den Gräben, wo die Herbstblätter faulten, begann die gelbe Primel zu sprießen. Von der ganzen Ebene, von den Hofräumen der Meierhöfe, von den getrockneten Feldern stieg ein feuchter Duft empor, etwas wie Gährung, und eine Menge kleiner, grüner Spitzen schossen aus der braunen Erde auf und leuchteten in den Sonnenstrahlen.
Ein dickes, mächtiges Weib war an Rosaliens Stelle gekommen und führte die Baronin bei ihrer eintönigen Promenade in ihrer Allee, wo ihr nachschleppender Fuß immer eine schwarze nasse Spur zog.
Papachen gab Johanna den Arm, der jetzt das Gehen sauer wurde und die immer leidend war, und Tante Lieschen, die beunruhigt und verstört war wegen des kommenden Ereignisses, hielt ihr auf der andern Seite die Hand, innerlich ganz beschäftigt mit dem Wunder, das da vorging und das sie nie kennen lernen sollte.
So gingen sie stundenlang dahin, indem sie kaum sprachen. Während Julius zu Pferde die Gegend durchstreifte, denn plötzlich hatte er daran Geschmack gefunden.
Nichts störte mehr ihr einsames Leben. Der Baron, seine Frau und der Vicomte machten den Fourvilles, die Julius schon gut zu kennen schien, ohne daß es eigentlich heraus kam woher, einen Besuch. Ein anderer förmlicher Besuch wurde mit den Brisevilles gewechselt, die immer noch in ihrem verwunschenen Schloß vergraben waren. Eines Nachmitttags gegen vier Uhr, als zwei Reiter, Herr und Dame; im Trab in den Hof vor dem Schloß einbogen, kam Julius ganz erregt in Johannas Zimmer:
– Schnell, schnell, komm herunter, die Fourvilles sind da. Sie kommen nur als Nachbarn, ganz einfach, weil sie Deinen Zustand kennen. Sage, daß ich ausgegangen bin, aber daß ich bald wieder zurück käme. Ich muß mich ein bißchen anziehen.
Johanna kam erstaunt herunter. Eine junge, hübsche, bleiche Frau mit leidendem Ausdruck, exaltiertem Blick und so mattblondem Haar, als wäre nie ein Sonnenstrahl darauf gefallen, stellte ruhig ihren Mann vor, eine Art Riesen und Menschenfresser, mit mächtigem, rotem Schnurrbart. Dazu sagte sie:
– Wir haben mehrmals Gelegenheit gehabt, Ihren Herrn Gemahl zu treffen, und wir wissen durch ihn, wie leidend Sie sind. Aber wir wollten doch nicht länger zögern, unsern nachbarlichen Besuch zu machen, ganz sans façon , Sie sehen ja, wir sind zu Pferde gekommen. Übrigens haben wir neulich das Vergnügen gehabt, den Besuch Ihrer Frau Mutter und des Barons zu erhalten.
Sie hatte mit unendlich vornehmer, liebenswürdiger Unbefangenheit gesprochen. Johanna war gewonnen und sofort für sie eingenommen. Die wird meine Freundin, dachte sie bei sich.
Graf Fourville dagegen hatte etwas von einem Bären, den man in einen Salon läßt.
Sobald er sich gesetzt hatte, legte er seinen Hut auf den nächsten Stuhl, wußte zuerst nicht, was er mit seinen Fingern anfangen sollte, stemmte sie auf die Kniee, dann auf die Lehnen des Sessels, und endlich faltete er die Hände, wie zum Gebet.
Da trat Julius ein. Johanna war ganz erstaunt, sie kannte ihn gar nicht wieder. Er hatte sich rasiert, war schön, elegant, verführerisch, wie zur Zeit ihres Brautstandes. Er drückte dem Grafen, der bei seinem Kommen aufgestanden war, die große, haarige Hand und küßte die Hand der Gräfin; dabei trat eine leichte Röte auf ihre bleichen Wangen, und sie blinzelte mit den Augen.
Julius sprach und war liebenswürdig wie früher, und seine großen Augen, die Spiegel der Seele, hatten wieder einen zärtlichen Ausdruck bekommen. Sein Haar, das vorhin noch ganz wild, wüst und ungepflegt gewesen war, hatte plötzlich unter der Behandlung von Bürste und Haaröl weiche, glänzende Wellen angenommen.
