Das Meerkatzengesicht konnte wie eine Kapuze zurückgeschlagen werden, und als wir solchergestalt verwandelt dastanden, die langen Schwänze in der Hand haltend, lächelten wir ganz vergnügt und beglückwünschten uns nun erst zu unserm unverhofften Glücke. Nun wurden wir auf die Bühne geführt, wo wir von zwei großen Meerkatzen lustig begrüßt und in aller Eile für unsere bevorstehende Aufgabe unterrichtet wurden. Wir begriffen dieselbe bald und leisteten eine gelungene Probe verschiedener Purzelbäume und Affensprünge, spielten auch zierlich mit einer Kugel, so daß wir bis zu unserm Auftreten entlassen wurden. Wir spazierten gravitätisch unter dem Gedränge herum, das sich auf dem schmalen Raume zwischen den vier wirklichen und den gemalten Wänden schob und mischte; ich schaute unverwandt bald auf die Bühne, bald hinter die Kulissen und beobachtete mit hoher Freude, wie aus dem unkenntlichen, unterdrückt lärmenden und streitenden Chaos sich still und un merklich geordnete Bilder und Handlungen ausschieden und auf dem freien, hellen Raume erschienen wie in einer jenseitigen Welt, um wieder ebenso unbegreiflich in das dunkle Gebiet zurückzutauchen. Die Schauspieler lachten, scherzten, koseten und zankten, hier und da ging einer plötzlich von seiner Gruppe weg und stand in einem Augenblicke einsam und feierlich mitten auf dem Zauberbanne und machte ein so frommes Gesicht gegen die mir unsichtbare Zuschauerwelt hinaus, als ob er vor den versammelten Göttern stände. Ehe ich mich dessen versah, war er wieder mit einem Sprunge unter uns und setzte die unterbrochenen Schimpf- oder Schmeichelreden fort, indessen schon irgendein anderer sich ausgeschieden hatte, um es ebenso zu machen. Die Menschen führten ein doppeltes Leben, wovon das eine ein Traum sein mochte; aber ich wurde nicht klug daraus, welches davon der Traum und welches für sie die Wirklichkeit war. Lust und Leid schien mir in beiden Teilen gleich gemischt vorhanden zu sein; doch im innern Raume der Bühne, wenn der Vorhang geöffnet war, schien Vernunft und Würde und ein heller Tag zu herrschen und somit das wirkliche Leben zu bilden, während, sobald der Vorhang sank, mit ihm alles in trübe, traumhafte Verwirrung zu sinken schien. Auch dünkte es mich, daß diejenigen, welche sich in diesem wüsten Traume am heftigsten und leidenschaftlichsten gebärdeten, dort in dem bessern Stück Leben, wenn die Sonne des Kronleuchters hereinschien, die edelsten und ausdruckvollsten Gestalten waren; diejenigen aber, welche in der Nähe ruhig, kalt und friedfertig herumstanden, in jenem Glanze eine ziemlich traurige Rolle spielten. Der Text des Stückes war die Musik, welche das Leben in Schwung brachte. Sobald sie schwieg, stand der Tanz still, wie eine abgelaufene Uhr. Die Verse des Faust, welche jeden Deutschen, sobald er einen davon hört, elektrisieren, diese wunderbar gelungene und gesättigte Sprache klang fortwährend wie eine edle Musik, mache mich froh und setzte mich mit in Schwung, obgleich ich nicht viel mehr davon verstand als mancher Professor, der zum zwölften Male über Faust liest.
