Stefan Zweig - Gesammelte Werke von Stefan Zweig
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Stefan Zweig (1881-1942) war ein österreichischer Schriftsteller.
Inhalt:
Jeremias – Eine dramatische Dichtung in neun Bildern
Die Liebe der Erika Ewald – Novellen
Drei Dichter ihres Lebens (Casanova-Stendhal-Tolstoi)
Drei Meister: Balzac – Dickens – Dostojewski
Brasilien
Der Kampf mit dem Dämon: Hölderlin – Kleist – Nietzsche
Erstes Erlebnis – Vier Geschichten aus Kinderland
Marie Antoinette
Die Heilung durch den Geist: Mesmer – Mary Baker-Eddy – Freud
Die Welt von Gestern – Erinnerungen eines Europäers
Joseph Fouché – Bildnis eines politischen Menschen
Amok – Novellen einer Leidenschaft
Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam
Maria Stuart
Verwirrung der Gefühle
Vergessene Träume
Die gleich-ungleichen Schwestern
Untergang eines Herzens
Angst
Sternstunden der Menschheit
Magellan
Amerigo – Die Geschichte eines historischen Irrtums
Castellio gegen Calvin
Die Ungeduld des Herzens
Marceline Desbordes-Valmore – Das Lebensbild einer Dichterin
Romain Rolland – Der Mann und das Werk
Die frühen Kränze – Gedichte
Reiseberichte (Europa, Rußland)
Die unsichtbare Sammlung – Novellen
Das Buch als Eingang zur Welt
Kurze Texte über historische Persönlichkeiten
Über Schriftsteller
Briefe an Schriftsteller
Kurze Texte über Musiker und bildenden Künster/Briefe an Frans Masereel
Abschiedsbrief Stefan Zweigs – Declaracão
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Dieser ungeheure Weltwille weiß noch nicht sofort seinen Weg. Balzac entscheidet sich zunächst für keinen Beruf. Zwei Jahre früher geboren, wäre er, ein Achtzehnjähriger, in die Reihen Napoleons getreten, hätte vielleicht bei Belle Alliance die Höhen gestürmt, wo die englischen Kartätschen niederfegten; aber die Weltgeschichte liebt keine Wiederholungen. Auf den Gewitterhimmel der napoleonischen Epoche folgen laue, weiche, erschlaffende Sommertage. Unter Ludwig XVIII. wird der Säbel zum Zierdegen, der Soldat zur Hofschranze, der Politiker zum Schönredner; nicht mehr die Faust der Tat, das dunkle Füllhorn des Zufalls vergeben die hohen Staatsstellen, sondern weiche Frauenhände schenken Gunst und Gnade, das öffentliche Leben versandet, verflacht, der Gischt der Ereignisse glättet sich zum sanften Teich. Mit den Waffen war die Welt nicht mehr zu erobern. Napoleon, dem einzelnen ein Beispiel, war eine Abschreckung für die vielen. So blieb die Kunst. Balzac beginnt zu schreiben. Aber nicht wie die anderen, um Geld zu raffen, zu amüsieren, ein Bücherregal zu füllen, ein Boulevardgespräch zu sein: ihn lüstet nicht nach einem Marschallstab in der Literatur, sondern nach der Kaiserkrone. In einer Mansarde fängt er an. Unter fremdem Namen, wie um seine Kraft zu proben, schreibt er die ersten Romane. Es ist noch nicht Krieg, sondern nur Kriegsspiel, Manöver und noch nicht die Schlacht. Unzufrieden mit dem Erfolg, unbefriedigt vom Gelingen, wirft er dann das Handwerk hin, dient drei, vier Jahre lang anderen Berufen, sitzt als Schreiber in der Stube eines Notars, beobachtet, sieht, genießt, dringt mit seinem Blick in die Welt, und dann fängt er noch einmal an. Jetzt aber mit jenem ungeheuren Willen auf das Ganze hinzielend, mit jener gigantischen fanatischen Gier, die das Einzelne, die Erscheinung, das Phänomen, das Losgerissene mißachtet, um nur das in großen Schwingungen Kreisende zu umfassen, das geheimnisvolle