Im Augenblick, als die Fourvilles fortgingen, wandte sich die Gräfin zu ihm:
– Lieber Vicomte, wollen Sie Dienstag einen Spazierritt mit uns machen?
Dann, während er sich verbeugte und murmelte: »Gewiß Gräfin,« nahm sie Johannas Hand und sagte mit zarter, eindringlicher Stimme und liebenswürdigem Lächeln:
– O, wenn Sie wieder gesund sind, machen wir alle drei Ausflüge zu Pferde. Das wird reizend, wollen Sie?
Sie hatte mit anmutiger Bewegung die Schleppe des Reitkleides aufgenommen, dann sprang sie leicht wie ein Vogel in den Sattel, während ihr Mann, nachdem er linkisch gegrüßt, sein großes, normannisches Reittier bestieg, auf dem er saß wie ein Centaur.
Als sie an der Ecke verschwunden waren, rief Julius, der ganz begeistert zu sein schien:
– Das sind doch reizende Leute, diese Bekanntschaft müssen wir pflegen.
Johanna, die auch guter Laune war, sie wußte nicht warum, antwortete:
– Die kleine Gräfin ist wirklich reizend! Ich fühle, daß ich sie liebhaben werde. Aber der Mann ist eine Art Runks! Wo hast Du sie denn kennen gelernt?
Er rieb sich fröhlich die Hände:
– Ich habe sie zufällig bei Brisevilles getroffen. Der Mann scheint allerdings etwas derb zu sein, er ist ein fanatischer Jäger aber ein echter Edelmann.
Und bei Tisch waren sie fast heiter, als ob ein heimliches Glück ins Haus gekommen wäre.
Bis in die letzten Frühlingstage geschah nichts Neues weiter.
Eines Dienstags abends, als sie unter der Platane saßen, am Garten-Tisch, auf dem zwei Gläschen standen und eine Likörflasche, stieß Johanna plötzlich einen Schrei aus, wurde bleich und preßte die beiden Hände an den Leib. Ein plötzlicher, scharfer Schmerz hatte sie durchlaufen, war aber sofort wieder vergangen.
Nach zehn Minuten kam ein neuer Schmerzensanfall, der langer dauerte, obgleich er weniger heftig war.
Mit Mühe nur ging sie in’s Haus, halb getragen von ihrem Vater und ihrem Mann. Der kurze Weg von der Platane bis ins Zimmer erschien ihr endlos, und unwillkürlich stöhnte sie und verlangte zu sitzen, gequält durch ein unerträgliches Gefühl der Schwere im Leib.
Des Kindes Ankunft wurde erst Ende September erwartet, es war also noch nicht so weit; aber da sie eine Fehlgeburt fürchteten, wurde schnell angespannt, und der alte Simon fuhr im Galopp davon, um den Arzt zu holen.
Dieser kam gegen Mitternacht und erkannte auf den ersten Blick die Anzeichen einer Frühgeburt.
Im Bett hatten die Schmerzen etwas nachgelassen, aber eine furchtbare Angst bedrückte Johanna, eine verzweisiungsvolle Schwache ihres ganzen Wesens, etwas wie ein Vorgefühl des geheimnisvollen Hauchs des Todes.
Es giebt solche Augenblicke, wo er uns so nahe streift, daß sein Atem uns das Herz erstarren macht.
Das Zimmer war voll Menschen. Mutting rang nach Atem, in einem Stuhl liegend. Der Baron, dessen Hände zitterten, lief immerfort hin und her und brachte allerlei Gegenstände geschleppt, befragte den Arzt und verlor den Kopf. Julius ging mit verstörter Miene, aber innerlich ganz ruhig auf und ab, und die Witwe Dentu stand am Fußende des Bettes mit einem für die Gelegenheit passenden Gesicht, dem Gesicht einer erfahrenen Frau, die nichts mehr in Verwunderung setzt.
Als Krankenpflegerin, Hebamme, Totenfrau, die in Empfang nehmend, die ins Leben traten, deren ersten Schrei sie hörte, deren jungen Leib sie mit dem ersten Wasser wusch, die sie in die eisten Windeln wickelte – und mit derselben Ruhe dem letzten Röcheln, dem letzten Schauer derjenigen beiwohnend, die aus dem Leben gingen, die sie mit dem Totenhemd bekleidete, deren verwelkten Leib sie mit Essig wusch, die sie in die letzten Linnen bettete – sah sie mit unerschütterlichem Gleichmut allem entgegen, was Tod und Geburt betraf.
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