»Bitte, Herr Graf!« sagte Heinrich und duckte sich ein bißchen unter die Decke, »Sie sind allzu gütig; aber ich mache mir nicht viel daraus, Männer zu küssen!«
»Ei, sieh da!« rief der treffliche Mann, »Sie schlaues Bürschchen! Aber trotz alledem müssen Sie mich doch ein bißchen wohl leiden, ich verlange es!«
»O gewiß, sag ich Ihnen«, erwiderte Heinrich, mit schüchternen und doch zutulichen Worten; »ich kann Sie gar nicht genug ansehen, so sehr gefallen Sie meinen Augen und meinem Herzen!« Und er sah ihn dabei wirklich mit glänzenden Augen an.
»Nun denn«, sagte der Graf mit feinem und gerührtem Lächeln, »so müssen Sie durchaus geküßt sein zur Besiegelung unseres guten Einvernehmens!« Er umarmte Heinrich und küßte ihn herzlich, und dieser küßte ihn, sein leises Sträuben aufgebend, herzhaft, und seine Augen füllten sich mit salzig heißem Wasser, da er endlich einen solchen ältern Männerfreund gefunden nach langem Irrsal. Denn über einen rechten Mann scheint die Welt wieder gelungen, recht und hoffnungsvoll zu sein. Schweigend sah er den Grafen an, und dieser schwieg auch eine Weile; dann drückte Heinrich die Augen in das Kissen und suchte sie verstohlen zu trocknen, sagte aber dann »Es geht mir recht närrisch! Als ich ein Schuljunge war, war nichts imstande, mir Tränen zu entlocken, und ich galt für einen verstockten Burschen; seit ich groß geworden bin, ist der Teufel alle Augenblick los, und höchstens bring ich es zu einem oder zwei gänzlich trockenen Jahrgängen!«
Der Graf nahm seine Hand und sprach »Gedulden Sie sich noch ein paar Jährchen, und dann wird es vorbei sein und standhaftes trockenes Sommerwetter werden. Es ging mir geradeso vor zwanzig und dreißig Jahren und reut mich noch heute nicht! Doch nun stehen Sie auf, ziehen sich an und frühstücken. Wissen Sie was! Ich werde es hierher bestellen, und Sie erzählen mir, wie es Ihnen ergangen, das heißt, Sie liefern mir eine förmliche Fortsetzung der Jugendgeschichte.«
Während Heinrich sich ankleidete und frühstückte, begann er zu erzählen und zündete dazu, als er mit Essen fertig war, eine gute Zigarre an, wie auch der Graf eine solche rauchte. Heinrich erzählte und beichtete mit Lust und frohem Mut, mit Härte und Schärfe, bald mutwillig, bald traurig, bald schnell und feurig, dann wieder langsam und bedenklich, und tat seinem Wesen nicht den mindesten Zwang an, ohne eine Unschicklichkeit zu sagen, oder wenn er eine solche sagte, so fühlte er es sogleich und verbesserte sich ohne großen Kummer; denn was aus einem schicklichen Gemüte kommt, ist leicht zu ertragen, und sein Zuhörer, obgleich er ein älterer Mann war, verbreitete nichts als Freiheit und Sicherheit um sich. Er war jung mit dem Jungen, ohne den Wert seiner Jahre zu verbergen, leicht beweglich und anmutig, doch mit dem Gewichte eines Mannes, der gelebt und gedacht hat und fest steht, wo er steht. Er hörte geläufig und aufmerksam zu, ohne ängstliche Spannung, und ließ sich ansehen, daß der Erzähler bei ihm zu Hause war und verstanden wurde mit feinem Sinne, auch wenn er ein Wort überhört hatte. Auch gab er sein Verständnis nicht mit Ausrufen und Wortstellungen zu erkennen, sondern hörte ebenso leicht und zwanglos, wie ihm erzählt wurde, und Heinrich konnte im Zimmer umhergehen, einen Gegenstand betrachten oder etwas hantieren, ohne dabei den Zuhörer beim Erzählen zu dessen Pein zu fixieren, ob er auch höre und verstehe? So sprach er zum ersten Mal, seit er jenes Buch geschrieben, wieder so recht aus sich heraus und fühlte mit bewegtem Herzen den Unterschied, wenn man dem toten weißen Papier erzählt oder einem lebendigen Menschenkind. So vergingen beinahe zwei Stunden, und als er mit seiner Ankunft auf dem Kirchhof geendet, sagte der Graf »Wenn Sie als Maler ein Pfuscher gewesen wären, so hätte das Verlassen dieses Berufes gar keine Bedeutung und könnte uns hier nicht weiter beschäftigen. Da Sie aber, wie ich den Beweis im Hause habe, unter günstigeren Umständen oder bei besserer Ausdauer gar wohl noch eine so gute Figur hätten machen können als so mancher sein Ansehen kümmerlich aufrechthaltende Gesell, der tut, als ob die Musen an seiner Wiege gestanden hätten, so gewinnt die Sache einen tiefern Sinn, und ich gestehe aufrichtig, daß es mir ausnehmend wohl gefällt und mir als ein stolzer und wohlbewußter Streich erscheint, ein Handwerk, das man versteht, durchschaut und sehr wohl empfindet, dennoch wegzuwerfen wie einen alten Handschuh, weil es uns nicht zu erfüllen vermag, und sich dafür unverweilt die weite lebendige Welt anzueignen.«