Räderwerk der Urtriebe zu belauschen. Aus dem Gebräu der Geschehnisse die reinen Elemente, aus dem Zahlengewirr die Summe, aus dem Getöse die Harmonie, aus der Lebensfülle die Essenz zu gewinnen, die ganze Welt in seine Retorte zu drängen, sie noch einmal zu schaffen, »en raccourci«: das ist nun sein Ziel. Nichts soll verloren gehen von der Vielfalt, und um dieses Unendliche in ein Endliches, das Unerreichbare in ein Menschenmögliches zusammenzupressen, gibt es nur einen Prozeß: die Komprimierung. Seine ganze Kraft arbeitet dahin, die Phänomene zusammenzudrängen, sie durch ein Sieb zu jagen, wo alles Unwesentliche zurückbleibt und nur die reinen, wertvollen Formen durchsickern; und sie dann, diese zerstreuten Einzelformen, in der Glut seiner Hände zusammenzupressen, ihre ungeheure Vielfalt in ein anschauliches, übersichtliches System zu bringen, wie Linné die Milliarden Pflanzen in eine enge Übersicht, wie der Chemiker die unzählbaren Zusammensetzungen in eine Handvoll Elemente auflöst – das ist nun sein Ehrgeiz. Er vereinfacht die Welt, um sie dann zu beherrschen, er preßt die Bezwungene in den grandiosen Kerker der »Com édie humaine«. Durch diesen Prozeß der Destillation sind seine Menschen immer Typen, immer charakteristische Zusammenfassungen einer Mehrheit, von denen ein unerhörter Kunstwille alles Überflüssige und Unwesentliche abgeschüttelt hat. Er konzentriert, indem er das administrative Zentralisationssystem in die Literatur einführt. Wie Napoleon macht er Frankreich zum Umkreis der Welt, Paris zum Zentrum. Und innerhalb dieses Kreises, in Paris selbst, zieht er mehrere Zirkel, den Adel, die Geistlichkeit, die Arbeiter, die Dichter, die Künstler, die Gelehrten. Aus fünfzig aristokratischen Salons macht er einen einzigen, den der Herzogin von Cadignan. Aus hundert Bankiers den Baron von Nucingen, aus allen Wucherern den Gobsec, aus allen Ärzten den Horace Bianchon. Er läßt diese Menschen enger beieinander wohnen, häufiger sich berühren, vehementer sich bekämpfen. Wo das Leben tausend Spielarten erzeugt, hat er nur eine. Er kennt keine Mischtypen. Seine Welt ist ärmer als die Wirklichkeit, aber intensiver. Denn seine Menschen sind Extrakte, seine Leidenschaften reine Elemente, seine Tragödien Kondensierungen. Wie Napoleon beginnt er mit der Eroberung von Paris. Dann faßt er Provinz nach Provinz – jedes Departement sendet gewissermaßen seinen Sprecher in das Parlament Balzacs – und dann wirft er wie der siegreiche Konsul Bonaparte seine Truppen über alle Länder. Er greift aus, sendet seine Menschen an die Fjorde Norwegens, in die verbrannten, sandigen Ebenen Spaniens, unter den feuerfarbenen Himmel Ägyptens, an die vereiste Brücke der Beresina, überallhin und noch weiter greift sein Weltwille wie der seines großen Vorbildners. Und so wie Napoleon, ausruhend zwischen zwei Feldzügen, den Code civil schuf, gibt Balzac, ausruhend von der Eroberung der Welt in der »Comedie humaine«, einen Code moral der Liebe, der Ehe, eine prinzipielle Abhandlung und zieht über die erdumspannende Linie der großen Werke noch lächelnd die übermütige Arabeske der »Contes drôlatiques«. Vom tiefsten Elend, aus den Hütten der Bauern wandert er in die Paläste von St. Germain, dringt in die Gemächer Napoleons, überall reißt er die vierte Wand auf und mit ihr die Geheimnisse der verschlossenen Räume, er rastet mit den Soldaten in den Zelten der Bretagne, spielt an der Börse, sieht in die Kulissen