»Das sind unsere Abmachungen.« Der Baron von Fuchs sagte es langsam und bedächtig.
Das war der Kern der Sache: »Neutral bleiben, verdienen und einig sein.« So präzisierte es der Marquis de Villaret noch einmal in drei Schlagworten.
»Dann, meine Herren, werde ich, Ihre Zustimmung vorausgesetzt, ein Kommuniqué für die Abendblätter ausgeben lassen. Der telegraphische Bericht wird für Moskau und Paris noch zurechtkommen. Das Kommuniqué wird nur den Beschluß der Neutralität und die feste Entschlossenheit, diese mit allen Mitteln zu bewahren, enthalten. Die wirtschaftlichen Abmachungen bleiben vorläufig unerörtert.«
Der Baron von Fuchs und der Marquis de Villaret bestiegen ihre vor dem Amte wartenden Kraftwagen.
Allerlei Volk hatte sich vor dem Amte versammelt. Alte Veteranen aus dem Weltkriege, die noch die Erinnerungszeichen eines Kampfes auf der Brust trugen, der der jüngeren Generation wie eine Sage aus alter Mythenzeit klang. Blühende Jugend, die nichts mehr von den Hunger- und Elendsjahren Deutschlands wußte. Dazwischen Männer in bestem Alter. Vertreter der Industrie und des Handels. Repräsentanten großer Werke und Häuser. Sie verlauerten hier am Straßenrande vor dem eisernen Gitter ihre Stunden, die sie sich sonst minutenweise mit Gold bezahlen ließen. Die Nachricht von der Konferenz der drei Ministerpräsidenten hatte ganz Berlin, ganz Deutschland und ganz Europa in Aufregung gebracht. Dr. Bauer begleitete seine auswärtigen Kollegen bis an den Wagenschlag, und während er ihnen zum Abschied noch einmal die Hand schüttelte, sagte er: »Unbedingte Neutralität.« Er sprach es so laut, daß die Nahestehenden es deutlich verstehen konnten. Wie ein Lauffeuer ging das Wort die Straße hinauf. Es lief die Linden entlang und flatterte von Mund zu Mund durch die Leipziger Straße. »Unbedingte Neutralität!« … »Wir bleiben neutral!« … »Wir lassen uns von keinem an den Schlitten fahren!« … »Die Brüder sollen ihre Sache selber besorgen!« …
So flogen die Worte zwischen den Straßenpassanten hin und her.
»Das einzig Vernünftige, was unsere Regierung tun konnte.«
»Selbstverständlich, das einzig Richtige. Wir schonen unsere Knochen und verdienen unser Geld.«
Ein Kaufmann rief es an der Ecke der Behren- und Wilhelmstraße dem anderen zu.
»Haben Sie schon gehört, Herr Geheimrat, wir bleiben absolut neutral.«
Ein Bankdirektor sagte es einem höheren Beamten aus dem Ministerium.
»Ich hörte es. Aber ich denke an die Zukunft. Einer von den beiden muß siegen. Dem Sieger gehört dann die ganze Welt. Wir auch, Herr Direktor.«
»Nicht so pessimistisch, Herr Geheimrat. Die Kämpfenden werden sich furchtbar schwächen. Wie die beiden Löwen in der Sahara, die sich bis auf die Schwanzspitzen aufgefressen haben. Die Welt gehört dann uns, Herr Geheimrat.«
»Der Himmel mag es geben.«
Der Geheimrat ging weiter. Er war so ziemlich der einzige, der Bedenken hatte. Schon erschienen die ersten Extrablätter und verkündeten die Entschließung der Regierung.
An den Fernsprechern standen die Vertreter der auswärtigen Zeitungen und Industriewerke und teilten den Beschluß nach dem Rheinland, nach Westfalen, Schlesien und Danzig mit. Die Industrie wartete seit Wochen auf das Stichwort, nach dem sie auftreten sollte. Jetzt war es gefallen.
Reinhard Isenbrand, der Chef der großen Essener Stahlwerke, saß mit den vier Generaldirektoren der Werke zu intimer Besprechung versammelt.
»Meine Herren, wir müssen für unsere Werke zu der politischen Lage Stellung nehmen. Ich glaube nicht mehr, daß sich die weltgeschichtliche Auseinandersetzung zwischen England und der Union aufhalten läßt. Der Wetterzeichen sind zu viele, als daß ich noch an eine friedliche Entspannung glauben könnte.«
Der junge energische Chef der Werke machte eine kurze Pause und blickte seine Mitarbeiter an. Unbedingte Zustimmung lag auf den Mienen von Philipp Jordan, der das Auslandgeschäft der Firma unter sich hatte. Zustimmend nickte der kaufmännische Generaldirektor Georg Baumann. Sie überschauten die politische Lage vollkommener als Professor Pistorius, der Chefkonstrukteur, und Fritz Öltjen, der Schöpfer der neuen Edelstahlfabrikation. Die beiden Techniker hatten noch die leise Hoffnung einer friedlichen Verständigung, wo die Kaufleute bereits eine unaufschiebbare Auseinandersetzung mit Waffengewalt erblickten.