»Sie täuschen sich«, unterbrach ihn Heinrich, »ich konnte wirklich nichts machen, ich habe es ja versucht, und auch bei günstigeren Verhältnissen würde ich höchstens ein stelzbeiniger dilettantischer Akademist geworden sein, einer jener Absonderlichen, die etwas Apartes vorstellen und dennoch nicht in die Welt und in die Zeit taugen!«
»Larifari!« erwiderte der Graf, »ich sage Ihnen, es war bloß Ihr guter Instinkt, der Sie damals nichts zuwege bringen ließ. Ein Mensch, der zu was Besserm taugt, macht das Schlechtere immer schlecht, gerade solange er es gezwungen und in guter Naivetät macht; denn nur das Höchste, was er überhaupt hervorbringen kann, macht der Unbefangene gut; in allem andern macht er Unsinn und Dummheiten. Ein anderes ist, wenn er aus purem Übermut das Beschränktere wieder vornimmt, da mag es ihm spielend gelingen. Und dies wollen wir, denk ich, noch versuchen; denn Sie müssen nicht so jämmerlich davonlaufen, sondern mit gutem Anstand von dem Handwerk Ihrer lugend scheiden, daß keiner Ihnen ein schiefes Gesicht nachschneiden kann! Auch was wir aufgeben, müssen wir elegant und fertig aufgeben und ihm mit geschlossener Abrechnung freiwillig den Rücken kehren. Dann aber wollen wir bestialische Flurschützen prügeln, dies sei unser Metier, in Liebe und Haß wirken, in Neigung und Widerstand! Sie werden aufhören, selbst Tränen zu vergießen, aber dafür andere deren vergießen lassen, die einen aus Freude, die anderen aus Zorn und Arger! Aber jetzt vor allem zur Sache! Ich habe Ihre sämtlichen Studien bei dem alten Teufelskerl gekauft, Stück für Stück um einen Taler. Ich lief eifrig hin, damit mir ja keine entgehe, denn die Sachen gefielen mir wohl, ohne daß ich jedoch viel dabei dachte, und erst als ich sah, daß hier ein ganzer wohlgeordneter Fleiß stückweise zum Vorschein kam, vielleicht die heiteren Blütenjahre eines unglücklich gewordenen Menschen, gewann ich ein tieferes Interesse an den Sachen und sammelte sie sorgfältig auf, seltsam bewegt, wenn ich sie so beisammen sah und alle die verschwendete Liebe und Treue eines Unbekannten, die Luft eines schönen Landes und verlorener Heimat herausfühlte; denn man sah wohl, daß dies nicht Reisestudien waren, sondern ein Grund und Boden vom Jugendlande des Urhebers. Der Trödler wollte mir aber nie sagen, wo derselbe aufzufinden, und beharrte eigensinnig auf seinem Geheimnis; er log mich an und sagte, es schicke sie ihm ein auswärtiger Händler, als ob der Kauz weiß Gott welche Geschäftsverbindungen hätte in seiner Spelunke. Nun sagen Sie aber wollen Sie die Sachen wiederhaben, oder wollen Sie mir dieselben lassen?«
»Sie sind ja Ihr Eigentum!« sagte Heinrich.
»Was da Eigentum! Sie werden doch nicht glauben, daß ich, nun ich Sie kenne und in meinem Hause habe, Ihre Mappe um solches Bettelgeld behalten will, das wäre ja wie gestohlen! Oder wollen Sie mich schon beschenken, Sie armer Schlucker?«
»Ich meine«, sagte Heinrich, »daß die Mappe ihre Dienste getan und sich für mich vollständig verwertet hat; erst habe ich etwas daran gelernt und, indem ich sie zusammenbrachte, nichts Schlechteres verübt; dann hat sie mir zur Zeit der Not das Leben gefristet, und zwar auf eine Weise, durch welche ich wieder etwas gelernt habe, und auf die Größe der Summe kam es gar nicht an. Jeder Groschen hatte für mich den Wert eines Talers und machte mir ebenso großes Vergnügen als ein solcher, und so habe ich zu Recht bestehend mich der Sachen entäußert. Endlich hat sie mir Ihr Wohlwollen erworben und mir das artigste Abenteuer vorbereitet, und so denke ich, durch dies alles sei ich vollkommen entschädigt.«
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