»Miss Ina, er holt nur einen Schlüssel ab. Meine Tugendhaftigkeit ist also nicht in Gefahr.«
Ihr Blick wandert zu Antonio und sie verengt die Augen.
Als ich zu ihm hochsehe, merke ich, dass er sich ein Grinsen verbeißen muss. »Das hier ist nicht lustig«, weise ich ihn zurecht.
»Oh doch, Prinzessin, das ist es«, widerspricht er.
Die Augen verdrehend, wende ich mich wieder an Miss Ina. »Er kommt nicht mal mit rein. Sie können also wirklich wieder ins Bett gehen.«
»Also gut, aber ich werde später deine Mutter wegen dieser Sache anrufen«, erklärt sie.
Ich erwidere nichts, sondern sehe nur zu, wie sie mit ihrer Gehhilfe davonhumpelt. Sobald sie außer Sichtweite ist, richte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf Antonio. »Ich bin gleich zurück.« Die Wohnungstür einen Spaltbreit offenlassend, gehe ins Schlafzimmer. In der Jeans, die ich gestern Abend anhatte, finde ich seinen Schlüssel. Ich fische ihn aus der Tasche und kehre zurück ins Wohnzimmer, wo ich wie angewurzelt stehen bleibe. Antonio ist in meiner Küche und macht sich gerade am Kühlschrank zu schaffen.
»Was machst du da?«
»Ich hatte noch keine Gelegenheit zum Frühstücken«, entgegnet er.
Wie vom Donner gerührt blinzle ich ihn an. »Du hattest noch kein Frühstück?«
»Es ist erst sechs. Die Läden sind noch alle geschlossen.« Er zuckt mit den Schultern, ehe er wieder den Inhalt des Kühlschranks in Augenschein nimmt.
»Okay ... Hol dir doch was, wenn du dich jetzt auf den Weg machst«, schlage ich vor.
Er sieht mich an. »Wieso? Ich bin doch hier.«
»Antonio ...«
»Hast du schon was gegessen?«, unterbricht er mich.
Meine Kiefermuskulatur beginnt zu zucken. »Nein ...«
»Gut, dann richte ich uns Frühstück, während du dich für die Arbeit fertig machst.«
Ich starre ihn an. Was zum Teufel ...? Entweder Antonio wurde kürzlich von Aliens entführt und durch einen ebenso attraktiven, aber wesentlich netteren Klon ersetzt oder ... eigentlich fällt mir keine plausiblere Erklärung ein. Erst sagt er mir, dass ich hübsch sei, dann nennt er mich Babe und jetzt will er mir Frühstück machen?
»Babe, du solltest dich etwas sputen. Sonst schaffst du es nicht mehrpünktlich zur Arbeit.«
Ich sehe zur Uhr hinüber und reiße überrascht die Augen auf. Er hat recht. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit, bevor ich mich auf den Weg machen muss. Allein meine Haare zu entwirren, wird eine halbe Ewigkeit in Anspruch nehmen. Da ich mir den Luxus, mir über sein seltsames Verhalten Gedanken zu machen, nicht leisten kann, lege ich seinen Schlüssel auf die Küchenanrichte und schnappe mir rasch ein Outfit aus meinem Kleiderschrank. Dann gehe ich ins Schlafzimmer und schließe die Tür hinter mir. Wie auf Autopilot dusche ich, mache meine Haare, lege mein Make-up auf und ziehe mich an. Ich habe mich für eine schwarze Hose und einen schwarzen Pulli mit U-Boot-Ausschnitt entschieden, der in meinem Nacken mit einer Schleife geschlossen wird, deren cremefarbener Ton zu meinen Stiefeletten passt.
Als ich anschließend die Schlafzimmertür öffne, ist Antonio nicht mehr in der Küche. Ich entdecke ihn auf der Couch sitzend, vor ihm auf dem Wohnzimmertisch stehen zwei Teller mit Rührei und Toast sowie zwei Becher voll Kaffee.
»Starrst du dein Frühstück nur an oder isst du es auch?«
Seine Worte veranlassen mich dazu, ihn anzusehen, ehe ich mich zu ihm auf die Couch geselle. »Danke«, murmle ich und nehme meinen Teller.
»Du hast nichts als Junkfood im Kühlschrank. Wie zur Hölle kann es sein, dass du dennoch diesen Hammerkörper hast?«, fragt er, als ich gerade in meinen Toast beiße.
Der Bissen bleibt mir im Hals stecken, ich befürchte, daran zu ersticken. »Ich war schon immer sehr schlank«, antworte ich hustend. »Außerdem habe ich auch gesundes Essen da ...«
»Wo?«, kontert er.