des Theaters, überwacht die Arbeit des Gelehrten, kein Winkel ist in der Welt, wo seine zauberische Flamme nicht hinleuchtet. Zwei-bis dreitausend Menschen bilden seine Armee, und tatsächlich: aus dem Boden hat er sie gestampft, aus seiner flachen Hand ist sie aufgewachsen. Nackt, aus dem Nichts sind sie gekommen, und er wirft ihnen Kleider um, schenkt ihnen Titel und Reichtümer, wie Napoleon seinen Marschällen, nimmt sie ihnen wieder ab, er spielt mit ihnen, hetzt sie durcheinander. Unzählbar ist die Vielfalt der Geschehnisse, ungeheuer die Landschaft, die hinter diese Ereignisse sich stellt. Einzig in der neuzeitlichen Literatur, wie Napoleon einzig in der modernen Geschichte, ist diese Eroberung der Welt in der »Comédie humaine«, dieses Zwischen-zwei-Händen-Halten des ganzen, zusammengedrängten Lebens. Aber es war der Knabentraum Balzacs, die Welt zu erobern, und nichts ist gewaltiger als früher Vorsatz, der Wirklichkeit wird. Nicht umsonst hatte er unter ein Bild Napoleons geschrieben: »Ce qu’il n’a pu achever par l’épée je l’accomplirai par la plume.«
Und so wie er sind seine Helden. Alle haben sie das Welteroberungsgelüst. Eine zentripetale Kraft schleudert sie aus der Provinz, aus ihrer Heimat, nach Paris. Dort ist ihr Schlachtfeld. Fünfzigtausend junge Leute, eine Armee, strömt heran, unversuchte keusche Kraft, entladungssüchtige, unklare Energie, und hier, im engen Räume prallen sie aufeinander wie Geschosse, vernichten sich, treiben sich empor, reißen sich in den Abgrund. Keinem ist ein Platz bereitet. Jeder muß sich die Rednerbühne erobern und dies stahlharte, biegsame Metall, das Jugend heißt, umschmieden zu einer Waffe, seine Energien konzentrieren zu einem Explosiv. Daß dieser Kampf innerhalb der Zivilisation nicht minder erbittert ist als der auf den Schlachtfeldern, dies als erster bewiesen zu haben, ist der Stolz Balzacs: »Meine bürgerlichen Romane sind tragischer als eure Trauerspiele!« ruft er den Romantikern zu. Denn das erste, was diese jungen Menschen in den Büchern Balzacs lernen, ist das Gesetz der Unerbittlichkeit. Sie wissen, daß sie zuviel sind, und müssen sich – das Bild gehört Vautrin, dem Liebling Balzacs – auffressen wie die Spinnen in einem Topf. Sie müssen die Waffe, die sie aus ihrer Jugend geschmiedet haben, noch eintauchen in das brennende Gift der Erfahrung. Nur der Überbleibende hat recht. Aus allen zweiunddreißig Windrichtungen kommen sie her wie die Sansculotten der »Großen Armee«, zerreißen sich die Schuhe auf dem Wege nach Paris, der Staub der Landstraße klebt an ihren Kleidern, und ihre Kehle ist verbrannt von einem ungeheuren Durst nach Genuß. Und wie sie sich umsehen in dieser neuen, zauberischen Sphäre der Eleganz, des Reichtums und der Macht, da fühlen sie, daß, um diese Paläste, diese Frauen, diese Gewalten zu erobern, all das wenige, das sie mitgebracht haben, wertlos sei. Daß sie ihre Fähigkeiten, um sie auszunützen, umschmelzen müßten, Jugend in Zähigkeit, Klugheit in List, Vertrauen in Falschheit, Schönheit in Laster, Verwegenheit in Verschlagenheit. Denn die Helden Balzacs sind starke Begehrende, sie streben nach dem Ganzen. Sie alle haben das gleiche Abenteuer: ein Tilbury saust an ihnen vorbei, die Räder sprühen sie an mit Kot, der Kutscher schwingt die Peitsche, aber darin sitzt eine junge Frau, in ihrem Haar blinkt der Schmuck. Ein Blick weht rasch vorüber. Sie ist verführerisch und schön, ein Symbol des Genusses. Und