»Und jetzt, McMurdo, haben Sie das Wort,« sagte McGinty, als sie allein waren. Die sieben Leute saßen steif und regungslos auf ihren Plätzen.
»Ich habe bereits gesagt, daß ich Birdy Edwards kenne,« erklärte McMurdo. »Ich brauche wohl nicht erst hinzuzufügen, daß er sich hier nicht unter diesem Namen aufhält. Er ist zwar ein tapferer Mann, dessen bin ich sicher, aber sicherlich nicht verrückt. Er wohnt unter dem Namen Steve Wilson in Hobsons Patch.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich habe ihn zufällig getroffen und bin mit ihm in’s Gespräch gekommen. Ich habe dem damals keine Bedeutung beigelegt und würde wahrscheinlich nicht mehr daran gedacht haben, wenn nicht dieser Brief gekommen wäre. Aber ich bin meiner Sache sicher. Ich traf ihn in der Bahn, als ich letzten Mittwoch hinunterfuhr. Er ist eine harte Nuß, das kann ich euch sagen. Er teilte mir mit, daß er ein Zeitungsmann sei, was ich damals auch glaubte. Er wollte alles über die Rächer und ihre Schandtaten, wie er sie nannte, für die New Yorker Presse erfahren. Er versuchte, mich nach jeder Richtung auszufragen, um Stoff für seine Zeitungen zu gewinnen. Aus mir hat er natürlich nichts herausbekommen. ›Ich bin bereit, dafür zu zahlen,‹ sagte er, ›und gut zu zahlen, wenn Sie mir das Material verschaffen, das mein Redakteur haben will.‹ Ich erzählte ihm einiges, von dem ich annahm, daß es ihn interessieren würde, und er gab mir dafür eine Zwanzig-Dollarnote. ›Sie können noch zehnmal mehr haben,‹ sagte er,›wenn Sie mir alles, was ich wissen will, besorgen.‹«
»Was haben Sie ihm denn erzählt?«
»Verschiedene Dinge, die ich mir in der Eile zusammengebraut habe.«
»Woher wissen Sie, daß er kein Reporter ist?«
»Aus folgendem: Ich stieg, wie er, in Hobsons Patch aus. Zufällig ging ich in das Telegraphenamt, als er eben herauskam. ›Eigentlich,‹ sagte der Telegraphist zu mir, nachdem er gegangen war, ›sollten wir die doppelten Gebühren für so etwas verlangen.‹
Recht haben Sie, sagte ich. Er hatte ein Formular vor sich, das in einer Sprache geschrieben war, die ebensogut chinesisch hätte sein können. ›Er schickt jeden Tag so einen Bogen ab,‹ sagte der Telegraphist. ›Jawohl,‹ sagte ich, ›es sind Sondernachrichten für seine Zeitung, und er fürchtet sich, daß ihm die anderen etwas davon wegstehlen könnten.‹ Das dachte auch der Telegraphist, und ich war selbst damals ganz davon überzeugt. Aber jetzt denke ich anders darüber.«
»Bei Gott! Ich glaube, Sie haben recht,« sagte McGinty. »Aber was schlagen Sie vor, das wir mit ihm anfangen sollen?«
»Warum sollen wir nicht gleich jetzt hinuntergehen und ihn uns vornehmen?«
»Jawohl, je früher, desto besser.«
»Auch ich würde dies vorschlagen, wenn ich wüßte, wo er zu finden ist,« sagte McMurdo. »Ich weiß zwar, daß er in Hobsons Patch wohnt, aber nicht wo. Ich habe aber einen weit besseren Plan, den ich euch jetzt vorlegen will.«
»Nun, und der ist?«
»Ich möchte morgen früh nach Hobsons Patch fahren. Durch den Telegraphenbeamten werde ich versuchen, herauszufinden, wo er sich aufhält. Ich werde ihm dann sagen, daß ich selbst ein Logenbruder sei und ihm alle Geheimnisse der Loge gegen eine bestimmte Summe anbieten. Er wird darauf hineinfallen, darauf könnt ihr euch verlassen. Ich werde ihm sagen, daß die Papiere in meinem Hause sind. Aber wenn ihm sein Leben lieb sei, dürfe er nicht dahin kommen, solange noch Leute auf den Straßen sind. Das wird ihm streng logisch erscheinen. Ich werde ihm vorschlagen, um zehn Uhr abends zu kommen, wo er dann alles, was er will, einsehen kann. Ich bin überzeugt, er wird kommen.«
»Nun, und dann?«
»Den Rest könnt ihr euch selbst ausdenken. Das Haus, in dem ich wohne, steht ganz abgeschieden. Meine Wirtin ist eine treue Seele und stocktaub. Nur Scalan und ich wohnen im Haus. Wenn der Mann auf meinen Plan eingeht – und das werde ich euch alsbald wissen lassen – schlage ich vor, daß wir sieben uns morgen um neun Uhr abends bei mir treffen. Ich lasse ihn herein, und wenn er das Haus lebend wieder verläßt, muß Birdy Edwards ein außergewöhnlicher Glückspilz sein.«
