Daniela Strigl - Gedankenspiele über die Faulheit

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Faulheit mag eine Charaktereigenschaft sein, aber sie ist auch ein Zustand. Sie passiert nicht einfach so, oft muss man sie planen, und gerade in der Literatur wird sie nachgerade zelebriert. Aber beileibe nicht immer zum Besten der faulen Figuren. Warum gilt die Faulheit als Laster, gar als Todsünde, wo sie doch nachweislich auch Gutes bewirkt? Jedenfalls verträgt die Faulheit sich nicht mit dem Schreiben.
Die Literaturwissenschaftlerin, Kritikerin und Essayistin Daniela Strigl nimmt uns trotz und wegen persönlicher Tendenz zum Faulsein mit zu ihren wortgewandten, amüsanten und überraschenden Gedankenspielen über die Faulheit in Literatur und Leben.

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Daniela Strigl Gedankenspiele über die Faulheit Literaturverlag Droschl Prolog - фото 1

Daniela Strigl

Gedankenspiele über die

Faulheit

Literaturverlag Droschl

Prolog

Es ist paradox: Ich habe den Auftrag angenommen, ein Buch über die Faulheit zu schreiben. Anstatt faul zu sein. Zwar nur ein kleines Buch, aber ein Buch. Und es gibt keinen Zweifel: Das Schreiben verträgt sich mit dem Faulsein nicht. Dabei wollte ich es in diesem Sommer unbedingt, nach einem äußerlich bewegungsarmen, aber innerlich bewegten Frühling im Zeichen des hygienisch sinnvollen Hausarrests – das totale Untätigsein, die bewusste Einigelung im Nichtstun, Herunterfahren aller Produktiv-Aktivitäten, Shutdown. Faulheit mag eine Charaktereigenschaft sein, aber sie ist auch ein Zustand. Sie passiert nicht einfach so, sie ergibt sich nicht zwangsläufig, man kann, man muss sie anstreben, planen, zelebrieren. Der Gedanke ans Faulsein ist etwas, das mich mit süßer Vorfreude erfüllt, mit der Erinnerung an die Sommerferien meiner Kindheit, das Gefühl verschwenderischer Zeitfülle am Beginn, die herrliche Eintönigkeit der Tage, Verheißung von Ewigkeit und Stillstand.

Aus dieser paradiesischen Regression ins Faulenzertum soll nun also nichts werden. Wenn der Schreibauftrag sich nicht doch noch als paradoxe Intervention herausstellt und es mir geht wie Gotthold Ephraim Lessing, der als Student dieses »Lob der Faulheit« schrieb:

Faulheit, jetzo will ich dir

Auch ein kleines Loblied bringen. –

O – – wie – – sau – – er – – wird es mir, – –

Dich – – nach Würden – – zu besingen!

Doch, ich will mein Bestes tun,

Nach der Arbeit ist gut ruhn.

Höchstes Gut! wer dich nur hat,

Dessen ungestörtes Leben – –

Ach! – – ich – – gähn’ – – ich – – werde matt – –

Nun – – so – – magst du – – mirs vergeben,

Daß ich dich nicht singen kann;

Du verhinderst mich ja dran.

Ein Laster?

Wenn ich Bekannten gegenüber bekenne, im Grunde meines Wesens faul zu sein, lächeln sie mit milder, aber nichtsdestoweniger ungläubiger Nachsicht. Weil ich ja ständig mit etwas beschäftigt, im Verzug, überfordert bin, weil ich unausgesetzt irgendwelche Texte produziere, Reisen absolviere, Termine koordiniere. Bei Marlen Haushofer habe ich die überzeugende Erkenntnis gelesen, dass kaum jemand so fleißig ist wie der »von Natur aus« faule Mensch: »vielleicht von der Hoffnung erfüllt, endlich einmal alle anfallenden Pflichten hinter sich zu bringen und mit gutem Gewissen faul sein zu dürfen«. Nur schnell noch diese Kleinigkeit erledigen, eigentlich gar nicht der Rede wert. Aber dann!, denkt sich der Faule, der in seinen vollen Terminkalender schaut, wenn ich das und das und das abgehakt haben werde – aber dann!

Selbst wenn man mir glaubt, dass ich meine hektische Betriebsamkeit auf ein imaginäres Daumen-Drehen hin ausrichte, glaubt man mir nicht, dass ich das wirklich wollen würde. Dass ich damit etwas anzufangen wüsste. Doch, pflege ich zu versichern, ich würde es genießen. Mir würde nicht langweilig werden. Ich kann sehr gut ohne Arbeit leben. Das will man mir nun wirklich nicht abnehmen. Hinter dieser Skepsis steckt natürlich der schlechte Ruf der absichtsvollen Inaktivität. Da mag sie loben, wer will: Gemeinhin gilt die Faulheit als Laster.