alle Helden Balzacs haben in diesem Augenblicke nur einen Wunsch: Mir diese Frau, der Wagen, die Diener, der Reichtum, Paris, die Welt! Das Beispiel Napoleons, daß alle Macht auch für den Geringsten feil sei, hat sie verdorben. Nicht wie ihre Väter in der Provinz ringen sie um einen Weinberg, um eine Präfektur, um eine Erbschaft, sondern um Symbole schon, um die Macht, um den Aufstieg in jenen Lichtkreis, wo die Liliensonne des Königtums glänzt und das Geld wie Wasser durch die Finger rinnt. So werden sie ja jene großen Ehrgeizigen, denen Balzac stärkere Muskeln, wildere Beredsamkeit, energischere Triebe, ein, wenn auch rascheres, so doch lebendigeres Leben zuschreibt, als den anderen. Sie sind Menschen, deren Träume Taten werden, Dichter, wie er sagt, die in der Materie des Lebens dichten. Zwiefach in ihrer Angriffsweise, ein besonderer Weg bahnt sich dem Genie, ein anderer dem gewöhnlichen. Man muß sich eine eigene Weise finden, um zur Macht zu gelangen, oder man muß die der anderen, die Methode der Gesellschaft erlernen. Als Kanonenkugel muß man mörderisch hineinschmettern in die Menge der anderen, die zwischen einem und dem Ziele stehen, oder man muß sie schleichend vergiften wie die Pest, rät Vautrin, der Anarchist, die grandiose Lieblingsfigur Balzacs. Im Quartier Latin, wo Balzac selbst in enger Stube begonnen hat, treten auch seine Helden zusammen, die Urformen des sozialen Lebens, Desplein, der Student der Medizin, Rastignac, der Streber, Louis Lambert, der Philosoph, Bridau, der Maler, Rubempré, der Journalist – ein Cénacle junger Menschen, die ungeformte Elemente sind, reine, rudimentäre Charaktere, aber doch: das ganze Leben gruppiert um eine Tischplatte in der sagenhaften Pension Vauquer. Dann aber, hineingegossen in die große Retorte des Lebens, eingekocht in die Hitze der Leidenschaften, und wieder erkaltend, erstarrend an den Enttäuschungen, unterworfen den vielfachen Wirkungen der gesellschaftlichen Natur, den mechanischen Reibungen, den magnetischen Anziehungen, den chemischen Zersetzungen, den molekularen Zerlegungen, bilden sich diese Menschen um, verlieren sie ihr wahres Wesen. Die furchtbare Säure, die Paris heißt, löst die einen auf, zerfrißt sie, scheidet sie aus, läßt sie verschwinden und kristallisiert, verhärtet, versteint wiederum die anderen. Alle Wirkungen der Wandlung, Färbung und Vereinung vollziehen sich an ihnen, aus den vereinten Elementen bilden sich neue Komplexe, und zehn Jahre später grüßen sich die Übergebliebenen, Umgeformten mit Augurenlächeln auf den Höhen des Lebens, Desplein, der berühmte Arzt, Rastignac, der Minister, Bridau, der große Maler, während Louis Lambert und Rubempré das Schwungrad zermalmend faßte. Nicht umsonst hat Balzac die Chemie geliebt, die Werke Cuviers, Lavoisiers studiert. Denn in diesem vielfältigen Prozeß der Aktionen und Reaktionen, der Affinitäten, der Abstoßungen und Anziehungen, Ausscheidungen und Gliederungen, Zersetzungen und Kristallisierungen, in der atomhaften Vereinfachung des Zusammengesetzten schien ihm deutlicher als anderswo das Bild der sozialen Zusammensetzung gespiegelt zu sein. Daß jedes Individuum ein Produkt sei, geformt von Klima, Milieu, Sitten, Zufall, von all dem, was schicksalsträchtig an ihm rührt, daß jedes Individuum seine Wesenheit aus einer Atmosphäre sauge, um selbst wieder eine neue Atmosphäre zu entstrahlen – dieses universelle Bedingtsein von In-und Umwelt war ihm