DIE MUTTER:
Welch ein Wahn ist über dir? Wannen war sanfter die Zeit, wann stiller im Frieden dies Land?
JEREMIAS:
Nein, Mutter, sie sagen Friede und Friede, die Toren, aber es ist darob kein Friede noch, und sie legen sich nieder und vermeinen Schlaf, die Arglosen, und schlafen schon in ihren Tod. Mutter, eine Zeit ist nahe wie keine gewesen je in Israel, und ein Krieg, wie noch keiner über Erden gefahren! Eine Zeit, daß neiden werden die Lebendigen die Toten in der Grube um ihren Frieden und die Schauenden die Blinden um ihr Dunkel. Noch ist es nicht sichtig den Toren, noch ist es nicht offenbar den Träumern, doch ich, ich hab es geschauet Nacht um Nacht. Immer höher brennet der Brand, immer näher nahet der Feind, er ist da, der Tag des Getümmels und der Zertretung, schon steiget des Krieges rot Gestirn aus der Nacht.
DIE MUTTER:
Entsetzen… wie wüßtest du’s?…
JEREMIAS:
Ein Wort, ein heimlich Wort ist über mich kommen,
Da ich Gesichte beschaute des Nachts
Und irrging in Träumen.
Furcht und Bangnis fiel über mich,
Meine Gebeine erbebten wie eine Klapper,
Und gleich rissiger Mauer
Einstürzte mein Herz. –
Mutter,
Ich habe Dinge gesehen,
Wenn die stünden geschrieben,
Würde starren der Menschen Haar
Und der Schlaf fallen wie Asche
Von ihrem Gesicht.
DIE MUTTER:
Jeremias… was ist über dich…
JEREMIAS:
Das Ende nahet, das Ende,
Es fahret aus
Dräuend von Mitternacht,
Feuer sein Wagen,
Würgung sein Flug!
Schon rauschen Schrecknis die heiligen Himmel,
Schon bebt die Erde von Donner und Huf.
DIE MUTTER (im Entsetzen):
Jeremias!
JEREMIAS (sie anfassend, lauschend):
Hörst du… hörest du nicht, es rauschet, es rauschet schon nah…
DIE MUTTER:
Nichts höre ich! Es morgent. Hirtenflöten wachten im Tal, und ein klein Wind umspielet das Dach.
JEREMIAS:
Ein klein Wind?
Wehe, wehe!
Gewaltigen Rauschens
Wächst er empor,
Sturmwind von Gott.
Aus dem Geklüfte
Der Mitternacht
Kommt er gefahren,
Schrecknis schwingt er
Über die Stadt.
Mutter! Mutter! Hörst du es nicht:
Schwert klirrt im Wind,
Räder rollt die rauschende Welle,
Lanze blinkt und Harnisch die Nacht,
Krieger und Krieger, unendliche Scharen
Schüttet der Sturmwind über das Land.
DIE MUTTER:
Wahnwitz von Träumen! Wirrnis und Trug!
JEREMIAS:
Es nahet, es nahet,
Fremd Volk,
Mächtig und alt
Aus dem Osten der Erde,
Unendliche Fülle
Rauschen sie an,
Wie Blitz fliegen weit ihre windigen Pfeile,
Ihre Rosse sind alle mit Eile behufet,
Ihre Wagen starr wie die Felsen geschient.
Und inmitten ausfähret
Mit blutiger Krone
Der Stürzer der Städte,
Der Zünder der Brände,
Der Zwingherr der Völker,
Der König, der König von Mitternacht.
DIE MUTTER:
Der König von Mitternacht… Du träumest… der König von Mitternacht.
JEREMIAS:
Den Er erweckte,
Den Er erwählte,
Als harten Vollstrecker
Härtesten Spruchs,
Daß er strieme das Volk um all seiner Fehle,
Daß er mahle die Mauer und berste die Türme,
Daß er lösche das Licht und das Lachen der Häuser,
Daß er tilge die Stadt und den Tempel von Erden
Und pflüge die Straßen Jerusalems.
DIE MUTTER:
Irrwitz und Frevel! Ewig währet Jerusalem!
JEREMIAS:
Es fällt!
Was Gott berennet,
Hat nicht Bestand!
Von untenher
Werden dorren seine Wurzeln,
Und von obenher
Geschnitten seine Frucht!
Mit der Axt und dem Brande
Wird der Reisige roden
Israels Forst und Zions Gefild.
DIE MUTTER (ausbrechend):
Es ist nicht wahr!
Du lügst! Du lügst!
Nie wird ein Feind diese Stadt umwallen,
Nie Zion zittern, nie Davids Burg fallen!
Und wenn der Feind von den Enden der Erde käm,
Ewig werden die ragenden Mauern,
Ewig die Herzen Israels dauern,
Ewig währet Jerusalem!
