BARUCH:
Meister, was redest du… nicht fasse ich den Sinn… sprich zu mir, daß ichs glaube und begreife, was dich erfüllet.
JEREMIAS: Daß du es glaubest… Baruch, Baruch… wirst du wahrhaft glauben meinem Worte, das ich dir sage zu dieser Stunde unter den Sternen… wirst du es nicht leugnen und verlachen, so ichs beschwöre mit meiner Seele Siegel… denn wider allen Sinn ists, was ich dir künden will…
BARUCH:
Meister… der Glaube an dich ist mein Leben…
JEREMIAS:
So höre es, höre, was ich dir sage… (geheimnisvoll, leise) Dies alles, dies alles, was heute ist zum erstenmal, ich habe es geträumt vor Monden schon, ich habe es geträumet in meinen Nächten, ganz so geträumet. Nicht ein Stern steht da, den ich nicht sah, hier oben den Wall und Gottes weißragendes Haus und unten der Feinde Scharen, Zelt an Zelt, und meines eigenen Herzens eigenen Schauer und Blick, all, all dies hab ich geträumt… Hörst du mich, Baruch, hörst du mir zu…
BARUCH (schauernd):
Ich höre dich… ich höre dich…
JEREMIAS:
Warum mir, warum ward mir dies alles offenbar vor der Zeit? Es kann nicht sein wider Gottes Willen, daß er mir aufschließt seine Pläne und mir sichtig macht Bilder des Zukünftigen. Und es darf nicht sein, es darf nicht sein, daß ich dawider mich wehre, daß ich schweige, denn Baruch, Baruch: lang verbarg ich mein Herz der Berufung und verschlug mein Ohr seinem Rufe. Doch nun, da ich schaue lebendig, was in mir längst schauten die Träume, da wie ein Spiegel sichs aufrollt außen zum Innen, nun fühle ichs zum ersten Male, daß Gott in mir ist, und Baruch, ich sage dir: er hat mich gewählet. Weh mir, wenn ich verschwiege meine Angst vor dem Volke und meine Ahnung vor den Königen. Denn nur ein Anfang ist dies, und ich kenne, ich kenne das Ende…
BARUCH:
Künde es, du Geweihter… ausrufe dein Wort…
JEREMIAS:
Baruch, Baruch, siehst du Lager und Zelt, siehest du dies schlafende Meer wogen von Mitternacht her…
BARUCH (schauernd):
Ich sehe den Feind… ich sehe die Zelte…
JEREMIAS:
Die Nacht siehest du, den Schlaf und die falsche Stille der Rast. Aber in meinem Ohr gellen die Trompeten schon und klirren die Waffen, wenn sie aufstehen und stürmen wider uns! Die Mauer, darauf wir festen Fußes noch wuchten, schon krachet sie hin, und den Schrei der Gejagten, ich höre ihn, höre ihn schon. Sie kommen, weh, sie sind da, aufschäumt ihre erzene Flut! Baruch, Baruch, wehe, mein Wort stund auf über Israel, ich höre den Tod, wie er fährt über die Stadt und die Mauern, sie fallen und mit ihnen Jerusalem. Baruch, Baruch, ich sehe es wach; denn Gott hat ein Auge mir aufgerissen im Schwarzen meines Leibes, daß ichs schaue, und einen Schrei getan in meine Eingeweide, daß ich ihn stoße aus mir wie ein Horn. Was schlafen sie noch! Was schlafen sie noch! Oh, es ist Zeit, daß man sie wecke, es ist Zeit, denn sie schlafen in ihren Tod hinein und brüten in ihr Verderben. Es ist Zeit, daß man aufschreie Jerusalem, es ist Zeit, es ist Zeit!…
BARUCH (hingerissen):
Ja, erwecke sie, erwecke sie, Jeremias!
JEREMIAS (immer fanatischer):
Oh, das törige Volk, oh, die ratlose Stadt,
Wie kann sie vom Schlaf sich umfrieden lassen,
Da Tod ihnen unter die Lagerstatt
Sein eiskalt Linnen gebreitet hat.
Oh, das törige Volk, oh, die ratlose Stadt,
Wie können sie ruhen, den Donner zu Häupten!
Oh, wie können, wie können
Sie so hindämmern, in Träumen verloren,
Da donnernd wider die Tempel und Tore
Schon Assurs Widder hämmern und rennen;
Oh, wer weckt die Toren, wer weckt die Betäubten?
Wer schreckt sie auf, wer weckt sie empor,
Wer wirft einen Ruf in ihr ohnmächtig Ohr,
Oh, wer wird in den Tod dieser Stille hinein
Gottes Gebot und Wille hinschrein?
BARUCH (ekstatisch):
Du wecke sie auf! Erwecke sie! Meister, vom Tode reiß sie auf!
JEREMIAS:
Wacht auf! Wacht auf! Empor! Empor!
Brand ist im Land! Feind hat die Stadt!
