Die ganze knifflige Situation wurde wenigstens dadurch ein wenig vereinfacht, dass Denise und ich Kollegen waren und für ein angesehenes deutsches Lifestyle-Magazin arbeiteten. Lange Zeit war Gynopolis nur für die Zeitschriften der sadomasochistischen Subkultur interessant gewesen, aber seit die Stadt mehr und mehr florierte und dabei ihr Marketing mehr und mehr ausbaute, wurde sie auch für den Mainstream zunehmend zum Faszinosum: eine Insel im Mittelmeer, bewohnt von Frauen, die herrschen und Männern, die dienen wollten. Ein Reisebericht direkt aus Gynopolis selbst sei doch auch für unser Magazin nicht zu verachten, redeten Denise und ich auf unseren Chefredakteur ein, bis er sich schließlich über seine Tastatur beugte, um die Tickets für uns zu ordern.
Vor etwas mehr als anderthalb Stunden waren Denise und ich dann also angekommen. Der Airport von Gynopolis stellte sich als irritierend unübersichtlich heraus, und wir stritten uns mehr als einmal darüber, in welche Richtung es zu den Taxis zum Hotel ginge. Gottlob gelang es mir, meinen Kopf durchzusetzen – Frauen und ihr Orientierungssinn! »Das mit dem Devotsein müssen wir aber noch ein bisschen üben«, tadelte mich Denise lachend, als sie sich neben mir auf die Rückbank des Wagens warf. »Falls wir undercover irgendwo als Herrin und Diener rein müssen, nimmt uns das doch kein Mensch ab. Im Leben nicht!«
»Boah, da unterschätzt du mich aber ganz schön«, alberte ich zurück. »Du glaubst gar nicht, wie devot ich sein kann.« Ich grinste sie an. »Mann, bin ich devot!«
Wir mussten beide losprusten. Der offenbar gut erzogene Fahrer tat, als hätte er nichts gehört.
Hey, das ist auch etwas, was mir jetzt erst auffällt: Sämtliche Dienstleistenden, denen wir bis jetzt begegnet waren, waren männlich: das Flughafenpersonal, der Taxifahrer, der Empfangschef an der Rezeption, der Liftboy, der Gepäckträger. Na gut, so ungewöhnlich war das ja auch wieder nicht. Vielleicht ein Zufall, vielleicht achtete ich inzwischen zu sehr auf solche Dinge. Vielleicht gehörte es aber auch wirklich zur Struktur von Gynopolis. Ich muss heute Abend vor dem Einschlafen unbedingt noch einmal in meinen Reiseführer schauen.
Jetzt gleich schaffe ich es nicht mehr. In der Zeit, die Denise gebraucht hat, um sich frisch zu machen, habe ich meine eigenen Klamotten in den Schrank gehängt und diese Sätze in meinen Laptop diktiert. Gleich werden wir unseren ersten Stadtbummel machen. Ich bin wirklich schon gespannt.
»Gute Mädchen kommen in den Himmel …
… böse Mädchen kommen in Gynopolis!«
Motto der Stadt Gynopolis auf sämtlichen Prospekten und offiziellen Reiseführern
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Reisejournal Stefan Maverick und Denise Rotbuch vom 14. April (Fortsetzung):
Ich traf mich mit Denise in der Lobby. Sie hatte sich dem Mittelmeerklima entsprechend umgezogen, trug jetzt blassblaue kurze Jeans und eine weiße Bluse, die sie unter ihren Brüsten zusammengeknotet hatte. Ihr schulterlanges schwarzes Haar hatte sie zu einem lockeren Knoten gedreht. Wieder einmal kam ich nicht umhin zu bemerken, wie außerordentlich hübsch sie doch aussah.
Wir waren langjährige Kollegen und als solche inzwischen auch gut miteinander befreundet. Auf der privaten Ebene waren wir uns bislang allerdings noch nicht näher gekommen. Zumindest nicht, was über eine kumpelhafte Beziehung hinausging. Wobei ich ein gewisses erotisches Interesse an meiner attraktiven Kollegin nicht verhehlen kann, das ich allerdings nie deutlich gezeigt hatte, da ich bisher kein Zeichen dafür wahrnehmen konnte, dass sie dieses Interesse erwiderte. Nur manchmal, wenn im Eifer des täglichen Gefechts in der Redaktion unsere Körper sehr dicht aneinander vorbeistreifen, glaube ich, ein gewisses elektrisches Feld zwischen ihrer und meiner Haut zu spüren. Dann werde ich etwas unsicher, und sie wirft mir einen halb verschmitzten, halb fragenden Blick zu, und ich stottere ein wenig, wenn ich so tue, als sei nichts, und stattdessen beginne ich, über unseren nächsten Artikel zu reden. Ein- oder zweimal habe ich auch schon von ihr geträumt.
