Cagliostro
Gynopolis
Gynopolis
von
Cagliostro
Roman
MARTERPFAHL VERLAG
© 2003 (Paperback) und 2014 (Ebooks)
by Marterpfahl Verlag Rüdiger Happ,
Postfach 8, D-72147 Nehren
www.marterpfahlverlag.com
marterpfahl-verlag@t-online.de
Cover: H-Nu ( http://schattenwelt.imaginary-art.net)
Herausgeber: Cagliostro
Druck: PrintCom, Erlangen
Ebook-Produktion: Readbox, Dortmund
ISBN (Paperback) 978-3-936708-10-3 (20,- €)
epub: 978-3-944145-36-5 (4,99 €)
pdf: 978-3-944145-37-2 (4,99 €)
Vorbemerkung des Herausgebers:
Die in diesem Buch zusammengestellten Texte wurden auf eine bessere und zum Teil spannendere Lesbarkeit hin geringfügig und mit großer Sorgfalt übersetzt, editiert und dramatisiert (Umwandlung von indirekter in direkte Rede, wenn dies sinnvoll erschien; Kürzungen etc.). Hin und wieder wurde ein erklärender Nebensatz eingefügt. Es wurde aber immer darauf geachtet, inhaltlich und stilistisch so nah am Original zu bleiben wie möglich, auch was kuriose Eigenheiten in Wortwahl und Satzbau anging.
Bei Interesse an den Filmrechten für diese Geschichte wenden Sie sich bitte an den Marterpfahl Verlag, Postfach 8, D-72147 Nehren.
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Dienstprotokoll von Jacob Bookman, 13. April, 22:40 Uhr:
Überall stinkt es nach Blut und Benzin.
Ort des Geschehens: das »Caliban’s«, die kleine, ehemals sehr schicke Sklavenbar im Norden der City. Jetzt braucht es schon ein außergewöhnlich geschultes Auge, um festzustellen, dass das hier noch gestern eines der Top-Etablissements von Gynopolis war. Die Bombe hat ganze Arbeit geleistet. Frohe Ostern.
Quer über den Boden Trümmerteile der Tische und Stühle. Man weiß gar nicht, wohin man seinen Fuß setzen soll. An einer Stelle waren die Holzpaneele aufgerissen. Offenbar das Zentrum der Explosion. Erinnere mich an eine kleine Dreier-Sitzgruppe dort. Die Theke, wenige Meter davon entfernt, ist aufgerissen, als ob ein Blitz eingeschlagen wäre. Über ihr liegt rücklings eine hochgewachsene schlanke Frau mit rötlich-blondem Haar, schwarzglänzendem Latexanzug und weit aufgerissenen Augen, deren leerem Blick ich mich kaum entziehen kann. Unter ihrem Nacken befindet sich eine Lache dunklen Blutes. Die Lady tropft immer noch.
Ist nicht die einzige Tote im Raum. Insgesamt zähle ich sieben. Vier Frauen in der unterschiedlichsten Aufmachung. Von der Uniform zum Cocktailkleid. Aber auch drei Männer. Weniger individuell gekleidet. Um genau zu sein: Halsband und Sklavenharness aus Ledergurten. Sonst nichts. Zwei verschiedene Klassen sind hier aufeinandergetroffen. Jetzt liegen sie durcheinander da. Halb aufeinander, Herrin auf Sklave und umgekehrt, in grotesk verwinkelten Stellungen, zum Teil mit vom restlichen Körper getrennten und zufällig im Raum verteilten Gliedmaßen. Die Bombe hat alle gleich gemacht.
»Irgend etwas entdeckt?« fragt mich die obere Gardistin. »Können wir anfangen, die Leichen abzutransportieren?«
»Bitte noch einen Moment, Herrin.« Lasse meine Augen weiter angestrengt über den Fußboden schweifen. Dann endlich finde ich, was ich suche. Eine silbergraue Stahlröhre, die unter eine Eckbank gekullert ist. Bücke mich, ziehe sie hervor. Ja, das ist das Corpus Delicti. Nicht das erste Mal, dass ich so eine Röhre gefunden habe.
Sie lässt sich problemlos aufschrauben. Ganz wie erwartet. Der giftgrüne Zettel in ihr ist ebenfalls keine Überraschung.
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Das dekadente Tanzen hat sein abruptes Ende gefunden. Jetzt werden wir die herrschenden Verhältnisse zum Tanzen bringen.
Grotesker Sexismus bis hin zu Versklavung, Erniedrigung und Vernichtung wird von uns bekämpft werden bis aufs Blut.
Die Herrschaftsstrukturen in Gynopolis sind reale Gewalt. Daher benutzen wir ebenfalls reale Gewalt, um sie zu beseitigen. Der Spaß hört hier auf.
