Bestimmt ein wichtiger Vertragsabschluss. Volkswagen war der Wirtschaftswunderkonzern schlechthin.
Das war natürlich nicht schlecht. Aber es ging nicht um VW, sondern die Autohändler allgemein. Damals sprossen Werkstätten und Händler der Autohersteller wie Pilze aus dem Boden. Da war es schon wichtig, Kontakt herzustellen und die Einkäufer von unseren Produkten zu überzeugen.
Nun schleppten Sie also all diese neuen Aufträge an. Wie reagierte Ihr Vater?
Mein Vater war keiner, der andere großartig gelobt hätte. Ich habe ihm ein schönes Bündel Aufträge für etwa 2000 D-Mark präsentiert und er hat das eher schweigend zur Kenntnis genommen. Erst Jahre später habe ich von meiner Mutter erfahren, dass mein Vater ihr schmunzelnd erzählt hätte, ich hätte gar keine schlechte Arbeit geleistet. Er war eben ein typischer Hohenloher. Die leben nach dem Motto: »›Nix gsagt‹ isch gnug globt!«
Hat Sie das als Junge geschmerzt?
Natürlich hätte ich mich über ein Lob von ihm gefreut. Aber so war er eben. Ich wusste schon, dass ich wichtig für ihn und den Betrieb war. Ich war sein Leibchauffeur. Wir unternahmen gemeinsam Verkaufsfahrten, etwa in die Schweiz, weil man da nur mit dem Auto hinkam.
Sie mussten fahren? Warum?
Mein Vater hatte keinen Führerschein. Deshalb durfte ich ihn schon mit 16 Jahren machen. Da musste ich beim Amtsarzt antanzen. Der hat dann geprüft, ob ich schon reif genug war, um ein Auto zu fahren. Das war ich.
»Mein Vater hatte keinen Führerschein.
Deshalb durfte ich ihn schon mit 16 Jahren machen
und mit meinem Vater Verkaufsfahrten unternehmen.«
Adolf und Alma Würth mit Sohn Klaus-Frieder und dem ersten Firmenwagen, einem 15 Jahre alten Opel Olympia. Am Fotoapparat: Reinhold Würth
Übernahme des Unternehmens
Nur drei Jahre später, nach dem plötzlichen Tod Ihres Vaters, mussten Sie nicht nur reif genug sein, um ein Auto zu lenken, sondern einen ganzen Betrieb. Hand aufs Herz, wovor hatten Sie am meisten Angst?
Ich hatte gar keine Zeit, Angst zu haben. Ich bin da einfach reingesprungen. Habe getan, was getan werden musste, um den Betrieb am Laufen zu halten. Der Bau des neuen Firmengebäudes war gerade in vollem Gange. Ich musste die Lagerbestände erweitern, um all unsere Kunden zufriedenzustellen. Nur sechs Tage nach Vaters Tod – kurz vor Weihnachten – habe ich eine größere Verkaufsreise ins Rheinland angetreten. Es musste weitergehen. Gerade zu Beginn habe ich mich stark daran orientiert, was mein Vater gemacht hat. Das habe ich fortgeführt.
Zukunftsängste kannte ich nicht. Ich habe einfach gemacht, weil ich musste.
Verklären Sie das nicht vielleicht im Rückblick? Sie müssen doch oft ans Scheitern gedacht haben.
Wie viele andere war auch ich in meiner Jugend eher unbedarft. Zukunftsängste kannte ich nicht. Ich habe einfach gemacht, weil ich musste. Mein jüngerer Bruder war damals gerade zehn Jahre alt und ich war über Nacht zum Ernährer der ganzen Familie geworden. Ich musste schlicht sehen, dass Geld in die Kasse kam. Zeit zum Grübeln war da nicht.
»Es gibt ja Menschen, die sehen jeden Tag die Welt untergehen, auch schon in ihrer Jugend.
So eine Denkweise ist mir völlig fremd.«
Reinhold Würth begann als Jugendlicher eine Lehre in der Schraubenhandlung des Vaters
Die Unbedarftheit war also ein Vorteil?
Natürlich. Es gibt ja Menschen, die sehen jeden Tag die Welt untergehen, auch schon in ihrer Jugend. Die sehen nur Probleme. So kann doch nichts Neues entstehen. So eine Denkweise ist mir völlig fremd.
