Auf Pfingsten ward einst ein großer jugendlicher Feldzug verabredet; sämtliche kleine Mannschaft, einige Hundert an der Zahl, sollte mit klingendem Spiel ausrücken und, über Berg und Tal marschierend, die bewaffnete Jugend einer benachbarten Stadt besuchen, um mit derselben gemeinschaftliche Paraden und Übungen abzuhalten. Es herrschte eine allgemeine Aufregung, gemischt aus der Freude der Erwartung und aus der Lust der Vorbereitung. Kleine Tornister wurden vorschriftsmäßig bepackt, Patronen wurden so viele als möglich über die bestimmte Zahl angefertigt, unsere Zweipfünderkanonen sowie die Fahnen bekränzt, und überdies ging unterderhand das Gerede, wie unsere Nachbaren nicht nur propere und gedrillte Soldaten, sondern auch aufgeweckte und lustige Zecher und Kameraden wären, daß es also nicht nur gelte, sich möglichst blank und strack zu halten, sondern jeder sich gut mit Taschengeld zu versehen hätte, um den berühmten Nachbaren auf jede Weise die Stange zu halten. Dazu wußten wir, daß dort die weibliche Jugend ebenfalls teilnehmen, festlich gekleidet und bekränzt uns beim Einmarsche begrüßen und daß nach dem gemeinschaftlichen Mahle getanzt würde. Auch in dieser Hinsicht ware wir nicht gesonnen, uns etwas zu vergeben; es hieß, jeder solle sich weiße Handschuhe verschaffen, um beim Balle ebenso galant als militärisch zu erscheinen, und alle diese Dinge wurden hinter dem Rücken der Aufseher mit solcher Wichtigkeit verhandelt, daß es mir angst und bange ward, allem zu genügen. Zwar war ich einer der ersten, welcher Handschuhe aufzuweisen hatte, indem meine Mutter auf meine Klage aus den begrabenen Vorräten ihrer Jugend ein Paar lange Handschuhe von feinem weißem Leder hervorzog und unbedenklich die Hände vorn abschnitt, welche mir vortrefflich paßten. Hingegen in betreff des Geldes lebte ich der betrübten Aussicht, jedenfalls eine gedrückte und enthaltsame Rolle spielen zu müssen. In solchen Betrachtungen saß ich am Vorabend der Freudentage in einem Winkel, als mir plötzlich ein Gedanke durch den Kopf fuhr, ich das Hinausgehen der Mutter abwartete und dann zu dem Schranke eilte, in welchem mein Schatzkästchen lag. Ich öffnete es zur Hälfte und nahm unbesehen ein großes Geldstück heraus, das zuoberst lag; die anderen rückten alle ein klein wenig von der Stelle und machten ein leises Silbergeräusch, in dessen klangvoller Reinheit jedoch eine gewisse Gewalt lag, die mich schauern machte. Schnell brachte ich meine Beute zur Seite, befand mich aber nun in einer sonderbaren Stimmung, die mich scheu und wortkarg gegen meine Mutter machte. Denn wenn der frühere Eingriff mehr die Folge eines vereinzelten äußern Zwanges gewesen und mir kein böses Gewissen hinterlassen hatte, so war das jetzige Unterfangen freiwillig und vorsätzlich; ich tat etwas, wovon ich wußte, daß es die Mutter nimmer zugeben würde, auch die Schönheit und der Glanz der Münze schienen von der profanen Verausgabung abzumahnen. Jedoch verhinderte der Umstand, daß ich mich selbst bestahl zum Zwecke der Nothilfe in einem kritischen Falle, ein eigentliches Diebsgefühl; es war mehr etwas von dem Bewußtsein, welches im verlornen Sohne dämmern mochte, als er eines schönen Morgens mit seinem väterlichen Erbteil auszog, es zu verschwenden.
