»Trage doch recht Sorge für deine Hemden«, sagte sie, »ich habe das Tuch selbst gesponnen; siehst du, diese sechs sind fein und schön, sie stammen aus meinen jüngeren Jahren, diese sechs hingegen sind schon gröber, meine Augen sind eben nicht mehr so scharf. Alle aber sind schneeweiß, und wenn du auch, während sie noch gut sind, feinere Kleider anschaffen könntest, so darfst du doch meine Wäsche dazu tragen, weil es anständige und ehrbare Leinwand ist. Wechsle recht gleichmäßig ab, wenn du sie der Wäscherin gibst, damit nicht ein Teil zuviel gebraucht wird, und verfasse immer einen genauen Waschzettel. Und daß du mir nur das Weißzeug und dergleichen mehr estimierst als bisher und nichts verzettelst! Denn bedenke, daß du von nun an für jedes Fetzchen, das dir abgeht, bares Geld in die Hand nehmen mußt und es doch nicht so gut bekömmst, als ich es verfertigt habe. Wenigstens untersteh dich nicht mehr und wische deine kotigen Schuhe auf Spaziergängen mit neuen Taschentüchern ab, welche du nachher wegwirfst, wie du neulich getan hast! Halte auch deine zwei Röcklein gut und ordentlich und hänge sie immer in den Schrank, anstatt sie zu Hause anzubehalten und halbe Tage lang so zu lesen, wie ich dich schon oft ertappt habe. Besonders wenn du sie ausbürstest, fahre nicht mit der Bürste darauf herum wie der Teufel im Buch Hiob, daß du alle Wolle abschabst!«
»Das verwünschte Kleiderputzen«, entgegnete hierauf der Sohn, welcher unterdessen beim Ausbreiten der Kleidungsstücke seine Hände auch immer unnützerweise im Koffer hatte, »das verwünschte Kleiderputzen wird überhaupt nun ein Ende nehmen; denn wenn man in der Fremde ist und sich eine ordentliche Wohnung mieten muß, so bekommt man die Bedienung mit in den Kauf. Es reut mich jeder Augenblick, den ich mit dem widerlichen Geschäft zugebracht habe.«
»Das ist wieder der Hans Obenhinaus!« rief etwas heftig die Mutter, »Bedienung! ich sage dir, lasse dich lieber nicht bedienen, wenn du dich dadurch billiger einrichten kannst. Ich sehe nicht ein, warum du nicht selbst deine Sachen in Ordnung halten solltest, während du sonst stundenlang in die Berge hineinstarrst!«
»Das verstehst du halt nicht!« hätte Heinrich fast gesagt, fand es aber für gut, die Worte zu verschlucken und sich dafür mit dem festen Vorsatze zu wappnen, hinfüro keine Schuhbürste mehr anrühren zu wollen. Das undankbare Kind vergaß hiebei gänzlich, wie rührend ihn die Mutter oft überrascht hatte, wenn er beim Antritt irgendeiner kleinen Reise, oder wenn Fremde im Hause waren, seine Schuhe glänzend gewichst fand, just wenn er mit Seufzen und falscher Scham vor dem Besuche an das verhaßte Geschäft gehen wollte.
Indessen war Frau Lee besorgt, noch eine Menge Kleinigkeiten auf die geschickteste Weise in dem Koffer unterzubringen. Dann brachte sie ein mächtiges Stück feine Seife, wohl eingewickelt, eine zierliche Nadelbüchse, Faden und Knöpfe aller Art in einem artigen Schächtelchen, eine Schere, eine gute neue Kleiderbürste, unterschiedliche Tuchabschnitzel, welche seinen Kleidungsstücken entsprachen, zusammengerollt und mit einem Bindfaden vielfach umwunden, und die sie ihm ja nicht zu verlieren empfahl, indem ein gewandter Schneider die Existenz eines Rockes mit dergleichen manchmal um ein volles Jahr zu fristen vermöge. Sie geriet hiebei wieder in einigen Konflikt mit dem Sohne, welcher alle vorhandenen Lücken für die verschiedenen Bruchstücke einer alten Flöte, für ein Lineal, eine Farbenschachtel, einen baufälligen Operngucker usw. in Beschlag nehmen wollte. Ja, er machte, obgleich er kein Mediziner war, doch einen vergeblichen Versuch, einen defekten Totenschädel, mit welchem er seinem Kämmerchen ein gelehrtes Ansehen zu geben gewußt hatte, noch unter den Deckel zu zwängen. Die Mutter jagte ihn aber mit widerstandsloser Energie von dannen, und man behauptet, daß das greuliche Möbel nicht lange nachher einem ehrlichen Totengräber bei Nacht und Nebel nebst einem Trinkgelde übergeben worden sei.