Axiom. Und diesen Abdruck des Organischen im Unorganischen, und die Griffspuren des Lebendigen im Begrifflichen wieder, diese Summierungen eines momentanen geistigen Besitzes im sozialen Wesen, die Produkte ganzer Epochen aufzuzeichnen, schien ihm höchste Aufgabe des Künstlers. Alles fließt ineinander, alle Kräfte sind in Schwebe und keine frei. Ein so unbegrenzter Relativismus hat jede Kontinuität, selbst die des Charakters geleugnet. Balzac hat seine Menschen immer an den Ereignissen sich formen lassen, sich modellieren wie Ton in der Hand des Schicksals. Selbst die Namen seiner Menschen umspannen einen Wandel und kein Einheitliches. Durch zwanzig der Bücher Balzacs geht der Baron von Rastignac, Pair von Frankreich. Man glaubt ihn schon zu kennen, von der Straße her, oder vom Salon, oder von der Zeitung, diesen rücksichtslosen Arrivierten, dies Prototyp eines brutalen pariserischen unbarmherzigen Strebers, der aalglatt durch alle Schlupfwinkel der Gesetze sich durchdrückt und die Moral einer verkommenen Gesellschaft meisterhaft verkörpert. Aber da ist ein Buch, in dem lebt auch ein Rastignac, der junge arme Edelmann, den seine Eltern nach Paris schicken mit vielen Hoffnungen und wenig Geld, ein weicher, sanfter, bescheidener, sentimentaler Charakter. Und das Buch erzählt, wie er in die Pension Vauquer gerät, in jenen Hexenkessel von Gestalten, in eine jener genialen Verkürzungen, wo Balzac in vier schlecht tapezierte Wände die ganze Lebensvielfalt der Temperamente und Charaktere einschließt, und hier sieht er die Tragödie des ungekannten König Lear, des Vaters Goriot, sieht, wie die Flitterprinzessinnen des Faubourg St. Germain gierig den alten Vater bestehlen, sieht alle Niedertracht der Gesellschaft, gelöst in eine Tragödie. Und da, wie er endlich dem Sarge des allzu Gütigen folgt, allein mit einem Hausknecht und einer Magd, wie er in zorniger Stunde Paris schmutziggelb und trüb wie ein böses Geschwür von den Höhen des Père-Lachaise zu seinen Füßen sieht, da weiß er alle Weisheit des Lebens. In diesem Momente hört er die Stimme Vautrins, des Sträflings, in seinem Ohr aufklingen, seine Lehre, daß man Menschen wie Postpferde behandeln müsse, sie vor seinem Wagen hetzen und dann krepieren lassen am Ziel, in dieser Sekunde wird er der Baron Rastignac der anderen Bücher, der rücksichtslose, unerbittliche Streber, der Pair von Paris. Und diese Sekunde am Kreuzweg des Lebens erleben alle Helden Balzacs. Sie alle werden Soldaten im Kriege aller gegen alle, jeder stürmt vorwärts, über die Leiche des einen geht der Weg des andern. Daß jeder seinen Rubikon, sein Waterloo hat, daß die Gleichen Schlachten sich in Palästen, Hütten und Tavernen liefern, zeigt Balzac, und daß unter den abgerissenen Kleidern Priester, Ärzte, Soldaten, Advokaten die gleichen Triebe bekunden, das weiß sein Vautrin, der Anarchist, der die Rollen aller spielt und in zehn Verkleidungen in den Büchern Balzacs auftritt, immer aber derselbe und bewußt derselbe. Unter der nivellierten Oberfläche des modernen Lebens wühlen die Kämpfe unterirdisch weiter. Denn der äußeren Egalisierung wirkt der innere Ehrgeiz entgegen. Da keinem ein Platz reserviert ist wie einst dem König, dem Adel, den Priestern, da jeder ein Anrecht auf alle hat, so verzehnfacht sich ihre Anspannung. Die Verkleinerung der Möglichkeiten äußert sich im Leben als Verdoppelung der Energie.
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