Ich betrachte ihn aus zusammengekniffenen Augen. »Im Schrank ist etwas Dosengemüse und die Eier hast du schließlich gefunden.«
»Stimmt ... Dosengemüse und Eier ...« Seine Mundwinkel beginnen zu zucken, und mein Magen zieht sich auf diese seltsame Art und Weise zusammen, wie so oft in letzter Zeit.
»Ich arbeite viel, da habe ich keine Zeit, ständig Drei-Gänge-Menüs zu kochen. Normalerweise esse ich unterwegs etwas«, verteidige ich mich, greife nach der Fernbedienung und schalte den Fernseher ein. Nachdem ich ein wenig durch die Kanäle gezappt habe, entscheide ich mich schließlich für eine morgendliche Nachrichtensendung.
»Verdienst du gut als Stylistin?«
Auch wenn er die Frage ganz beiläufig stellt, verursacht sie dennoch ein seltsames Gefühl in meinem Inneren –als würde sich dahinter etwas Tiefergehendes verbergen.
»Darf ich wissen, warum dich das interessiert?«
»Du hast neulich erwähnt, dass eines deiner Oberteile zweihundert Dollar gekostet hätte. Ich bin einfach nur neugierig, ob du es dir selbst gekauft hast oder es dir von irgendjemandem geschenkt wurde.«
»Ob es mir von irgendjemandem geschenkt wurde?«, wiederhole ich.
Sein Blick wandert über meinen Körper, auf eine Art, die mir nicht gefällt – zumindest versuche ich, mir genau das einzureden.
»Ja, ist ein Mann mit dir Shoppen gegangen oder hast du es dir selbst gekauft?«
»Ein Mann hat es mir gekauft«, schieße ich zurück und freue mich, dass er die Augen zusammenkneift und die Zähne aufeinanderpresst, als würde ihm das nicht gefallen. »Und zwar mein Dad . Er hat sie mir letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt«, stelle ich, äußerst angepisst, klar.
Plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen, für welchen Typ Frau Antonio mich hält. Ich lasse meinen halb aufgegessenen Toast auf meinen Teller fallen, nehme meinen Kaffeebecher und trage beides zur Küche rüber. Geräuschvoll lasse ich das Geschirr in die Spüle knallen, ohne mir auch nur die Mühe zu machen, das Rührei abzukratzen und in den Müll zu werfen.
»Libby ...«, ruft er, aber ich drehe mich nicht zu ihm um.
»Wenn du dann fertig bist, ich muss zur Arbeit.« Ich nehme meinen Mantel von der Couchlehne und ziehe ihn an, ehe ich mir einen Schal um den Hals wickle. Dann greife ich nach meiner Handtasche.
»Ich wollte mit meiner Frage nichts implizieren.«
»Und ob du das wolltest«, widerspreche ich und richte meinen Blick nun doch auf ihn.
Er zuckt zusammen.
Mir doch egal.
»Ich muss los. Bist du fertig?«, will ich wissen, als er sich keinen Zentimeter vom Fleck rührt.
»Lib...«
»Na schön, schließ einfach ab, wenn du gehst«, unterbreche ich ihn, reiße die Wohnungstür auf und trete in den Flur hinaus. Ina zuliebe hüte ich mich, die Tür hinter mir ins Schloss zu knallen, auch wenn ich das am liebsten tun würde. Meine Absätze mit jedem Schritt in die Treppenstufen zu rammen, lasse ich mir aber nicht nehmen.
»Ich dachte, er käme nicht mit rein«, sagt Miss Ina plötzlich.
Erschrocken fahre ich zusammen und lege die Hand auf die Stelle über meinem wild pochenden Herzen. »Miss Ina, nicht jetzt. Bitte.«
»Ich weiß, ich weiß.« Sie wedelt mit der Hand herum. »Du hast keine Zeit zum Reden, weil du zur Arbeit musst. Daher erwarte ich dich nachher zum Tee. Wir sollten darüber reden, warum du aussiehst, als würdest du gleich jemanden ermorden.«
»Wie würde es ihnen gefallen, mir bei der Beseitigung einer Leiche zu helfen?«
»Ich bin alt, Mädchen, und den Rest meines Lebens verbringe ich bestimmt nicht in einem Gefängnis.«
»Ist vermutlich klüger.« Ich seufze ergeben, ehe ich die Augen aufreiße, als ich meine Wohnungstür auf- und wieder zugehen höre. »Mist«, flüstere ich.
Eilig gehe ich auf Miss Ina zu und dränge sie in ihre Wohnung. Ich folge ihr und schließe Tür hinter uns so leise ich kann, während sie fragt: »Was zum Teufel machst du da?«
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