Am Pfingsttage war ich schon früh auf den Füßen; unsere Trommler, als die allerkleinsten auch die muntersten Bursche, durchzogen in ansehnlichem Haufen die Stadt, umschwärmt von marschbereiten Schülern, und ich beeilte mich, zu ihnen zu stoßen. Meine Mutter hatte aber noch gar viel zu besorgen; sie füllte meinen Tornister mit Eßwaren, hing mir ein artiges Reisefläschchen um, mit süßem Wein gefüllt, steckte mir noch hie und da etwas in die Taschen und gab mir gute Verhaltungsregeln. Ich hatte längst mein Gewehr auf der Schulter und die Patrontasche umgehängt, worin unter den Patronen mein großer Taler steckte, und wollte mich endlich ihren Händen entreißen, als sie ganz verwundert sagte, ich werde doch etwas Geld mitnehmen wollen? Hierauf nahm sie das bereits Abgezählte hervor und unterwies mich, wie ich es einzuteilen hätte. Es war zwar nicht überreichlich, doch höchst anständig und vollkommen hinreichend und selbst für unvorhergesehene Fälle berechnet. In einem Papiere war noch ein besonderes Stück eingewickelt, welches ich in dem gastfreundlichen Hause, wo ich einquartiert würde, den Dienstboten zu geben hätte. Wenn ich die Sache recht betrachtete, so war dies auch die erste Gelegenheit, wo eine gute Ausstattung eigentlich notwendig schien, und die Mutter ließ es also nicht an dem Ihrigen fehlen. Aber nichtsdestominder war ich überrascht, ich geriet in die größte Verlegenheit und Aufregung, und indem ich die Treppen hinunterstieg, drangen mir seltenerweise Tränen aus den Augen, daß ich sie hinter der Haustür abtrocknen mußte, ehe ich auf die Straße trat und zu dem fröhlichen Haufen stieß. Der allgemeine Jubel hätte in meinem Gemüte, welches durch die liebevolle Sorge der Mutter bewegt war, einen um so empfänglichern Grund gefunden, wenn nicht der Taler in meiner Giberne wie ein Stein auf meinem Herzen gelegen hätte. Jedoch als sich die ganze Schar zusammenfand, das Kommando erklang und wir uns ordneten und abzogen, wurden meine düstern Gedanken gewaltsam unterdrückt, und als ich, zur Vorhut eingeteilt, schon auf den freien Höhen ging unter dem morgenfrischen Himmel und der lange Zug, schimmernd und singend, mit wehenden Fahnen, sich zu unsern Füßen heranbewegte, da vergaß ich alles und lebte nur dem Augenblicke, welcher, Perle für Perle, von der glänzenden Schnur der nächsten Erwartung fiel. Wir führten ein lustiges Vorhutleben, ein alter Kriegsmann, in fremden Diensten ergraut und nun dazu verwendet, uns kleinen Nesthüpfern das Handwerk beizubringen, leitete uns an zu allerlei Schabernack und ließ sich unablässig bestürmen, aus unsern Feldflaschen zu trinken, was er mit scharfer Kritik des Inhalts tat. Wir waren stolz, keinen der Schulmänner bei uns zu haben, welche die große Kolonne begleiteten, und hörten andächtig die Kriegsabenteuer, so uns der alte Soldat erzählte.
Zur Mittagszeit machte der Zug in einem sonnigen unbewohnten Talkessel halt; der wilde Boden war mit vielen einzelnen Eichen besetzt, um welche sich das junge Kriegsvolk lagerte. Wir Leute der Vorhut aber standen auf einem Berge und schauten zufrieden auf das ferne fröhliche Gewühl hinunter. Wir waren still geworden und schlürften den stillen glanzvollen Tag ein; der alte Feldwebel lag froh an der Erde und blinzte in den ruhevollen Horizont hinaus, über blaue Ströme und Seen hin. Obgleich wir noch nichts von landschaftlicher Schönheit zu sagen wußten und einige vielleicht in ihrem Leben nie dazu kamen, fühlten wir alle doch ganz die Natur, und das um so mehr, weil wir mit unserm Freudenzuge eine würdige Staffage in der Landschaft bildeten, weil wir handelnd darin auftraten und daher der peinlichen Sehnsucht der untätigen bedeutungslosen Naturbewunderer enthoben waren. Denn ich habe erst später erfahren und eingesehen, daß das untätige und einsame Genießen der gewaltigen Natur das Gemüt verweichlicht und verzehrt, ohne dasselbe zu sättigen, während ihre Kraft und Schönheit es stärkt und nährt, wenn wir selbst auch in unserm äußern Erscheinen etwas sind und bedeuten ihr gegenüber. Und selbst dann ist sie in ihrer Stille uns manchmal noch zu gewaltig; wo kein rauschendes Wasser ist und gar keine Wolken ziehen, da macht man gern ein Feuer, um sie zur Bewegung zu reizen und sie nur ein bißchen atmen zu sehen. So trugen wir einiges Reisig zusammen und fachten es an, die roten Kohlen knisterten so leis und angenehm, daß auch unser graue und rauhe Führer vergnügt hineinsah, während der blaue Rauch dem Heerhaufen im Tale ein Zeichen unseres Aufenthaltes war; trotz der mittäglichen Sonnenhitze schien uns die erhöhte Glut des Feuers lieblich, wir verlöschten es ungern, als wir abzogen. Gar zu gern hätten wir einige Schüsse in die stille Luft gesandt, wenn es nicht streng untersagt gewesen wäre; ein Knabe hatte schon geladen und mußte den Schuß kunstgerecht wieder aus dem Gewehre ziehen, was ihm so peinlich war als einem Schwätzer das Unterdrücken eines Geheimnisses.
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