»Erlaube mir!«
Zu gleicher Zeit mit dieser Bitte griff ich nach der Waffe und las: »Paul Galingré, Marseille.« Das war ganz sicher nicht der Name der Fabrik, sondern des Besitzers. Ich verrieth aber mein Interesse durch keine Miene, sondern frug leichthin: »Was ist das für eine Waffe?«
»Ein – ein – – ein Drehgewehr.«
»Magst Du mir zeigen, wie man mit ihm schießt?«
Er erklärte es mir. Ich hörte ihm sehr aufmerksam zu und meinte dann:
»Du bist kein Uëlad Hamalek, sondern ein Giaur.«
»Warum?«
»Siehe, daß ich recht geraten habe! Wärest Du ein Sohn des Propheten, so würdest Du mich niederschießen, weil ich Dich einen Giaur nannte. Nur die Ungläubigen haben Drehgewehre. Wie soll diese Waffe in die Hände eines Uëlad Hamalek gekommen sein! Ist sie ein Geschenk?«
»Nein.«
»So hast Du sie gekauft?«
»Nein.«
»Dann war sie eine Beute?«
»Ja.«
»Von wem?«
»Von einem Franken.«
»Mit dem Du kämpftest?«
»Ja.«
»Wo?«
»Auf dem Schlachtfelde.«
»Auf welchem?«
»Bei El Guerara.«
»Du lügst!«
Jetzt riß ihm doch endlich die Geduld. Er erhob sich und griff nach dem Revolver.
»Was sagst Du? Ich lüge? Soll ich Dich niederschießen wie – – –«
Ich fiel ihm in die Rede:
»Wie den Franken da oben im Wadi Tarfaui!«
Die Hand, welche den Revolver hielt, sank wieder nieder, und eine fahle Blässe bedeckte das Gesicht des Mannes. Doch raffte er sich zusammen und frug drohend: »Was meinst Du mit diesen Worten?«
Ich langte in meine Tasche, zog die Zeitungen heraus und that einen Blick in die Blätter, um den Namen des Mörders zu finden.
»Ich meine, daß Du ganz gewiß kein Uëlad Hamalek bist. Dein Name ist mir sehr bekannt; er lautet Hamd il Amasat.«
Jetzt fuhr er zurück und streckte beide Hände wie zur Abwehr gegen mich aus.
»Woher kennst Du mich?«
»Ich kenne Dich; das ist genug.«
»Nein, Du kennst mich nicht; ich heiße nicht so, wie Du sagtest; ich bin ein Uëlad Hamalek, und wer das nicht glaubt, den schieße ich nieder!«
»Wem gehören diese Sachen?«
»Mir.«
Ich ergriff das Taschentuch. Es war mit »P. G.« gezeichnet. Ich öffnete die Uhr und fand auf der Innenseite des Deckels ganz dieselben Buchstaben eingravirt.
»Woher hast Du sie?«
»Was geht es Dich an? Lege sie von Dir!«
Anstatt ihm zu gehorchen, öffnete ich auch das Notizbuch. Auf dem ersten Blatte desselben las ich den Namen Paul Galingré; der Inhalt aber war stenographirt, und ich kann Stenographie nicht lesen.
»Weg mit dem Buche, sage ich Dir!«
Bei diesen Worten schlug er mir dasselbe aus der Hand, so daß es in die Lache flog. Ich erhob mich, um den Versuch zu machen, es zu retten, fand aber jetzt doppelten Widerstand, da sich nun auch der jüngere der beiden Männer zwischen mich und das Wasser stellte.
Halef hatte dem Wortwechsel bisher scheinbar gleichgültig zugehört, aber ich sah, daß sein Finger an dem Drücker seiner langen Flinte lag. Es bedurfte nur eines Winkes von mir, um ihn zum Schusse zu bringen. Ich bückte mich, um auch den Compaß noch aufzunehmen.
»Halt; das ist mein! Gib diese Sachen heraus!«
Er faßte meinen Arm, um seinen Worten Nachdruck zu geben; ich aber sagte so ruhig wie möglich: »Setze Dich wieder nieder! Ich habe mit Dir zu reden.«
»Ich habe mit Dir nichts zu schaffen!«
»Aber ich mit Dir. Setze Dich, wenn ich Dich nicht niederschießen soll!«
Diese Drohung schien doch nicht ganz unwirksam zu sein. Er ließ sich wieder zur Erde nieder, und ich that ganz dasselbe. Dann zog ich meinen Revolver und begann: »Siehe, daß ich auch ein solches Drehgewehr habe! Lege das Deinige weg, sonst geht das meinige los!«
Er legte die Waffe langsam neben sich hin aus der Hand, hielt sich aber zum augenblicklichen Griffe bereit.
