Nur fünf Jahre später starb sein Vater überraschend und Würth wurde mit 19 Jahren über Nacht nicht nur zum Ernährer der Familie, sondern auch zum Chef des Betriebs. Während andere in diesem Alter eine solche Verantwortung als Last empfunden hätten, erkannte der junge Mann die Chance. Er begann, den Grundstein für seine späteren Erfolge zu legen.
Erstes Kapitel
Der junge Reinhold Würth
Ehrgeiz, Arbeit und Luxus
Herr Würth, irgendwie sind Sie schwer zu fassen. Sie sind ein feinsinniger Kunstsammler. Aber Ihr Lieblingsfilm ist Vier Fäuste gegen Rio mit Bud Spencer und Terence Hill.
(Lacht.) Sie haben recht, ich habe eine gewisse Bandbreite.
Was gefällt Ihnen an diesem Western-Klamauk?
Mir gefällt daran die Situationskomik, das hat für mich Unterhaltungswert.
Mitarbeiter beschreiben Sie als sparsam und bescheiden. Andererseits besitzen Sie eine riesige Jacht, ein Schloss und einen eigenen Flugplatz. Wie passt das zusammen?
Jeder Mensch hat viele Facetten. Das sind für mich keine Widersprüche. Es sind verschiedene Aspekte menschlichen Lebens, meines Lebens.
Wer ist der bessere Unternehmer: ein fokussierter Mensch oder einer mit tausend Facetten?
Es ist besser, wenn man in der Lage ist, über den Tellerrand hinauszublicken und abzuwägen, statt stur einer bestimmten Einstellung zu folgen. Nehmen Sie das Beispiel Sparsamkeit. Unternehmer müssen auf der einen Seite sehr wohl wissen, wo Sparen angebracht ist. Auf der anderen Seite brauchen sie auch eine gewisse Großzügigkeit beim Geldausgeben, so die Investition denn vernünftig ist und etwas bewirkt.
Geld ausgeben kann jeder. Sparen ist schon schwieriger. Wie haben Sie sparen gelernt? Als Kriegskind?
Wenn ich meine Kindheit vergleiche mit der meiner Kinder oder Enkel, dann war das Umfeld natürlich ein völlig anderes. Sparsamkeit und Verzicht hat man damals definitiv gelernt. Das fing schon beim Essen an. Dieses gab es nur auf Lebensmittelmarken. Es gab keine Butter aufs Brot und nur mit Süßstoff gesüßte Marmelade. Ich habe als Kind bei der Freibank am Schlachthof in Künzelsau angestanden. Dort wurden Tiere verwertet, die eigentlich nicht zum Verzehr vorgesehen waren, also krankes oder altes Vieh. Was habe ich mich gefreut, wenn ich da mal ein Stück Fleisch oder Leber ergattert habe! Sparsamkeit war für mich selbstverständlich. Das habe ich beibehalten.
Na ja. Die Jacht, die eigenen Flugzeuge, ihr eigenes Sinfonieorchester …
Das Fliegen, das Bootfahren und die Musik sind eben meine Leidenschaften. Bei all der Arbeit ist es schon in Ordnung, wenn ich mir das gönne. Auf der anderen Seite habe ich früher, wenn es bergab ging, den Motor von meinem Auto abgeschaltet, um ein paar Pfennige beim Benzin zu sparen. Das ist für meine Enkel unvorstellbar. Die schütteln bei solchen Geschichten nur den Kopf.
Als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, waren Sie zehn Jahre alt. Welche Erinnerungen haben Sie an die Kindheit im Krieg?
Ich muss immer an meinen Vater denken, wie er mit einer Decke über dem Kopf Radio Beromünster angehört hat. Mein Vater war gegen Hitler. Wenn jemand mitbekommen hätte, wie er diese hitler-kritischen Sendungen hörte, dann hätte ihn das Kopf und Kragen gekostet. Das galt schon als Wehrkraftzersetzung. Ich muss sagen, die Hitler-Diktatur, die hat mich sehr geprägt.
Können Menschen meiner Generation überhaupt verstehen, wie es damals in Deutschland zuging?
Nein, sicherlich nicht. Wir leben heute in Frieden und Freiheit. Das ist schon seit einigen Generationen nun selbstverständlich. Eigentlich aber müssten die jungen Leute jeden Morgen erst mal minutenlang jubeln und Hurra schreien. Wir müssen uns daran erinnern, dass Frieden keine Selbstverständlichkeit ist. Wenn ich meinen Enkeln oder meinen Studenten erzähle, wie ich als Zehnjähriger fast von einem amerikanischen Jagdbomber totgeschossen wurde, dann werden sie sehr nachdenklich. Sie merken, dass wir heute in einem Schlaraffenland leben.