JEREMIAS:
Es stürzet! Gebrochen ist der Stab und gezeichnet die Stunde! Das Ende nahet, Israels Ende!
DIE MUTTER:
Gottesleugner! Gottesleugner! Des Herrn Erwählte sind wir und werden dauern über die Zeiten! Nie vergehet Jerusalem!
JEREMIAS:
Ich habe es geschauet in meinen Träumen, offenbar ward es meinen Gesichten!
DIE MUTTER:
Frevler, wer so träumet, und Frevler siebenfach, wer glaubt solchen Träumen! Wehe, wehe, daß ichs erlebe, mein eigen Blut zaget an Zion und zweifelt des Herrn! Jeremias, Jeremias, willst du, daß mir zum Abscheu werde mein Schoß?
JEREMIAS:
Wider Willen kam mir das Grauen, nicht vermag ich zu wehren den Gesichten.
DIE MUTTER:
Halte dich wach im Gebet wider sie, und an dem Namen des Herrn zerschellet ihr Trug. Jeremias, besinne dich: eines Gesalbten Sohn bist du und geweiht, daß deine Stimme lobsinge dem Herrn, daß sie erhebe die Herzen der Zagenden und mit Mut fülle der Verstöreten Sinn!
JEREMIAS:
Wie kann ichs, wie kann ichs! Selbst bin ich der Verstörteste aller! Laß ab von mir, Mutter, laß ab!
DIE MUTTER:
Ich lasse nicht dein und nicht deine Seele dem Zweifel. Jeremias, mein einzig Kind, höre mich an! Geheimes künde ich dir zum erstenmal, daß erwache dein Herz. Höre mich, die ich zu dir rede aus meiner Not. Auch ich war eine Verzagete einst, denn zehen Jahre verschloß der Herr meinen Schoß. Spott ward ich den Gefährtinnen und der Kebsen Gelächter. Zehen Jahre trug ich es duldend und zagete schon, aber im elften entbrannte mein Herz, und ich ging in Gottes Haus, daß Er Frucht schenke meinem Schoß.
JEREMIAS:
Zum erstenmal kündest du dies… zum erstenmal.
DIE MUTTER:
Und ich warf mich zur Erde und tränkte sie mit meinen Tränen und gelobete: so ein Sohn mir geschenkt sei, ihn zu weihen dem Herrn. Ich gelobete zu schweigen und kein Wort zu tun vom Munde in meiner schweren Zeit, daß ihm dereinst der Rede Fülle sei, zu lobpreisen den Gott.
JEREMIAS:
Mich gelobet… Mutter!… auch du… auch du…
DIE MUTTER:
Selbigen Tages erkannte dein Vater mich, und ich ward dein gesegnet. Jeremias, höre, Jeremias, neun Monde begrub ich getreu die Stimme in meinem Leibe, daß dir alle Fülle des Wortes sei, daß du Lobkünder werdest des ewigen Gottes! So lösete ich mein Wort, und wir zogen dich auf, daß du lerntest die Schrift, und lieblich klang deine Stimme zum Psalter. Jeremias, nun weißt du: zum Priester bist du geweiht von Anbeginn und zum Lobkünder des Herrn. Zerreiß deiner Träume Netz und tritt in den Tag.
JEREMIAS:
Oh, zwiefach Gelöbnis, Mutter, oh, zwiefach Zeugnis dieser Nacht. Zum andern Male hast du mich erwecket dem Leben, ein Wissender bin ich worden an deinem Wort, denn wundersam: ich schrie auf meine Frage zu Gott, und er entsandte dich mir zur Rede! Oh Geheimnis dieses Wegs, oh Stachel der Träume, der mich aufstieß, oh Lockung der Bilder, die mich weckten, oh trefflicher Jäger, der nicht fehlet! Nun weiß ich, wer geschlagen an meines Schlafes Wand, bis ich aufstund von meines Lebens Schlummer, nun weiß ich, wer drängete meine Säumnis, nun weiß ich, wer mich gefordert…
DIE MUTTER:
Was ward dir! Wie eines Trunkenen gehet deine Rede…
JEREMIAS:
Ja, trunken bin ich nun der Gewißheit seines Willens und so voll der Rede, daß mich der Odem in meinem Innern ängstet. Die Siegel sind gebrochen meines Mundes, und mir brennet die Lippe der Verkündung…
DIE MUTTER:
Wehe, wenn du sie kündest deine Träume, die verruchten! Mein Sohn bist du nicht, schreist du aus solchen Wahn!
JEREMIAS:
Dein Sohn, Mutter? Oh, wie sehr bin ich dein Sohn, wie dir gleich im Geschehen! Wisse, auch ich bin ein Unfruchtbarer gewesen, und Er hat mir ein Wort gezeuget und ein Geheimnis. Erneut habe ich, Mutter, dein Wort, auch ich habe mich ihm gelobet…
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