Flüchtet, eh er euch ganz zernichtet,
Entflüchtet dem Schwert, entflüchtet den Flammen,
Laßt eure Habe, laßt euer Haus,
Die Frauen rafft, die Kinder zusammen,
Eh er euch faßt, flüchtet hinaus!
Auf! Empor!
Brand ist im Land! Feind hat die Stadt!
Empor! Empor!
DER ZWEITE KRIEGER (aus dem Dunkel tretend):
Wer lärmt? Er wird die Schlafenden erwecken.
JEREMIAS:
Daß ichs vermöchte, oh, daß ichs vermöchte! Auf! erwache, Jerusalem… Gottesstadt, errette dich…
DER ZWEITE KRIEGER:
Trunken bist du… fort mit dir… geh schlafen…
BARUCH (sich dazwischen werfend):
Ablasse von ihm!
JEREMIAS:
Ich darf nicht schlafen! Keiner darf schlafen mehr. Der Wächter bin ich, der Wächter! Weh, wer mirs wehrt!
DER ZWEITE KRIEGER (ihn anfassend):
Ein Mondkranker bist du, daß du dich Wächter nennst… ich selbst bin die Wache… fort mit dir…
BARUCH:
Nicht rühr ihn an… den Erwählten des Herrn… den Profeten…
DER ZWEITE KRIEGER (ablassend):
Bist du Hananja, der Gotteskünder?
BARUCH:
Jeremias ist es, der Profet!
DER ZWEITE KRIEGER:
Jeremias, der das Volk verwirrt, der hinschrie in den Gassen, Assur werde obsiegen? Bist du gekommen, dich deiner Verheißung zu weiden? Zu früh bist du gekommen, du Zagherz, und doch zurecht meinem Zorn! Gesegnet meine Faust, daß ich dich fasse, du Krämer des Unglücks… ich will dir Verkündigung geben…
BARUCH (mit ihm ringend):
Laß ab von ihm… laß ab…
DER ERSTE KRIEGER (herbeistürzend):
Der König kommt… der König macht die Runde… schaff weg das Volk…
JEREMIAS:
Der König!… Segnung des Herrn… oh, sichtliche Deutung… Gott stößt ihn mir in die Hände…
DER ERSTE KRIEGER:
Fort mit euch… fort, ihr Schwätzer…
DER ZWEITE KRIEGER:
Hinab mit dir… da… fort… Da krieche unter und rühr dich nicht, sonst mach ich dich kalt…
DER ERSTE KRIEGER:
Weg… fort… der König kommt…
(JEREMIAS UND BARUCH werden hastig die Mauer hinabgedrängt; sie verschwinden im dunklen Schatten, aus dem sie aufgestiegen. Die beiden Krieger treten an den Rand der Mauer, um dem König und seinem Gefolge Raum zu geben. Da Zedekia erscheint, klirren sie zum Gruße mit den Speeren an die Schilde und stehen dann wieder regungslos.) (DER KÖNIG ZEDEKIA erscheint, begleitet von Abimelech und einigen seines Gefolges, auf seinem Rundweg um die Mauern. Er ist ungerüstet und barhäuptig, im weißen Mondlicht sieht sein Antlitz bleich und ernst aus. Er bleibt stehen und blickt lange auf das fahldämmernde Blachfeld hinaus.)
DER KÖNIG ZEDEKIA (zu Abimelech):
Auf wieviel schätzest du ihre Scharen, Abimelech?
ABIMELECH:
Zelt reiht sich an Zelt, schwer wie die Sterne sind sie zu zählen. Die Boten nannten ihrer hunderttausend, doch man soll den Worten nicht trauen.
ZEDEKIA:
Wahr sprichst du, Abimelech, allzu wahr. Man soll den Worten nicht trauen. Wo sind die Wahrsager, die mir rieten, wo Pharaos Heer und die Hilfe Mizraims! Nun sind wir allein wider die Heere Chaldäas.
ABIMELECH:
Zwiefach wird unsere Ehre darum sein, sie zu besiegen. Ewig währet Jerusalem!
ZEDEKIA:
Oh, daß dein Wort sich erfüllte! Doch mein Herz mißtraut schon den Worten…
ABIMELECH:
Ich schwöre auf Israels Sieg, mein König, und Tat bekräfte meinen Eid.
ZEDEKIA:
Auch ich habe einen Eid geschworen Nabukadnezarn, und man entwand mir das Wort. Das Schicksal zerbricht die Eide und Gott die Worte der Menschen. Dort unten im Dunkel ruht er, dem ich Friede zusprach, und nun ist Krieg und seine Lanzen gerüstet zur Rache. Fluch über sie alle, die an mir zerrten, daß ich diesen Weg ging wider ihn, und weh über mich, daß ich nicht stark ward, ihnen zu wehren! Nicht kannst du dies fassen vielleicht, Abimelech, denn ein Krieger bist du und spottest deines Lebens, doch auf mir lasten die Mauern und eines Volkes Geschick, tausend und abertausend Leben pochen laut durch mein Blut. Ich will beten zu Gott, daß er diese Zeit von uns nehme, denn mein Herz vermag nicht sie zu tragen und dürstet nach Frieden!
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