Nach der Armut in den Kriegsjahren kam das Wirtschaftswunder. Wie muss man Sie sich vorstellen in dieser Zeit?
Ich war eher zurückhaltend, aber sehr neugierig. Als ich so zwölf oder dreizehn Jahre alt war, war ich mal mit meinen Eltern im Schwarzwald und bin mit meiner Kamera losgezogen. Mich reizte, zu sehen, was ums nächste Eck war, wie es hinter dem nächsten Berg aussah oder wie der Fluss hinter der nächsten Biegung weiterfloss. Ich ging immer weiter und weiter und habe dabei alles mit meiner Kamera aufgenommen.
Also ehrgeizig, schon damals.
Ehrgeizig? Ich glaub schon, ein bisschen ehrgeizig bin ich. Sicher nicht übertrieben. Aber ich bin nicht gerne Dritter oder Vierter oder Fünfter. Haben Sie meine Smartwatch gesehen?
Ja, schon, aber was hat die mit Ehrgeiz zu tun?
Sie diszipliniert mich, vor allem was die Bewegung betrifft, indem sie meinen Ehrgeiz weckt. Ich habe da drei Ringe auf dem Display: Bewegung, Training, Aufstehen/Sitzen. Und ich versuche immer, alle drei Ringe vollzubekommen. Diesen Ehrgeiz habe ich. Denn wenn man sich gut bewegt, kriegt man von der Uhr sogar Orden verliehen. Die will ich schon gern haben. Und die Uhr sagt manchmal: Reinhold, das hast du heute gut gemacht, mach morgen so weiter.
Neugierig, ehrgeizig – da waren Sie sicher ein guter Schüler.
Nicht so sehr. Die Schule hat mir sogar richtig gestunken. Ich bin da wahnsinnig ungern hingegangen.
»Ich war immer schon sehr neugierig.
Mich reizte, zu sehen, was ums nächste Eck war,
wie es hinter dem nächsten Berg aussah.«
Reinhold Würth bei einer archäologischen Expedition in Syrien
Warum? Hätten Sie lieber was mit Ihren Freunden unternommen?
Nein, dafür blieb keine Zeit. Mein Vater hat direkt nach dem Krieg seine Schraubenhandlung eröffnet. Während die anderen Kinder in dem Fluss Kocher schwimmen waren, habe ich als Zehnjähriger meinem Vater geholfen. Schon vier Wochen nachdem die Amerikaner einmarschiert waren, bin ich mit ihm auf einem Kuhfuhrwerk 15 Kilometer kocherabwärts zu Arnold, unserem ersten Lieferanten, gefahren, um Schrauben abzuholen. Im Lager habe ich die Schrauben dann verpackt und mit einem kleinen Leiterwagen ausgeliefert.
Heute würde man das Kinderarbeit nennen.
Ja, wenn Sie so wollen. Aber es hat mir nicht geschadet.
Aber Ihr Vater ließ Ihnen keine Wahl. Sie mussten bei ihm im Unternehmen anfangen. Hätten Sie sich nicht für etwas anderes entschieden, wenn Sie hätten frei wählen können?
Ich hatte keine anderen Pläne. Das war damals auch nicht üblich. Was der Vater sagte, das wurde gemacht. Das war das Evangelium, sozusagen. Meine Mutter wollte, dass ich Schulmeister werde. Sie hat gesagt: Dann hast du einen sicheren Job, hast ein gutes Einkommen und musst nicht viel tun. Aber was der Vater gesagt hat, hat gegolten. Damals gab es nicht diese Unsicherheit wie heute bei den jungen Leuten: Was willst du denn machen? Ach, lass dir Zeit. Mach dir nur keinen Stress. Du findest schon etwas, was dir gefällt. Mein Vater hat gesagt: So wird es gemacht. Ende.
»Meine Mutter wollte, dass ich Schulmeister werde.
Sie hat gesagt: Dann hast du einen sicheren Job und musst nicht viel tun.«
Reinhold Würth (links) mit Bruder Klaus-Frieder, Mutter Alma und Vater Adolf
Und so haben Sie bei ihm eine Lehre zum Großhandelskaufmann angefangen.
Ja. Er hat mich mit 14 Jahren nach dem Ableisten der Pflichtschuljahre von der Schule genommen. Dafür bin ich ihm bis heute dankbar, denn er hat mich toll ausgebildet.
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