Sie schlossen mit Mühe den vollgepfropften Koffer; denn auch das Kind der unbemitteltsten Eltern, wenn es aus den Armen einer treuen Mutter scheidet, nimmt immer noch etwas weniges über seine Bedürfnisse hinaus mit und ist in einem gewissen Sinne wohlausgestattet. Die Tage sind traurig, wo diese Ausstattung, diese warme Hülle sich nach und nach auflöst und verliert und mit bitteren, oft reuevollen Erfahrungen durch wildfremdes Zeug ersetzt werden muß.
Während Heinrich noch eine große, schwere Mappe einwickelte, die ganz mit Zeichnungen, Kupferstichen und altem Papierwerk angefüllt war, sein wanderndes Museum, besorgte seine Mutter das Frühstück und ermahnte ihn, unterdessen noch bei den Hausgenossen Abschied zu nehmen. Das Haus gehörte ihr und war ein hohes altes bürgerliches Gebäude, dessen unterstes Geschoß noch in romanischen Rundbogen, die Fenster der mittleren im altdeutschen Stil und erst die zwei obersten Stockwerke modern, doch regellos gebaut waren. Alles war düster und geschwärzt. Drei oder vier Handwerkerfamilien bewohnten seit langen Jahren in guter Eintracht mit der Frau Hausmeisterin das Haus. Bei ihnen trat Heinrich nacheinander ein und sagte sein Lebewohl. Die braven Leute wünschten ihm mit herzlicher Teilnahme alles Glück und ermahnten ihn, nicht zu lange in der Welt herumzufahren, sondern bald wieder zu ihnen und zu der Mutter zurückzukehren. Die glückliche Festtagsruhe, in welcher er die zufriedenen und nach nichts weiter verlangenden Menschen antraf, trat ihm ans Herz, und er bat sie, seiner Mutter, die nun ganz allein sei, mit Rat und Tat beizustehen. Die ernsthaften Hausväter, den sonntäglichen Seifenschaum um Mund und Kinn, versicherten, daß seine Bitte unnötig sei, holten bedächtig aus ihren bescheidenen Pulten einen harten Taler hervor und drückten denselben dem Scheidenden mit diplomatischer Würde verdeckt in die Hand. Obgleich er, nach der Behauptung seiner Mutter, ein Obenhinaus war, so durfte er doch durch diese bürgerliche schöne Sitte sich nicht beleidigt finden. Auch lag ein rechter Segen in diesem sauer erworbenen und mit ernstem Entschlusse geschenkten Gelde; es schien Heinrich die ersten Tage seiner Reise hindurch, wo er es zuerst gebrauchte, um seine Hauptkasse zu schonen, als ob es gar nicht ausgehen wollte.
Endlich saß er seiner Mutter beim Frühstück gegenüber, auf dem Stuhle, auf welchem der dreijährige Knabe schon geschaukelt hatte. Es war nun alles getan und vorbereitet; ein Mann hatte den Koffer nach der Post geholt – es war eine Totenstille in der Stube. Die Morgensonne umzirkelte die altertümlichen, ererbten Porzellantassen, welche Heinrich schon zwanzig Jahre lang durch die Hände seiner Mutter gehen sah, ohne daß je eine zerbrochen wäre. Es war ein feierlicher Moment gewesen, als er für würdig erfunden ward, sein Kinderschüsselchen mit einer dieser bunten und vergoldeten Tassen versuchsweise zu vertauschen.
Frau Lee hätte ihrem Sohne noch gern allerlei gesagt; aber sie konnte mit ihm gar nicht sentimental sprechen, sowenig als er mit ihr. Endlich sagte sie schüchtern und abgebrochen:
»Werde nur nicht leichtsinnig und vergiß nicht, daß wir eine Vorsehung haben! Denke an den lieben Gott, so wird er auch an dich denken, und mach, daß du bald etwas lernst und endlich selbständig werdest; denn du weißt genau, wieviel du noch zu verbrauchen hast und daß ich dir nachher nichts mehr werde schicken können, das heißt, wenn es dir übel ergehen sollte, so schreibe mir ja, solange du weißt, daß ich selbst noch einen Pfennig besitze, ich könnte es doch nicht ertragen, dich im Elend zu wissen.«
Der Sohn schaute während dieser Anrede stumm in seine Tasse und schien nicht sehr gerührt zu sein. Die Mutter erwartete aber keine andern Gebärden, sie wußte schon, woran sie war, und fühlte sich etwas erleichtert. Ach, du lieber Himmel! dachte sie, eine Witwe muß doch alles auf sich nehmen; diese Ermahnungen zu erteilen, dazu gehört eigentlich ein Vater, eine Frau kann solche Dinge nicht auf die rechte Weise sagen; wenn das arme Kind nicht zurechtkommt, wie werde ich die Sorge mit dem gehörigen klugen Ernste vereinigen können?
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