Wieder andere Texte bestreiten jedoch schon die bloße Existenz einer solchen Einrichtung; diese sei lediglich Produkt der Phantasie einer Schriftstellerin gewesen und für das Internet mit gefaketen Fotos inszeniert worden. Aber ob es Realität oder Fiktion war, welche Maria Sansone die Inspiration für ihre Ideen gab, bleibt letztlich gleichgültig. Wenige Tage bereits, nachdem der Kauf der Insel von ihr unter Dach und Fach gebracht worden war, ließ sie die ersten Bagger, Bulldozer und andere Baumaschinen anrücken, um innerhalb von sieben Monaten den Kern jener inzwischen deutlich angewachsenen Stadt aus dem Boden zu stampfen, die heute den Namen »Gynopolis« trägt.
Der Baugrund war knapp und die ersten Wolkenkratzer– Kristallpaläste« wie Maria Sansone sie nannte – entsprechend hoch. Einige im Süden der Insel lebende Fischer, denen vor dem Verkauf lebenslanges Bleiberecht garantiert worden war, stellten sich vermutlich so manche Frage über den Zweck, der mit dieser Bauwut verfolgt werden sollte. Welchen Sinn konnte es haben, solch immense Gelder in ein Ausflugsziel zu investieren, dessen Reiz auf die Tourismusindustrie zwar möglich, aber alles andere als sicher war. Von Maria Sansones Vision der Frauendiktatur wussten sie nichts.
»Ich verfolgte ein sehr klares Konzept und wusste genau, was ich tat«, zitiert das Gynopolis-Magazin 16/00 Sansone. »Sobald die ersten Blocks bezugsfertig waren, ließ ich auf meine Insel die attraktivsten Models quer aus Europa kommen, die ich für mein Projekt gewinnen konnte. Einige meiner Leute durchstreiften für mich den größeren Teil der ehemaligen Ostblock-Staaten, um geeignete Talente ausfindig zu machen. Bald hatte ich einige auserlesene Perlen gesammelt. Ab diesem Zeitpunkt begann die Marketing-Maschine zu laufen und ich pflasterte sämtliche SM-Seiten des Internets und jedes einzelne der einschlägigen Magazine mit Werbeanzeigen für diese Stadt. Natürlich achtete ich darauf, meine Mädchen ins richtige Licht zu setzen und als eiskalte, strenge und erbarmungslose Luxus-Schönheiten in Bild und Text zu präsentieren. Die »Bewerbungen« der ersten Masochisten, die sich von diesen Frauen quälen und demütigen lassen wollten, strömten herein und wurden mit jedem Tag mehr und mehr. Der finanzielle Aufwand schien keine Rolle zu spielen – für ernsthaft Interessierte erfüllte Gynopolis offenbar den Traum ihres Lebens: echte Versklavung durch natürlich dominante Frauen, die alle Männer wahrhaftig als niedere Kreaturen verachteten und ihnen das auch in jeder Sekunde zeigten.
In Wirklichkeit konnte von einer Naturveranlagung bei meinen Models anfangs noch keine Rede sein, und das war mir klar. Schließlich hatte ich sie wegen ihres Äußeren ausgewählt und nicht wegen ihrer seelischen Verfassung. Zu diesem Zeitpunkt meines Projektes musste ich noch sehr auf eine reizvolle Präsentation achten, und ich wusste, dass sich meine männliche Zielgruppe zehnmal lieber von einer Frau erniedrigen lassen würden, die sie eigentlich körperlich begehrten, aber nie bekommen könnten. Als ich also die ersten nackten Sklaven meinen Models vor Augen führte, hatten diese nichts anderes vor als zu schauspielern. Sie traten so auf, wie sich dominante Frauen ihrer Ansicht nach benahmen, putzten die Männer herunter, machten sich über sie lächerlich, verpassten ihnen hier und da eine Ohrfeige.
Vermutlich war das der Moment, in dem die Situation umschlug. Genau so wie ich es kalkuliert hatte. In den Sekunden, in denen die ersten Ohrfeigen ausgeteilt wurden und die geschlagenen Männer sich mit keiner Bewegung zur Wehr setzten, stattdessen unterwürfiges Gefasel vor sich hin stammelten, konnte kein anderes Gefühl in meinen Models herausbrechen als Verachtung, abgrundtiefe Verachtung. Sie schlugen noch einmal zu und noch einmal. Dann spuckten sie ihren Sklaven ins Gesicht. Die Dämme waren gebrochen, und wie eine Sturmflut brach aus den Frauen alles heraus, was sich an Wut und Aggressionen über Jahre und Jahrzehnte in ihnen aufgestaut hatte – meistens über Männer, oft aber auch über andere Dinge, über das Leben an sich. Aus wunderhübschen Fotomodels wurden erbarmungslose Schinderinnen. Sie wussten, dass sie endlich ungehindert alle Aggression herauslassen konnten und sie niemand dafür je zur Rechenschaft ziehen würde. Und so prügelten sie, traten gegen Schienbeine, schimpften, erniedrigten, verspotteten und befahlen und rammten den ihnen untergebenen Kreaturen ihre Knie in die Eier.«
Von diesem Zeitpunkt an begann Gynopolis zu florieren. Die Kosten für die Errichtung der übrigen Bauwerke konnten deutlich gesenkt werden, indem man schlichtweg die ausreichend zur Verfügung stehenden männlichen Sklaven zur Fronarbeit heranzog. Das Städtchen wuchs und wuchs und wurde um eine bemerkenswerte Attraktion nach der anderen reicher.
