Eine Gefahr für das Reich? … Eine Erfindung, an der alle bekannten Kriegsmittel zuschanden wurden? … Die Sache ging England und Amerika gleichermaßen an.
Ganz dunkel spürte Lord Horace, daß die Union im Grunde selber zufassen und die Gefahr beseitigen könne … Aber England hatte eine alte Rechnung mit diesen Leuten. Auch Lord Horace hatte damals die Akten des Bursfeld-Prozesses durchgesehen. Gehörte der Sohn des Mannes, der einst im Tower seinem Leben selber ein Ende setzte, zu diesem Kleeblatt in Linnais, dann mußte sich die Kraft der neuen Macht in der Tat zuerst gegen England richten. Dann war es in erster Linie Englands Sache, diese Gegner unschädlich zu machen … aufzuheben … und vielleicht die Erfindung selbst der Wehrmacht Englands dienstbar zu machen.
An diese letzte Möglichkeit dachte Dr. Glossin wohl sicher nicht. Lord Horace zog sie in die Berechnung hinein. Ein einzelner konnte sterben, bevor ihm das Geheimnis entrissen war. Drei Mitwisser … getrennt voneinander, in den sicheren Verliesen des Towers. Es mußte wunderbar zugehen, wenn es dann nicht gelang, in den Besitz des Geheimnisses zu kommen.
Dr. Glossin hatte seine Minen gut gelegt, die Fäden durch Lady Diana geschickt gesponnen. Er hatte eine lange Unterredung mit seinem englischen Gastfreund. Als er nach zweistündigem Gespräch das Zimmer von Lord Horace verließ, lag die Genugtuung des großen Erfolges unverkennbar auf seinen Zügen. Es war ihm geglückt, was er selbst kaum für möglich gehalten hatte. Es war ihm gelungen, den klugen und weitsichtigen Engländer vor seinen Wagen zu spannen.
Die Engländer hatten sich verpflichtet, die Kastanien für ihn aus dem Feuer zu holen. Sie nahmen ihm das schwerste Stück der Arbeit ab. Waren die drei erst einmal gefangen, dann brauchte man nicht mehr zu fürchten, daß plötzlich verzehrendes Feuer die Welt überfiel. Dann war die Bahn für neue Pläne frei.
Der Sonnenball berührte die stahlblauen Fluten des Tyrrhenischen Meeres und übergoß den Azurspiegel mit einer Flut roter und gelber Tinten. Auf dem Korso von Neapel wogte die Menge, Fremde und Einheimische, in buntem Durcheinander. Die Neapolitaner lachend und schwatzend, sich der Naturschönheiten ihrer Stadt und ihres Landes kaum noch bewußt. Die Fremden entzückt und gefesselt von einer Farbensinfonie, die ihre Töne von Minute zu Minute wandelte. Aber keiner von den Tausenden, die hier promenierten, genoß die Reize des Abends wohl so wie das Paar, das weitab von der Menge der Promenierenden seinen Platz auf der Straße zum Posilip gefunden hatte, wo das Grabmal Virgils sich neben dem alten Römerweg erhebt.
Schon lange saßen sie dort wortlos, Hand in Hand, bis eine kühle Brise den Mann veranlaßte, das Schweigen zu brechen.
»Wollen wir nicht lieber zurückgehen, Jane? Es weht frisch von der See.«
»Nein, Silvester, laß uns noch bleiben …«
Noch fester umschloß sie Silvesters Arm.
»Es ist unser letzter Abend in Italien. Du weißt ja nicht, mit welchem Grauen ich an die kommenden Stunden denke, in denen wir wieder zurück müssen, in denen du mich allein lassen wirst.«
»Jane … ich lasse dich doch nur für kurze Zeit, für wenige Tage, höchstens Wochen allein. Dann komme ich zu dir zurück, und dann sind wir für immer vereint. Noch viele, noch schönere Tage wird uns das Leben bescheren.«
»Noch schönere Tage? … Kann es noch Schöneres geben, als was wir jetzt genossen haben?
Wie ein Traum, wie ein unendlich schöner Traum liegen die Tage der letzten Wochen hinter mir … Unsere Hochzeit in Linnais. Wie Atma die ganze Gesellschaft betörte und wir ungesehen abreisen konnten … die wunderbare Fahrt über die Eisgipfel der Alpen … Dann der erste Gruß der sonnigen Gefilde Italiens … das Mittelmeer, der Nilstrom, die Pyramiden … Rom … das hat mir weniger gefallen. Du sprachst viel von der Geschichte und Größe der Stadt. Aber ich … bedenke nur, daß ich von Kindheit an immer in Trenton in unserem Haus und Garten gelebt habe. Rom, das war mir zuviel …«
Enger schmiegte sie sich an ihren Gatten.