Und jetzt trat ich mit dem hübschen Wildfang aus unserem Hotel heraus auf die Straßen einer Stadt, in der die Männer von Frauen verknechtet werden. Wir hatten einen der heißeren Tage erwischt. Ich begann, ein wenig zu schwitzen.
»Okay«, sagte ich und räusperte mich, begierig darauf, die Sache voranzubringen. »Da sind wir also.« Mein Blick flog die breite Hauptstraße entlang. Die Sonne wurde grell von dem hellen Stein reflektiert, und ich kniff die Augen zusammen, während ich mich daran gewöhnte. »Ich kann das immer noch nicht fassen.«
»Was?«
»Dass es so etwas gibt! Eine ganze Stadt, in der sich die Männer freiwillig unterwerfen lassen. Ein nach Geschlechtern getrenntes Klassensystem, das tatsächlich funktioniert.«
»Es ist ein amüsanter Gedanke«, erwiderte Denise und grinste frech.
»Okay, von deinen persönlichen politischen Wunschträumen einmal abgesehen«, flachste ich zurück, »was glaubst du, wie viel Substanz das Ganze hat? Ich meine: Ist das alles echt oder sehen wir hier nur die Kulissen der aufwendigsten Show des bisherigen Jahrtausends? Es gibt Frauen, die haben Interesse an erotischer Herrschaft, und Männer, die wollen sich gerne unterwerfen lassen. Soweit okay. Aber auf Dauer? In diesem extremen Ausmaß, wie das hier angeblich geschehen soll? Hunderte, wenn nicht Tausende von Männern, die für Monate, Jahre, vielleicht noch länger nichts anderes tun wollen als dienen?«
»Tja, das zumindest scheint das große Versprechen zu sein, das sie von Gynopolis erhalten: Dies ist kein Fake. Kein zum Phantasialand mutiertes Domina-Studio, in dem in Wirklichkeit der männliche Kunde über alles bestimmen kann, was mit ihm geschieht. Das ist the real thing .«
»Aber wer kann das wollen?« wiederholte ich. Wir flanierten die Straße herunter. Links und rechts von uns ragten spiegelnde Fassaden in die Höhe, immer wieder mal unterbrochen von verspielten Art-Deco-Ornamenten. Eine Vespa brauste an uns vorbei. Auf ihr saß ein Mädchen im orangen Top, ihr Haar wehte im Wind. Mir fiel auf, dass es hier nur wenige Verkehrsgeräusche gab, und die kamen von weiter her. »Ich meine, als Phantasie ist das okay. Masochistische Männer möchten sich gerne permanent und unerbittlich in Ketten legen lassen und agieren diese Träume in Inszenierungen mit ihrer Partnerin aus, oder mit einer Domina. Aber es bleibt eben bei Inszenierungen. Ich hab ein bisschen über die SM-Subkultur recherchiert, bevor wir aufgebrochen sind. Die meisten Männer, die Träume von dauerhafter Unterwerfung haben, halten nicht einmal eine Nacht oder ein Wochenende im Domina-Studio aus, ohne zu nölen. Sie können nicht unaufhörlich erregt sein. Aber in die Lücken ihrer Erregung sickert dann all diese Wirklichkeit ein: enge Käfige, unangenehme drückende oder schabende Ketten, Langeweile, Müdigkeit, Frustration. Die meisten brechen dann viel schneller wieder ab, als sie selbst erwartet hätten. Weil Phantasie und Wirklichkeit eben nicht dasselbe sind. Das kann doch in dieser Stadt nicht anders sein, nur weil das Klima hier so toll ist.«
»Ich weiß nicht«, sagte Denise. »Natürlich hab ich auch ein bisschen recherchiert. Ich habe eine Kontaktanzeige aufgegeben, in demselben Internet-Forum, in dem Thorsten immer zugange war.«
Ich starrte sie überrascht an. » Was hast du gemacht?«
»Nur als Test. Ich habe mich als junge, attraktive Frau ausgegeben, die einen devoten Mann sucht. Als ihren Diener. Einkäufe erledigen, Wohnung sauber machen, Auto waschen, chauffieren und so weiter. Ausdrücklich: Kein Körperkontakt, keine sonstigen erotischen Gratifikationen. Wollte nur mal gucken, wie viele darauf anspringen.«
»Und?«
»Tja, ich bin leider zu spät auf die Idee gekommen, um eine wirklich verwertbare Aussage zu haben. Aber innerhalb von drei Tagen immerhin 160 Antworten in sehr verschiedener Ausführlichkeit und auf dem unterschiedlichsten inhaltlichen und sprachlichen Niveau. Ich habe eine Massen-E-Mail zurückgeschickt, in der ich klar mache, dass ich wirklich nur einen kostenlosen Diener brauche und mich für diejenigen entscheiden werde, die bereit sind, am meisten dafür zu bezahlen.«
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