Reinhard Isenbrand fuhr fort: »Nehmen wir den Konflikt als sicher an, so ist die Stellung Deutschlands und Europas zu ihm das Nächstwichtige … für uns das Wichtigste. Nach meinen Berliner Informationen wird Europa neutral bleiben. Die Pressestimmen, die sich seit einigen Tagen mit der Annullierung der europäischen Amerikaschulden durch ein siegreiches England befassen, halte ich für bestellte Arbeit. Eine direkte Beteiligung Europas an diesem Kriege wäre selbstmörderisch. Sie wäre überhaupt nur an der Seite Englands denkbar, aber dann wäre unser Land den Einwirkungen der amerikanischen Kriegsmittel fast wehrlos preisgegeben. Ich glaube, wir brauchen die Möglichkeit einer direkten Beteiligung am Kriege überhaupt nicht ernsthaft zu erörtern. Desto mehr aber unsere Maßnahmen als neutraler Staat.
Es ist klar, daß wir beide Parteien beliefern können, ohne unsere Neutralität zu verletzen. Die Sentimentalität haben wir Gott sei Dank verlernt. Mögen im Publikum Sympathien für diese oder jene Seite hier oder dort vorhanden sein. Für uns ist es reines Lieferungsgeschäft. Eine Möglichkeit, durch intensive Arbeit unsere Volkswirtschaft zu heben … die letzten Spuren vergangener Kriegsjahre zu tilgen.
Auch über die Transportfrage brauchen wir uns den Kopf nicht zu zerbrechen. Wir liefern frei ab Essen. Wie die Besteller die Ware von dort weiterschaffen, ist ihre eigene Sache. Sind die Herren der gleichen Meinung?«
Philipp Jordan erbat das Wort.
»Die Transportfrage ist für England sehr einfach. Es bringt die Fabrikate auf dem Landwege und durch den Kanaltunnel bequem auf die Insel. Bis Calais deckt die Neutralität die Transporte. Von dort der Unterseetunnel … wenn er nicht wider Erwarten von amerikanischer Seite zerstört wird.
Für die Transporte nach Amerika kommen U-Boote und Flugschiffe in Betracht. Ich hörte, daß die Union mit zwanzig Prozent Verlust aller Sendungen auf dem Luftwege durch den Kaperkrieg rechnet. Der Satz ist in ihren Kalkul eingestellt.
Aber die Transportfrage ist nicht unsere Sorge. Sie ist nicht einmal die Hauptsorge der Kriegführenden. Beide Parteien werden vielfach nur kaufen, um die Ware für den Gegner zu sperren, und werden sie ruhig hier im Lande lassen.«
»Dann die Frage der Preise?«
Reinhard Isenbrand sagte es mit einem Blick auf Georg Baumann.
»Die Preise sind durch die deutsch-französische Industriegemeinschaft festgelegt. Nach unten, nicht nach oben …«
Georg Baumann legte die Hand auf eine starke Preisliste.
»Hier sind die Grundpreise für Stahl und alle Stahlfabrikate. Wir haben in der Gemeinschaft verhandelt und für den Fall des Kriegsausbruches einen sofortigen Aufschlag von 300% in Aussicht genommen.«
»Was sollen wir verkaufen?«
Die Frage des Chefs war allgemein gestellt. Professor Pistorius ging an ihre Beantwortung.
»Das wird in der Hauptsache von der Länge des bevorstehenden Krieges abhängen. Für kurze Kriegsdauer Halbfabrikate. Bei längerer Kriegsdauer Fertigfabrikate. Sachverständige rechnen damit, daß 40% sämtlicher Luftstreitkräfte in den ersten zehn Kriegstagen vernichtet sein werden. Es wird alles davon abhängen, ob der Krieg so lange dauert, daß ein Ersatz des verlorenen Materials in Frage kommt. Die Amerikaner suchen durch die Masse zu ersetzen, was ihnen an Qualität abgeht. Sie arbeiten fieberhaft am Ausbau ihrer R. F. c.-Flotte. Inzwischen ist unser Typ ausgebildet, der die anderthalbfache Geschwindigkeit entwickelt. Die Kriegführenden werden uns jeden Motor der neuen Type zu jedem Preise aus den Händen reißen …«
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