6. Über Kindespflicht. II: Krankheit
Der Freiherr Mong Wu fragte nach (dem Wesen) der Kindespflicht. Der Meister sprach: »Man soll den Eltern außer durch Erkrankung keinen Kummer machen.«
Der Sohn des im vorigen Abschnitt genannten Freiherrn Mong J, namens Mong Wu, fragte ebenfalls nach dem Wesen der Kindespflicht. Der Meister antwortete: »Die Kindespflicht besteht darin, daß wir alles tun, was in unserer Macht steht, um den Eltern jeden Anlass zum Kummer über uns zu ersparen, so daß wir nur etwa durch Erkrankung und solche Dinge, die nicht in unserer Hand stehen, unsern Eltern Sorge bereiten können.«
7. Über Kindespflicht. III: Ehren, nicht bloß Nähren!
Dsï Yu fragte nach (dem Wesen) der Kindespflicht. Der Meister sprach: »Heutzutage kindesliebend sein, das heißt (seine Eltern) ernähren können. Aber Ernährung können alle Wesen bis auf Hunde und Pferde herunter haben. Ohne Ehrerbietung: Was ist da für ein Unterschied?«
Der Jünger Dsï Yu fragte nach dem Wesen der Kindespflicht. Da antwortete der Meister: »Heutzutage sieht man die Kindespflicht nur in der Erfüllung der Äußerlichkeit, daß man seine Eltern mit Nahrung versieht. Aber man füttert schließlich auch seine Hunde und Pferde. Wenn man den Eltern nicht Ehrfurcht entgegenbringt, so besteht zwischen der Behandlung der Eltern und der der Haustiere kein wesentlicher Unterschied.« 5
8. Über Kindespflicht. IV: Betragen
Dsï Hia fragte nach (dem Wesen) der Kindespflicht. Der Meister sprach: »Der Gesichtsausdruck ist schwierig. Wenn Arbeit da ist und die Jugend ihre Mühen auf sich nimmt; wenn Essen und Trinken da ist, den Älteren den Vortritt lassen: kann man denn das schon für kindesliebend halten?«
Der Jünger Dsï Hia fragte nach dem Wesen der Kindespflicht. Der Meister antwortete: »Die Schwierigkeit bei ihrer Erfüllung besteht in einem fortdauernd rücksichtsvollen und freundlichen Betragen, daß man es vermeidet, sich im Laufe der Jahre in seinen Manieren den Eltern gegenüber gehen zu lassen. Was man sonst unter der Erfüllung der Kindespflicht versteht, daß die Kinder die Mühen der Arbeit für ihre Eltern auf sich nehmen, daß sie ihnen ihren Besitz zur Verfügung stellen und für ihren Lebensunterhalt sorgen: das alles sind nur die selbstverständlichen Voraussetzungen.« 6
9. Merkmal des Verständnisses
Der Meister sprach: »Ich redete mit Hui 7den ganzen Tag; der erwiderte nichts, wie ein Tor. Er zog sich zurück und ich beobachtete ihn beim Alleinsein, da war er imstande, (meine Lehren) zu entwickeln. Hui, der ist kein Tor.«
Der Meister sprach: »Man könnte Yän Hui für einen Menschen ohne selbständige Interessen halten, wenn man mit ihm spricht: er hört schweigend zu und macht weder Einwürfe noch stellt er weiterführende Fragen. Wenn man ihn aber nachher beobachtet, so sieht man an der Art, wie er das Gehörte selbständig entwickelt, daß er durchaus in den Geist der Sache eingedrungen ist.«
10. Menschenkenntnis: Worauf man sehen muß
Der Meister sprach: »Sieh, was einer wirkt, schau, wovon er bestimmt wird, forsche, wo er Befriedigung findet: Wie kann ein Mensch da entwischen?«
Um einen Menschen wirklich kennen zu lernen, muß man ihn unter drei verschiedenen Gesichtspunkten beobachten. Zuerst muß man die Wirkungen in Betracht ziehen, die von seiner äußeren Tätigkeit ausgehen. Das ist am leichtesten, läßt aber auch am wenigsten bindende Schlüsse zu. Wichtiger und schwieriger ist es, die psychologischen Motive festzustellen, von denen er in seinem Handeln bestimmt wird. Um einen Menschen aber seinem Wesen nach kennen zu lernen, ist auch das letzte und schwierigste noch nötig: daß man ihn erkennt, wie er an sich ist. Das einzige Hilfsmittel hierzu ist, zu beobachten, wie und wo er sich wohl fühlt, was seine moralische Lebensluft ist.
11. Ein guter Lehrer. Altes und Neues
Der Meister sprach: »Das Alte üben und das Neue kennen: dann kann man als Lehrer gelten.«
Vergleiche Matth. 13, 52: Darum gleicht ein Lehrer, der für das Himmelreich geschickt ist, einem Hausherrn, der aus seinem Schatze Altes und Neues hervorbringt.
12. Der Edle. I: Selbstzweck
Der Meister sprach: »Der Edle ist kein Gerät.« 8
Es ist unvereinbar mit der Würde des höheren Menschen, sich als bloßes Werkzeug für die Zwecke andrer gebrauchen zu lassen. Er ist Selbstzweck.
13. Der Edle. II: Worte und Taten
Dsï Gung fragte nach dem (Wesen des) Edlen. Der Meister sprach: »Erst handeln und dann mit seinen Worten sich danach richten.« 9
Als Dsï Gung den Meister fragte, welcher Zug am bezeichnendsten für einen vornehmen Charakter sei, antwortete dieser: daß einer seine Prinzipien erst selbst praktisch zur Ausführung bringt, bevor er sie lehrhaft entwickelt.
14. Der Edle. III: Universalität
Der Meister sprach: »Der Edle ist vollkommen und nicht engherzig. Der Gemeine ist engherzig und nicht vollkommen.«
Schon durch die Weite seines inneren Horizonts scheidet sich der vornehme Charakter von der Masse. Seine Interessen sind umfassend, aufs Ganze gerichtet, während die geistige Kapazität der Massenmenschen nicht über den engsten Partei- und Familienkreis hinausgeht.
15. Lernen und Denken (Begriff und Erfahrung)
Der Meister sprach: »Lernen und nicht denken ist nichtig. Denken und nicht lernen ist ermüdend.« 10
Die von der Vergangenheit überkommenen Begriffe sich aneignen, ohne sie mit eignem Gedanken- und Erfahrungsinhalt zu füllen, führt zu totem Formalismus; umgekehrt hat es aber auch seine Gefahren, losgelöst von den gesicherten Resultaten der überlieferten Wissenschaft bloßen abstrakten Gedankengängen zu folgen.
Der Meister sprach: »Irrlehren anzugreifen, das schadet nur.«
Die Wahrheit ist in sich übereinstimmend, während irreleitende Systeme notwendig an Inkonsequenzen kranken. Darum ist es am besten, man läßt derartige Systeme an ihren eignen Inkonsequenzen zugrunde gehen. Jede Polemik bringt nur Verwirrung und macht den Schaden größer. 11
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