»Aber am meisten freue ich mich darauf, wenn wir nach dieser Reise erst ruhig in unserem eigenen Heim sitzen werden, wenn ich nicht mehr zu sorgen brauche, daß … o warum, Silvester … warum müssen wir uns noch einmal trennen, warum willst du noch einmal von mir gehen … laß mich doch nicht zurück … laß mich nicht allein in der fremden Welt zurück … nimm mich mit nach Linnais. Ich will euch nicht stören. Ich will weder dir noch deinen Freunden in den Weg kommen, solange ihr mit eurer Erfindung zu tun habt. Nur laß mich bei dir bleiben.«
Fester umschloß Silvester sein junges Weib.
»Nein, Jane. Das ist unmöglich. Aber es sind ja nur wenige Wochen. Dann ist das große Werk vollendet. Dann bin ich unabhängig. Dann werden wir leben können, wie und wo es uns gefällt. Wo es uns am besten gefällt, da werden wir unser Heim gründen, nach dem ich mich ebenso sehne wie du.«
Nach langem Schweigen hub Jane wieder an: »Ich weiß, Silvester, auch du gehst nur ungern. Erik Truwor ist es, der uns trennt … Ja, Erik Truwor …«
Vorwurf und Bitterkeit lagen in den letzten Worten.
»Jane! Du kennst Erik Truwor nicht. Und weil du ihn nicht kennst, kannst du ihn nicht verstehen. Unser Werk … sein Werk ist größer als Menschenliebe und Menschenleid. Er arbeitet am Schicksal der Menschheit. Sollte das Geschick zweier Menschen ihn hindern dürfen … Nein, Jane. Keinen Vorwurf für Erik Truwor.«
Einen Augenblick saß Jane schweigend in sich zusammengesunken. Plötzlich warf sie ihre Arme um ihn.
»Wenn du wüßtest, Silvester, was so manchmal bald stärker, bald schwächer mich beunruhigt. Bei Tag und auch bei Nacht, wenn ich in deinen Armen liege …«
»Jane … liebe Jane. Was ist es, was dich quält?«
»Wenn ich es sagen könnte … wenn ich es wüßte, was es ist … ich würde es dir sagen … Eine dunkle Wolke … wenn mein Auge in der schönen glücklichen Zukunft sucht, quillt es schwer und schwarz vor meinen Blicken auf … Eine Ahnung … eine Furcht … ich weiß nicht, was es ist, aber alle heiteren Bilder verschwinden, ich muß die Augen schließen, muß weinen.«
»Jane … du liebes, armes Kind. Die letzten Monate haben zu sehr auf dich eingestürmt. Mein Verschwinden, der Tod deiner Mutter, der Streich Glossins … das war zu viel für dein Herz. Scheuch sie weg, die trüben Ahnungen, wenn sie wiederkommen. Denke an mich. Denke an das Glück, das uns die Zukunft bringen wird …«
Sekunden des Schwankens. Dann legte Jane ihre Arme um Silvesters Hals.
Liebevoll hüllte er ihre zarten Schultern in einen Schal und zog sie an seine Brust.
Es war ein wehmütiger und tränenreicher Abschied, als Silvester sich endlich in Düsseldorf von seiner jungen Gattin trennte, um allein nach Linnais zurückzukehren. Nur der Gedanke machte das Auseinandergehen für Silvester und Jane erträglich, daß es nur eine Trennung von wenigen Wochen sein sollte. Nur noch einige Verbesserungen. Die Konstruktion und Ausführung eines neuen, noch viel stärkeren Strahlers. Dann, das war der feste Entschluß Silvesters, sollte ihn nichts mehr von seinem Weibe fernhalten. Mit dem festen Versprechen, in spätestens vier Wochen zurückzukehren und dann für immer mit ihr zusammenzubleiben, hatte er sich schließlich aus den Armen Janes gerissen.
Er hatte ihr einen kleinen telephonischen Empfangsapparat dagelassen. Hatte sie zuletzt noch getröstet.
»Mein Liebling, wenn ich auch noch einmal auf kurze Zeit von dir gehe, werde ich doch immer bei dir sein. Ich werde imstande sein, jeden Augenblick dein Bild lebendig vor mir zu sehen, werde in jedem Augenblicke wissen können, was du tust, und wie es dir geht. Und dir gibt dieser Apparat die Möglichkeit, wenigstens meine Stimme zu hören. Ich werde keinen Tag vorübergehen lassen, ohne dich zu sehen und mit dir zu sprechen.«
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