Sie hatten alle beide geschossen. Es war aus.
Seine Sekundanten befühlten und betasteten ihn, knöpften ihm den Rock auf und fragten ängstlich:
»Sind Sie nicht verwundet?«
Er antwortete auf gut Glück:
»Nein, ich glaube nicht!«
Übrigens war Langremont ebenso unverletzt wie sein Gegner, und Jaques Rival murmelte in sehr mißvergnügtem Ton:
»Mit diesen verfluchten Pistolen ist es immer dieselbe Geschichte: man knallt vorbei oder schießt sich tot. Ein ekelhaftes Zeug.«
Duroy rührte sich nicht. Er war erstarrt vor freudiger Überraschung: Alles war vorüber. Man mußte ihm die Waffe abnehmen, die er noch fest und krampfhaft in der Hand hielt. Jetzt war ihm zumute, als hätte er mit der ganzen Welt gekämpft. Es war vorüber! Welches Glück! Er fühlte sich plötzlich so tapfer, daß er am liebsten noch jemanden gefordert hätte.
Die Sekundanten hatten noch eine Besprechung. Sie verabredeten eine Zusammenkunft, um das Protokoll aufzunehmen. Dann stieg man wieder in den Wagen, und der Kutscher, der auf dem Bock lachte, knallte mit der Peitsche und fuhr davon.
Sie frühstückten alle vier auf dem Boulevard und plauderten über das große Ereignis des Tages. Duroy schilderte seine Eindrücke:
»Es hat mir gar nichts gemacht, ganz und gar nichts. Sie müssen das auch übrigens bemerkt haben.«
Rival antwortete:
»Ja, Sie haben sich wacker gehalten.«
Als das Protokoll aufgenommen war, legte man es Duroy vor, damit er es in den Lokalnachrichten veröffentlichte. Er war sehr erstaunt, zu lesen, daß er zwei Kugeln mit Herrn Louis Langremont gewechselt hätte, und etwas beunruhigt fragte er Rival:
»Wir haben doch nur einmal geschossen?«
»Natürlich einmal,« lächelte der andere, »jeder eine Kugel, macht zwei Kugeln.«
Und Duroy, der die Erklärung einleuchtend fand, erhob weiter keinen Widerspruch. Vater Walter umarmte ihn:
»Bravo! Bravo! Sie haben die Fahne der Vie Française verteidigt. Bravo!«
Abends besuchte Duroy alle angesehensten Zeitungen und die wichtigsten Boulevardcafes. Zweimal traf er dabei mit seinem Gegner zusammen, der sich gleichfalls überall zeigte. Sie grüßten sich nicht. Wäre einer von ihnen verwundet gewesen, so hätten sie sich die Hände gedrückt. Übrigens schwor jeder von ihnen mit vollster Überzeugung, er hätte die Kugel des anderen pfeifen gehört.
Am nächsten Morgen erhielt Duroy gegen elf Uhr ein blaues Briefchen:
»O Gott, welche Angst hab’ ich ausstehen müssen. Komme sofort zur Rue Constantinople, mein Liebster, damit ich Dich umarme. Wie tapfer Du bist — ich liebe Dich. — Clo.«
Er ging alsbald hin. Sie fiel ihm um den Hals und bedeckte ihn mit Küssen.
»Ach, Liebling, wenn du wüßtest, wie aufgeregt ich war, als ich heute morgen in den Zeitungen las! Oh, erzähle mir, sage mir alles, ich will es wissen.«
Er mußte alle Einzelheiten erzählen. Sie sagt«:
»Was für eine schlimme Nacht mußt du vor dem Duell verbracht haben?«
»Keineswegs; ich habe gut geschlafen.«
»Ich hätte kein. Auge zugetan. Und wie ist es auf dem Kampfplatz verlaufen?«
Er gab einen dramatischen Bericht:
»Wir standen uns gegenüber, nur zwanzig Schritt voneinander entfernt, kaum viermal so weit wie dieses Zimmer. Jaques fragte, ob wir fertig wären, dann kommandierte er: ‘Feuer!’ Ich erhob sofort den Arm, zielte gut, aber ich machte den Fehler, auf seinen Kopf zu zielen. Meine Waffe ging etwas schwer, und ich bin an leicht schießende Pistolen gewöhnt, so daß der Schuß durch den Widerstand des Hahnes zu hoch ging. Sehr weit kann er aber nicht fehlgegangen sein. Übrigens schießt der Halunke auch nicht schlecht. Seine Kugel fuhr mir dicht an der Schläfe vorüber. Ich habe den Windhauch verspürt.«
Sie saß auf seinen Knien und hielt ihn mit ihren Armen umschlungen, als wollte sie an der Gefahr teilnehmen; sie flüsterte:
»Mein armer Liebling! Mein armer Liebling!«
Als er mit seiner Erzählung fertig war, sagte sie:
»Oh, du weißt nicht; ich kann nicht mehr ohne dich leben. Ich muß dich sehen, aber solange mein Mann in Paris ist, geht das gar nicht so leicht. Morgens hätte ich oft eine Stunde frei, ehe du aufgestanden bist, und ich könnte dich umarmen kommen, aber ich will nicht wieder in dieses scheußliche Haus. Was machen wir nur?«
Er hatte plötzlich einen Einfall und fragte:
»Was zahlst du hier Miete?«
»Hundert Francs.«
»Gut; ich übernehme die Wohnung auf meine Rechnung und ziehe hierher um. Meine alte paßt nicht mehr für meine neue Stellung.«
Sie dachte ein paar Augenblicke nach, dann sagte sie:
»Nein, das will ich nicht!«
»Warum denn nicht?« fragte er erstaunt.