Der Spielverderber
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Reisejournal Stefan Maverick und Denise Rotbuch vom 14. April:
15:00 Uhr. Ankunft auf dem Flughafen Gynopolis. Temperatur: 25 Grad. Denises Haar: perfekter Sitz. Sie schien nicht halb so angespannt zu sein wie ich.
Was kein Wunder ist, wenn man darüber nachdachte. Nie hätte ich es mir träumen lassen, dass ich einmal diese Insel betreten würde, auf der vor wenigen Jahren ein beängstigend realistischer Staat der dominanten Frauen und unterdrückten Männer ins Leben gerufen wurde. »Wir sind kein besseres Domina-Studio«, schrie es von den Werbeplakaten herab, und ein strenger Frauenblick unterstützte diese Worte. »Wir sind die Wirklichkeit.«
Seit mehreren Monaten hatte ich mich gefragt, ob an den Gerüchten der auf Gynopolis verschwundenen Männer wirklich etwas dran war. Lange Zeit hatte ich es für einen dieser modernen Mythen gehalten, so wie die immer wieder mal behauptete und trotz Millionenaufwand nie bewiesene Existenz so genannter Snuff-Pornos. Dann wieder fragte ich mich, ob es sich dabei nicht um einen besonders cleveren Werbeschachzug der Herrscherinnen von Gynopolis selbst handeln könnte. Offenbar stellte es für manche Männer und ihre erotischen Phantasien einen besonderen Anreiz dar, wenn sie sich die Gefahr als real vorstellen konnten.
Nur dass dieses Mal einer der verschwundenen Männer ein persönlicher Bekannter von Denise und mir war, und er uns gebeten hatte, ihn zu covern. Sein Name war Thorsten Geling, er arbeitete als Webdesigner und hatte durch einen beachtlichen Verdienst genügend freie Zeit, um sich nebenher als Lustsklave verwöhnten jungen Frauen unterzuordnen – worin seine große Neigung bestand. Vor kurzem hatte er eine Studentin Anfang zwanzig kennen gelernt, die ihn als Hausdiener akzeptiert hatte. Er fertigte für sie bereits Kopien an oder tippte Texte in den PC, während sie noch faul im Bett herumlümmelte, an das er ihr zuvor das Frühstück gebracht hatte. Später lieh er für sie Bücher aus der Bibliothek aus oder begleitete sie zur Mensa, um sich in die Schlange zu stellen und das Essen abzuholen, während sie bereits am Tisch saß und in einer Zeitschrift blätterte. Abends legte er ihr all die Sachen heraus, die sie brauchte, um ein paar feuchtfröhliche Stunden zu verbringen und mit ein paar Männern herumzuflirten. Ab und zu brachte sie auch einen von ihnen mit nach Hause. Wenn sie daheim blieb, hatte Thorsten auf andere Weise ihrer Belustigung zu dienen, aber darüber wollte er Denise und mir nichts Genaueres erzählen. Nur einmal berichtete er von einem »Geburtstagsgeschenk«, das seine neue Freundin ihm gemacht hatte: Es war der Befehl, im größten Bordell unserer Stadt fünf Prostituierte nacheinander zu massieren und sie dann mit seiner Zunge zum Orgasmus zu bringen. Nur Thorsten selber durfte dabei keine Befriedigung erfahren.
Vor drei Wochen berichtete er mir, dass seine neue Herrin mit ihm Gynopolis besuchen wollte. Einige Tage später sprach er mir auf den Anrufbeantworter: Sie seien dort angekommen, später mehr. Wie immer nannte er einen Zeitpunkt, bis zu dem er sich auf jeden Fall wieder melden wollte. Der Termin verstrich und dann noch ein Tag und noch einer. Ich besprach das Ganze mit Denise. Thorsten hatte uns oft genug gebeten, seine Schutzengel zu spielen, wenn immer er eine ihm unbekannte dominante Frau besuchte. Wenn er bis zu einer vereinbarten Uhrzeit nicht zurück war, sollten wir nachhaken. Jetzt lag der Fall ähnlich, nur dass wir keine Adresse innerhalb Deutschlands hatten, an die wir uns wenden konnten, sondern diese Insel. Insofern wussten wir zunächst einmal nicht, was zu tun war. Wir beschlossen, erst einmal abzuwarten, während unsere Unruhe wuchs und wuchs. Schließlich trudelte ein Brief ohne Datum ein, den Thorsten auf der Insel geschrieben haben musste, der uns aber auch nicht weiterhalf. Dann fanden wir heraus, dass Thorsten einen geschäftlichen Termin hatte platzen lassen, für den er schon sehr viel gearbeitet hatte – und was ihm jetzt einen Verlust von mehreren tausend Euro bescherte. Ab da war klar, dass wir irgendwie aktiv werden mussten.
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