»Du bist kein Uëlad Hamalek?«
»Ich bin einer.«
»Du kommst nicht von Gafsa?«
»Ich komme von dort.«
»Wie lange Zeit reitest Du bereits im Wadi Tarfaui?«
»Was geht es Dich an!«
»Es geht mich sehr viel an. Da oben liegt die Leiche eines Mannes, den Du ermordet hast.«
Ein böser Zug durchzuckte sein Gesicht.
»Und wenn ich es getan hätte, was hättest Du darüber zu sagen?«
»Nicht viel; nur einige Worte.«
»Welche?«
»Wer war der Mann?«
»Ich kenne ihn nicht.«
»Warum hast Du ihn und sein Kameel getödtet?«
»Weil es mir so gefiel.«
»War er ein Rechtgläubiger?«
»Nein. Er war ein Giaur.«
»Du hast genommen, was er bei sich trug?«
»Sollte ich es bei ihm liegen lassen?«
»Nein, denn Du hattest es für mich aufzuheben.«
»Für Dich – –?«
»Ja.«
»Ich verstehe Dich nicht.«
»Du sollst mich verstehen. Der Todte war ein Giaur; ich bin auch ein Giaur und werde sein Rächer sein.«
»Sein Bluträcher?«
»Nein; wenn ich das wäre, so hättest Du bereits aufgehört, zu leben. Wir sind in der Wüste, wo kein Gesetz gilt als nur das des Stärkeren. Ich will nicht erproben, wer von uns der Stärkere ist; ich übergebe Dich der Rache Gottes, des Allwissenden, der alles sieht und keine That unvergolten läßt; aber das Eine sage ich Dir, und das magst Du Dir wohl merken: Du gibst alles heraus, was Du dem Todten abgenommen hast.«
Er lächelte überlegen.
»Meinst Du wirklich, daß ich dieses thue?«
»Ich meine es.«
»So nimm Dir, was Du haben willst!«
Er zuckte mit der Hand, um nach dem Revolver zu greifen; schnell aber hielt ich ihm die Mündung des meinigen entgegen.
»Halt, oder ich schieße!«
Es war jedenfalls eine sehr eigentümliche Situation, in der ich mich befand. Glücklicherweise aber schien mein Gegner mehr Verschlagenheit als Muth zu besitzen. Er zog die Hand wieder zurück und schien unentschlossen zu werden.
»Was willst Du mit den Sachen thun?«
»Ich werde sie den Verwandten des Todten zurückgeben.«
Es war fast eine Art von Mitleid, mit der er mich jetzt fixirte.
»Du lügst. Du willst sie für Dich behalten!«
»Ich lüge nicht.«
»Und was wirst Du gegen mich unternehmen?«
»Jetzt nichts; aber hüte Dich, mir jemals wieder zu begegnen!«
»Du reitest wirklich von hier nach Seddada?«
»Ja.«
»Und wenn ich Dir die Sachen gebe, wirst Du mich und meinen Gefährten ungehindert nach dem Bir Sauidi gehen lassen?«
»Ja.«
»Du versprichst es mir?«
»Ja.«
»Beschwöre es!«
»Ein Giaur schwört nie; sein Wort ist auch ohne Schwur die Wahrheit.«
»Hier, nimm das Drehgewehr, die Uhr, den Compaß und das Tuch.«
»Was hatte er noch bei sich?«
»Nichts.«
»Er hatte Geld.«
»Das werde ich behalten.«
»Ich habe nichts dagegen; aber gib mir den Beutel oder die Börse, in der es sich befand.«
»Du sollst sie haben.«
Er griff in seinen Gürtel und zog eine gestickte Perlenbörse hervor, die er leerte und mir dann entgegen reichte.
»Weiter hatte er nichts bei sich?«
»Nein. Willst Du mich aussuchen?«
»Nein.«
»So können wir gehen?«
»Ja.«
Er schien sich jetzt doch leichter zu fühlen als vorhin; sein Begleiter aber war ganz sicher ein furchtsamer Mensch, der sehr froh war, auf diese Weise davonzukommen. Sie nahmen ihre Habseligkeiten zusammen und bestiegen ihre Pferde.
»Salam aaleïkum, Friede sei mit Euch!«
Ich antwortete nicht, und sie nahmen diese Unhöflichkeit sehr gleichgültig hin. In wenigen Augenblicken waren sie hinter dem Rande des Wadiufers verschwunden.
Halef hatte bis jetzt kein einziges Wort gesprochen; nun brach er sein Schweigen.
»Sihdi!«
»Was?«
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