Indessen fühlte ich mich plötzlich beim Schwanze gefaßt und rücklings in die Hexenküche gezogen, wo bereits sämtliche Katzen umhersprangen und ein Schein und Gefunkel unzähliger Gesichter und Augen aus dem Parterre hereinschimmerte. Ich hatte bisher über meinen Betrachtungen die zutage getretene Dekoration der Hexenküche übersehen und daher vieles nachzuholen; denn die phantastischen Dinge um mich her, die Zerrbilder und Gespenster reizten mich sowohl wie das Treiben Mephistos, der Hexe und der andern Meerkatzen. Als ob ich nicht selbst eine Meerkatze wäre und meine Aufgabe zu erfüllen hätte, vergaß ich ganz die eingelernten Sprünge und Possen und sah ruhig und selbstvergessen den anderen zu. Nun schaute Faust voll Entzücken in den Zauberspiegel, und es nahm mich höchlich wunder, was es dort zu sehen gebe? Indem ich in der gleichen Richtung nachahmend hinsah, gingen meine Blicke dem leeren, gemalten Spiegel vorbei hinter die Kulisse und entdeckten dort in der Wirrnis des jenseitigen Lebens das Bild, welches Faust zu sehen vorgab. Gretchen war unterdessen auf die Bühne gekommen und legte sich, einige tiefbewegte Worte nach rückwärts rufend, eben die letzte Schminke auf, nachdem sie sich Augen und Wangen mit einem weißen Tuche sorglich und fest getrocknet hatte, als ob sie geweint hätte. Es war eine sehr schöne Frau, von welcher ich kein Auge mehr abwandte, ungeachtet der heimlichen Püffe und Schelten, welche ich von meinen fleißigen Mitmeerkatzen erhielt. So verlangte ich, der ich mich vorher nach dieser höheren Sphäre gesehnt hatte, nun nichts weiter, als dorthin zurückzukehren, wo die volle schöne Frauengestalt wandelte.
Die Zeit unseres Wirkens ging endlich vorüber, und ich machte meinen ersten und einzigen guten Sprung, als ich leidenschaftlich vom Schauplatze abtrat oder sprang und mich möglichst in die Nähe des gesehenen Bildes zu bringen suchte. Aber in demselben Augenblicke befand sie sich ihrerseits einsam in der Handlung, und ich konnte sie nur wieder von ferne sehen.
Sie schien irgendeinen tiefen Verdruß in sich zu tragen, und daher war ihr Spiel halb aus Anmut und halb aus sichtbarem Zorne gemischt. Diese Mischung brachte zwar kein gutes Gretchen hervor, aber sie verlieh der Spielerin einen eigentümlichen Reiz, ich nahm Partei für sie gegen ihre unbekannten Feinde und dachte mir sogleich den Roman aus, in welchen sie etwa verwickelt sein möchte. Doch löste sich dieses flüchtige Gespinste bald auf und verschmolz sich mit der dargestellten Dichtung, als Gretchens Schicksal tragisch wurde. Als sie im Kerker auf dem Stroh lag und nachher irreredete, spielte sie so meisterhaft, daß ich furchtbar erschüttert ward und doch in durstig heißer Aufregung das Bild des im grenzenlosesten Unglücke versunkenen Weibes in mich hineintrank; denn ich hielt das Unglück für wirklich und war ebenso erstaunt als gesättigt durch die Szene, welche an Stärke alles übertraf, was ich bisher gesehen, gehört oder selbst kombiniert hatte.
Der Vorhang war gefallen, und alles lief auf dem Theater bunt durcheinander, während ich einigen Papieren nachschlich, welche ich in den Händen des Direktors und der Künstler gesehen hatte und in einem Winkel hinter einer gemalten Mauer fand. Ich war begierig, Einsicht zu nehmen von dem Geschriebenen, welches so große Wirkung hervorgebracht; daher war ich bald in das Lesen der Rollen versenkt. Aber obgleich ich die körperlichen Erscheinungen gefaßt und empfunden hatte, so waren doch nun die geschriebenen Worte, als die Zeichensprache eines gereiften und großen männlichen Geistes, dem unwissenden Kinde vollkommen unverständlich; der kleine Eindringling fand sich bescheidentlich wieder vor die verschlossene Türe einer höheren Welt gestellt, und ich schlief über meinen Forschungen schnell und fest ein.