Aus einem Zweimannbetrieb ist ein Weltkonzern mit über 77.000 Mitarbeitern geworden. Hatten Sie schon am Anfang das Ziel, etwas ganz Großes aus dem Erbe zu machen?
Nein, überhaupt nicht. Es ging nur darum, dass meine Mutter, mein Bruder und ich etwas zu essen hatten. Der Wunsch, das Unternehmen auszubauen und voranzukommen, war völlig sekundär. Das ist eigentlich bei jeder Leidenschaft ähnlich. Nehmen wir beispielsweise das Kunstsammeln. Das machen Sie am Anfang eher dilettantisch und hobbyhaft. Wenn Sie dann aber eine Weile in dem Metier drin sind, dann wird das zur Passion.
Wann haben Sie gemerkt: Unternehmer, Schraubenhändler, das ist das Richtige für mich?
Kann ich schwer sagen. Irgendwann, nach ein paar Jahren, habe ich gemerkt: Ich kann das. Und habe mich dann auch getraut, die Wege meines Vaters zu verlassen und größer zu denken.
Was waren in dieser Zeit die großen Herausforderungen?
Der Auf- und Ausbau unseres Außendienstes. 1956 bin ich 90.000 Kilometer mit meinem Mercedes durch Deutschland gefahren. Aber mir war auch klar, dass ich alleine den Umsatz nicht ins Unendliche steigern konnte. Also musste ich neue Verkäufer einstellen. Ich habe immer gesagt, 95 Prozent des Unternehmens sind der Außendienst. Alles andere macht nur fünf Prozent aus. Das wurde von den Innendienstlern natürlich mit Naserümpfen zur Kenntnis genommen. Aber ich habe das gut erklärt. Denn wenn die Verkäufer keine Aufträge bringen, dann können die anderen alle nach Hause gehen. Und deshalb ist es tatsächlich so, dass der Außendienst immer schon die Speerspitze des Unternehmens war und bis heute ist. Doch diese Verkäufer musste ich damals erst einmal finden und ausbilden.
»1956 bin ich 90.000 Kilometer mit meinem Mercedes durch Deutschland gefahren. Ich konnte den Umsatz nicht ins Unendliche steigern. Also musste ich Verkäufer einstellen.«
Die Hauptvertreter (sitzend), die Reinhold Würth (stehend) Mitte der 50er-Jahre einstellte
Wie sah eine solche Ausbildung aus?
Am Anfang war viel Learning by Doing. Nicht so wie heute mit all den Trainingsprogrammen. Ich habe schon 1958 ein Provisionsmodell eingeführt. Das hat zum einen die bereits angestellten Mitarbeiter angespornt und zum anderen potenzielle Verkäufer angelockt, weil sie verstanden haben: Wer bei Würth was leistet, verdient auch entsprechend. Im selben Jahr mussten wir erneut unsere Gebäude vergrößern.
Der Außendienst war immer schon die Speerspitze des Unternehmens und ist es bis heute.
Also nur sechs Jahre nach dem ersten Neubau.
Ja, genau. Die schnell steigenden Umsätze machten immer größere Lagerkapazitäten notwendig. Wir vergrößerten das Firmengebäude und begannen, auch selbst Schrauben herzustellen.
»Es wäre schon schön gewesen,
wenn der Vater noch hätte>sehen können,
was aus seiner Schraubenhandlung geworden ist.
Wer weiß, vielleicht sieht er es ja.«
Kistenchaos in Künzelsau – das junge Unternehmen war von der hohen Nachfrage oft überfordert
Ihre Expansionsstrategie ist aufgegangen. Würth ist heute Weltmarktführer für Befestigungs- und Montagematerial, macht jährlich mehr als 13 Milliarden Euro Umsatz. Finden Sie es schade, dass Sie Ihrem Vater nicht zeigen konnten, was Sie aus seiner kleinen Schraubenhandlung gemacht haben?
Es wäre schon schön gewesen, wenn der Vater das noch hätte sehen können. Wer weiß, vielleicht sieht er es ja. Ohne die tolle Lehre bei meinem Vater wäre ich sicherlich nicht halb so erfolgreich. Er hat mir viel mitgegeben: die Internationalisierung, weil wir ja schon zusammen in der Schweiz zum Verkaufen waren. Aber auch das kaufmännische Grundwissen und die Produktkenntnis habe ich von ihm. Dafür bin ich ihm heute noch dankbar.
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