»Bei Pinkertons wird wohl eine Stelle frei werden, wenn ich mich nicht irre,« sagte McGinty. »Gut, McMurdo, wir sind einverstanden. Also morgen um neun Uhr abends bei Ihnen. Sie brauchen nur die Tür hinter ihm zu verschließen, das übrige können Sie uns überlassen.«
7. Der Detektiv in der Falle
Inhaltsverzeichnis
Wie McMurdo gesagt hatte, war das Haus, in dem er wohnte, abgeschieden und für das geplante Verbrechen ganz besonders geeignet. Es lag am Rande der Stadt, ziemlich weit von der Straße ab. In jedem anderen Fall würden die Verschwörer, wie es sonst ihre Art war, einfach ihren Mann gestellt und niedergeschossen haben. Aber in diesem Fall war es äußerst wichtig zu erfahren, wieviel er bereits wußte, woher er es wußte, und welche seiner Erkundungen er an seine Auftraggeber weitergegeben hatte. Möglicherweise war es schon zu spät und seine Arbeit bereits getan. In diesem Fall konnten sie nur noch Rache an ihm nehmen. Sie hofften indessen, daß dem Detektiv noch nichts von größerer Wichtigkeit zur Kenntnis gelangt war, sonst würde er, wie sie annahmen, sich nicht die Mühe genommen haben, so belanglose Mitteilungen, wie McMurdo sie ihm gemacht hatte, niederzuschreiben und in Chiffre weiter zu telegraphieren. Alles dies würden sie von dem Manne selbst hören. Wenn er einmal in ihrer Gewalt war, würden sie Mittel und Wege finden, ihn zum Sprechen zu bringen. Es war nicht das erstemal, daß sie einen widerspenstigen Zeugen zum Reden brachten.
McMurdo fuhr, wie vereinbart, nach Hobsons Patch. Die Polizei schien an jenem Morgen ein ganz besonderes Interesse an ihm zu nehmen, denn Kapitän Marvin, der behauptet hatte, ein alter Bekannter von ihm aus Chicago zu sein, sprach ihn an, als er auf dem Bahnhof wartete. McMurdo drehte ihm den Rücken zu und verweigerte jede Antwort. Am Nachmittag, als er von seiner Expedition zurückgekehrt war, suchte er sofort McGinty im Unionhaus auf.
»Er kommt,« sagte er.
»Gut,« sagte McGinty. Der Riese stand in Hemdsärmeln da, mit baumelnden Ketten und Siegeln an seiner prächtigen Weste. Durch den Saum seines zottigen Bartes funkelte ein großer Brillant. Alkohol und Politik hatten den Meister zu einem sehr reichen und mächtigen Manne gemacht. Um so schrecklicher erschien ihm daher die Vision von Gefängnis und Galgen, die ihm am vorangegangenen Abend gekommen war.
»Glauben Sie, daß er viel weiß?« fragte er angstvoll.
McMurdo nickte trübselig mit dem Kopf.
»Er ist schon längere Zeit hier, mindestens sechs Wochen. Er hat sich wahrscheinlich nicht damit begnügt, die Landschaft zu bewundern. Wenn er die ganze Zeit über fleißig war, mit dem Geld der Gesellschaften hinter sich, möchte ich annehmen, daß er verschiedenes herausgefunden und weitergegeben hat.«
»In unserer Loge ist keiner, dem ich Verrat zutraue,« rief McGinty. »Jeder einzelne ist treu wie Gold. Halt! Zum Donnerwetter, dieser Halunke Morris! An den habe ich nicht gedacht. Warum nicht der Kerl? Wenn einer zum Verräter geworden ist, kann’s nur der gewesen sein. Ich habe Lust, noch vor dem Abendessen ein paar von den Jungen zu ihm zu schicken um ihm eine solche Tracht Prügel verabreichen zu lassen, daß er alles herausplappert, was er gesagt hat.«
»Das würde vielleicht ganz gut sein,« antwortete McMurdo, »obwohl er mir, wie ich gestehen muß, leid täte. Er hat einige Male mit mir über Logenangelegenheiten gesprochen, und obzwar er anders darüber denkt, als Sie und ich, glaube ich nicht, daß er einer ist, der den Angeber spielen würde. Aber wie es auch sei, ich habe darüber nicht zu bestimmen.«
»Ich werde es dem alten Halunken schon besorgen,« rief McGinty mit einem Fluch. »Ich habe schon seit längerem ein Auge auf ihn.«
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