Als ich wieder erwachte, war das Theater leer und still, die Lampen ausgelöscht, und der Vollmond goß sein Licht zwischen den Kulissen über die seltsame Unordnung herein. Ich wußte nicht, wie mir geschah noch wo ich mich befand; doch als ich meine Lage erkannte, ward ich voll Furcht und suchte einen Ausgang, fand aber die Türen verschlossen, durch welche ich hereingekommen war. Nun schickte ich mich in das Geschehene und begann von neuem, alle Seltsamkeiten dieser Räume zu untersuchen. Ich betastete die raschelnden, papiernen Herrlichkeiten und legte das Mäntelchen und den Degen des Mephistopheles, welche auf einem Stuhle lagen, über meinen Meerkatzenhabit um. So spazierte ich in dem hellen Mondscheine auf und nieder, zog den Degen und fing an zu gestikulieren. Dann entdeckte ich die Maschinerie des Vorhanges, und es gelang mir, denselben aufzuziehen. Da lag der Zuschauerraum dunkel und schwarz vor mir, wie ein erblindetes Auge; ich stieg in das Orchester hinab, wo die Instrumente umherlagen und nur die Violinen sorgfältig in Kästchen verschlossen waren. Auf den Pauken lagen die schlanken Hämmer, welche ich ergriff und zagend gegen das Fell schlug, daß es einen dumpf grollenden Ton gab. Jetzt wurde ich kühner und schlug stärker, bis es zuletzt wie ein Gewitter durch den leeren, mitternächtlichen Saal hallte. Ich ließ den Donner anschwellen und wieder abnehmen, und wenn er verklang, so dünkten mich die unheimlichen Pausen noch schöner als das Geräusch selbst. Endlich erschrak ich über meinem Tun, warf die Schlegel hin und getraute mir kaum, über die Bänke des Parterre hinwegzusteigen und mich zuhinterst an der Wand hinzusetzen. Ich war kalt und wünschte zu Hause zu sein, auch ward es mir bange in meiner Einsamkeit. Die Fenster in diesem Teile des Saales waren dicht verschlossen, so daß nur die Bühne, welche immer noch den Kerker vorstellte, durch das Mondlicht magisch beleuchtet war. Im Hintergrunde stand das Pförtchen noch offen, hinter welchem Gretchen gelegen hatte, ein bleicher Strahl fiel auf das Strohlager, ich dachte an das schöne Gretchen, welches nun hingerichtet sein werde, und der stille mondhelle Kerker kam mir zauberhafter und heiliger vor als dem Faust einst Gretchens Kammer. Ich stützte meinen Kopf auf beide Hände und sah mit sehnenden Blicken hinüber, besonders in die vom Lichte halb bestreifte Vertiefung, wo das Stroh lag. Da regte es sich im Dunkel, atemlos sah ich hin, und jetzt stand eine weiße Gestalt in jenem Winkel; es war Gretchen, wie ich sie zuletzt gesehen hatte. Mich schauerte es vom Wirbel bis zur Zehe, meine Zähne schlugen zusammen, während doch ein mächtiges Gefühl glücklicher Überraschung mich durchzuckte und erwärmte. Ja, es war Gretchen, es war ihr Geist, obgleich ich in der Entfernung ihre Züge nicht unterscheiden konnte, was die Erscheinung noch geisterhafter machte. Sie schien mit dunklen Blicken in dem Raume umherzusuchen, ich richtete mich empor, es zog mich vorwärts, wie mit gewaltigen, unsichtbaren Händen, und während mein Herz hörbar klopfte, schritt ich über die Bänke gegen das Proszenium hin, jeden Schritt einen Augenblick anhaltend. Die Pelzumhüllung machte meine Füße unhörbar, so daß mich die Gestalt nicht bemerkte, bis ich, an dem Souffleurkasten hinaufklimmend, in meiner befremdlichen Tracht vom ersten Mondstrahle bestreift wurde. Ich sah, wie sie entsetzt ihr glühendes Auge auf mich richtete und, doch lautlos, zusammenfuhr. Einen leisen Schritt trat ich näher und hielt wieder ein; meine Augen waren weit geöffnet, ich hielt die Hände zitternd erhoben, indes ich, von einem frohen Feuer des Mutes durchströmt, auf das Phantom losging. Da rief es mit gebieterischer Stimme: »Halt! kleines Ding! was bist du?« und streckte drohend den Arm gegen mich, aus, daß ich fest auf der Stelle gebannt blieb. Wir sahen uns unverwandt an; ich erkannte jetzt ihre Züge wohl, sie hatte ein weißes Nachtkleid umgeschlagen, Hals und Schultern waren entblößt und gaben einen milden Schein, wie nächtlicher Schnee. Ich witterte alsogleich das warme Leben, und der abenteuerliche Mut, den ich dem Gespenste gegenüber empfunden hatte, verwandelte sich in die natürliche Blödigkeit vor dem lebendigen Weibe. Sie hingegen war immer noch zweifelhaft über meine dämonische Erscheinung, und sie rief daher noch einmal: »Wer seid Ihr, kleiner Bursch?« Kleinlaut antwortete ich: »Ich heiße Heinrich Lee und bin eine von den Meerkatzen; man hat mich hier eingeschlossen!«
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