»Darum.«
»Das ist kein Grund. Die Wohnung paßt mir glänzend. Ich bin hier und ich bleibe hier.«
Er begann zu lachen:
»Übrigens ist sie ja auf meinen Namen gemietet.«
Doch sie weigerte sich nach wie vor:
»Nein, nein, ich will nicht!«
»Warum nicht? Sag’s doch!«
Da flüsterte sie ihm leise ins Ohr:
»Weil du Weiber hierher brächtest, und das will ich nicht!«
Er war entrüstet:
»So was täte ich nie im Leben, ich verspreche es dir.«
»Du tust es ja doch.«
»Ich schwöre es dir.«
»Wirklich?«
»Wahrhaftig. Mein Ehrenwort. Das ist unser Heim hier, es gehört nur uns.«
Sie umarmte ihn leidenschaftlich:
»Dann ist es mir recht, mein Liebling. Aber du mußt wissen, wenn du mich betrügst, nur einmal betrügst, dann ist es zwischen uns aus, endgültig aus, und für immer!«
Er schwor nochmals und verwahrte sich gegen ihren Verdacht, und sie verabredeten, er sollte noch am selben Tage umziehen, damit sie ihn besuchen konnte, wenn sie an der Tür vorbeikäme.
Darauf sagte sie zu ihm:
»Jedenfalls komme Sonntag zu uns zum Essen. Mein Mann findet dich reizend.«
Er fühlte sich geschmeichelt:
»Ah, wirklich?«
»Ja, du hast sein Herz gewonnen. Und dann noch eins: du hast mir doch erzählt, du wärest auf dem Lande auf einem Schloß aufgewachsen, nicht wahr?«
»Ja. Aber was …?«
»Dann mußt du auch etwas von Landwirtschaft verstehen?«
»Ja.«
»Nun gut, dann unterhalte dich mit ihm über Gartenbau und Ernte, er liebt das sehr.«
»Gut, ich werde es mir merken.«
Dann verließ sie ihn, nachdem sie ihn endlos geküßt hatte. Das Duell hatte ihre Liebe nur noch mehr entflammt.
Duroy aber dachte auf dem Wege zur Redaktion: »Was ist sie doch für ein wunderliches Ding. Wie ein Vogel! Man weiß nie, was sie will und was sie möchte. Und diese merkwürdige Ehe! Welcher Tollkopf hat diesen Alten mit diesem leichtsinnigen Wesen zusammengekoppelt? Wie ist dieser Herr Inspektor auf den Gedanken gekommen, dieses Studentenmädel zu heiraten? Ein Rätsel. War es vielleicht Liebe? Wer weiß?!«
Dann kam er zu dem Schluß: »Jedenfalls ist sie eine reizende Geliebte. Und ich werde mich hüten, mit ihr zu brechen.«
Inhaltsverzeichnis
Durch sein Duell war Duroy in die Reihe der Leitartikelschreiber der Vie Française aufgerückt. Doch bereitete es ihm unendliche Mühe, eigene Ideen zu finden; so wählte er sich als Spezialität, gegen den Niedergang der Sitten, gegen die Entartung des Charakters, gegen das Nachlassen des Patriotismus und die Anämie des französischen Ehrgefühls zu donnern. (Das Wort Anämie war seine eigene Erfindung, auf die er sehr stolz war.)
Und wenn Madame de Marelle mit ihrem spöttischen, skeptischen und scharfen Witz, den man Pariser Esprit nennt, sich über seine Tiraden lustig machte und sie mit einem kurzen, vernichtenden Wort abtat, so antwortete er lächelnd:
»Damit bekomme ich einen guten Ruf für spätere Zeiten.«
Er wohnte jetzt in der Rue Constantinople, wohin er seine ganze Einrichtung, die aus einem Koffer, einer Bürste, dem Rasierzeug und der Seife bestand, transportiert hatte. Zwei-oder dreimal in der Woche besuchte ihn dort die junge Frau schon früh am Morgen, bevor er aufgestanden war, zog sich in einer Minute aus und glitt in sein Bett, zitternd vor der draußen herrschenden Kälte.
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