Als solches ist sie dem Fleiß entgegengesetzt. Der faule Schüler ist einer, der sich der Eingliederung in eine Leistungsgesellschaft entzieht, in der über die Art von Leistung nur scheinbar Konsens besteht. Nach diesem gilt Faulheit als Krankheit – »Faulheit ist heilbar. Leitfaden für Eltern«, lautet der Titel eines einschlägigen Ratgebers. Die Worterklärung des Brockhaus aus dem Jahr 1883 ist in ihrer Essenz heute nach wie vor gültig: »Faulheit oder Trägheit wird die Nachgiebigkeit gegen das natürliche Bequemlichkeitsbedürfnis des Menschen in dem sittlich mißbilligenden Sinne genannt, daß sie einen Mangel teils an Pflichtgefühl, teils an Willensenergie bedeutet. Während deshalb der Fleiß seinen sittlichen Wert erst durch den Gegenstand, worauf er sich richtet, und die Gesinnung, aus der er hervorgeht, erhält, ist die F. unter allen Umständen etwas Verwerfliches, weil Pflichtgefühl und Willensenergie von jedem Menschen verlangt werden müssen.« Demnach kann man zwar auf sinnlose oder gar schädliche Weise fleißig sein (ein fleißiger Sammler von Zinnsoldaten, ein fleißiger Produzent von Handfeuerwaffen), auch ist Fleiß aus sich selbst heraus nicht unbedingt sexy, er riecht nach Anpassungslust, Bücherstaub und saurem Schweiß – »Fleiß ist die Wurzel aller Häßlichkeit«, sagt der überaus fleißige Karl Kraus; aber der Fleiß hat doch das Potential sittlicher Wohlgefälligkeit. Dagegen kann man nach herkömmlicher Anschauung nur auf eine, nämlich auf verwerfliche Weise faul sein.

Um die Faulheit zunächst einmal von einigen semantisch benachbarten Begriffen abzugrenzen: Zwar werden Faulheit und Trägheit häufig als Synonyme gebraucht, vielen gilt die Trägheit im Sinne einer langsamen, schwerfälligen Bewegung aber als die mildere Form, als charakterliche Unzulänglichkeit oder melancholische Verstimmung, nicht unbedingt als bewusste Verweigerung. Die Wortgeschichte von »faul« verweist auf ein materielles wie moralisches Verdorbensein, eine Verderbtheit, zunächst als Folge eines organischen Verwesungsprozesses, der aus Unbeweglichkeit herrührt. Das Tätigkeitsverb (sofern die Bezeichnung hier statthaft ist) faulenzen kommt vom mittelhochdeutschen »vulezen«, faulig schmecken oder riechen. Jeder, der stinkfaul ist, vor Faulheit stinkt oder sich auf die faule Haut (ursprünglich eine Bärenhaut) legt, bezeugt die semantische Verwandtschaft von Faulheit und Fäulnis.

Der Müßiggang hingegen ist als Begriff nicht von vornherein negativ punziert. Das mittelhochdeutsche »müezec gân«, müßig gehen, bedeutet einfach, untätig zu sein, nichts zu tun zu haben, ein Zustand, dem durchaus eine Arbeit oder überhaupt Anstrengung vorausgegangen sein mag. Der Müßiggang als phasenweise Nicht-Beschäftigung oder als Beschäftigung mit angenehmen Dingen, als kontemplativer Zeitvertreib verliert seine neutrale Anmutung aber schon mit dem deutschen Sprichwort »Müßiggang ist aller Laster Anfang«. Er wird so zum einen als Verführung zur Maßlosigkeit gedacht, zum andern als möglicher Dauerzustand und somit als Maßlosigkeit per se. Eindeutig positiv geprägt ist dagegen die Muße als erfüllte, ganz und gar selbstbestimmte, also wahrhaftig freie Zeit, ein Zustand der Entspannung und, modisch gesagt, Entschleunigung, der Freiheit zum Nichtstun oder Tun, der Freiheit von Druck oder gar Zwang. Aber auch von schlechtem Gewissen.

Die Muße ist das kulturell anerkannte gute Gegenstück zur Faulheit. Die Vorstellung eines gefährlich fließenden Übergangs zwischen den beiden kennt schon das Denken der Antike, das dem Nichtstun gegenüber grundsätzlich aufgeschlossen war. Um 600 v. Chr. definierte der Athener Gesetzgeber Solon den Müßiggang als eine Schule des Lasters: Wer kein Vermögen habe und keine Arbeit, gerate nur zu leicht auf krumme Wege, begehe Kniffe und Diebereien und mache sie sich bald zur Gewohnheit. Solon ließ die Bürger Athens alljährlich über ihr berufliches Tun und vor allem Lassen befragen. Wer dreimal müßig angetroffen wurde, verlor nach dem Gesetz seine Ehre. Ein Müßiggänger konnte auch öffentlich angeklagt werden.

In einem umfassenden Sinn knüpft Johann Gottlieb Fichte an diese Tradition an, wenn er die Faulheit »die Quelle aller Laster« nennt. Für ihn ist die »ursprüngliche Trägheit« des Menschen nichts weniger als das »radikale Böse«, »das wahre, angeborene, in der menschlichen Natur selbst liegende radikale Übel«, eine Bequemlichkeit im Tun und im Denken, die sich als Abneigung gegen jede Reflexion zeigt, damit aber auch als politische Selbstaufgabe: Die »faule Verzweiflung« des unterdrückten Subjekts begünstige die Machthaber und verleite zu blinder Gefolgschaft, sobald ein Demagoge die Gunst der Stunde nützt. Fichte denkt sich die personifizierte Faulheit als den »Schlendrian«, den jeder Mensch hat, als einen Lebensbegleiter, den es zu zähmen gilt – und der dem entspricht, was im Volksmund innerer Schweinehund heißt. Wer den Kampf mit dem eigenen Schlendrian nicht aufnimmt, versagt sittlich. Denn kein Mensch »hat das Recht seine Kräfte ungebraucht zu lassen«.

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