Im Jahre 2002 fand dann der von Donna Maria eigentlich vorgesehene Umbruch statt. Beginnend mit der Hauptferiensaison erhielt Gynopolis symbolisch seine eigene »Staatsverfassung« und wurde in ganz Europa als Ferienziel nicht nur für masochistische Männer, sondern vor allem auch für sadistische Frauen angepriesen. Dabei mussten die Angehörigen des weiblichen Geschlechts nur einen Bruchteil dessen für ihre Herrschaft zahlen, was dem männlichen Geschlecht für seine Versklavung abverlangt wurde. Dies wiederum führte dazu, dass insbesondere junge Frauen in Studium oder Ausbildung anreisten, die sich auf diese Weise einen kostengünstigen Mittelmeerurlaub leisten konnten. Alles, was sie als Gegenleistung zu tun brauchten, war, sich von untertänigen Männern bedienen zu lassen und – falls es in ihrem Naturell lag – ihre Aggressionen an ihnen auszulassen.
Es dauerte nicht lange, und die einzelnen Organe der Weltpresse richteten ihre Aufmerksamkeit auf die Stadt. Maria Sansone machte aus ihrer Ideologie keinen Hehl. Ja, es lag in ihrer Absicht, dass jene jungen Frauen ihre Eindrücke von kriechenden und winselnden Männern nach dem Ende ihres Urlaubs wieder mit nach Hause, in ihr Alltagsleben mitnahmen. In der Tat, Gynopolis sei längst keine Mischung aus Domina-Studio und Phantasialand mehr, in dem der Kunde seine erotischen Wünsche gegen Geld befriedigt bekam, sondern ein funktionierendes Staatsgefüge, in dem Frauen wirklich herrschten und Männer tatsächlich beherrscht wurden. Die Zahl der Besucher stieg und stieg. Längst besaßen die wesentlich zahlreicheren neuen Herrinnen der Insel nicht mehr die Schönheit von Models, sondern waren das Mädchen, die junge Frau von nebenan. Aber auch dadurch schien die Attraktion der Insel nur zu wachsen.
Im Herbst 2003, auf dem Gipfel ihres Lebenswerkes angelangt, starb Maria Sansone an den Folgen eines Schlaganfalls. Die Regierung von Gynopolis übernahm ein Frauenrat, dessen Spitze noch heute unter anderem Regina »Die Göttin« Mirbeau und Patrizia »Die Grausame« Cunningham bilden.
Inzwischen war Gynopolis nicht nur ein Ferienort, sondern bildete für dermaßen zahlreiche Frauen und ihre Partner Wohnsitz und Lebensmittelpunkt, dass unter anderem ein eigenes Schulsystem für ihren Nachwuchs eingerichtet werden musste (siehe Kapitel 5). Während die internationalen Medien ihr Interesse längst wieder auf andere Dinge gelenkt hatten, bleibt Gynopolis in den Organen der Tourismusbranche, der europäischen Männerbewegung und natürlich der SM-Subkultur weiter im Gespräch. Unter anderem bezeichnete man es als »Zentrale einer totalitär-matriarchalischen Psychosekte«, »Riesen-KZ für Männer«, »sadomasochistisches Disneyland« und »bizarren Vergnügungspark der Mafia, ein Las Vegas unter Stiefel und Peitsche«. Insbesondere die Sadomasochisten zeigten sich dabei überraschend kritisch. Vielfachen Berichten zufolge wurde in den Stadtgrenzen von Gynopolis verschiedentlich weit über die Spielregeln einvernehmlicher und verantwortlicher Aktionen hinausgegangen. Möglicherweise führte die offensive Werbestrategie des Frauenstaates dazu, dass nicht nur die Safe-Sane-and-Consensual-Fraktion der SM-Szene, sondern auch regelrechte Soziopathinnen in Gynopolis eine ideale Wirkungsstätte fanden. Solche Berichte konnten bislang jedoch ebenso wenig substantiiert werden wie andere Behauptungen, denen zufolge sich manche männlichen Sklaven inzwischen alles andere als freiwillig auf der Insel aufhielten. Die offizielle Position der Stadtherrinnen zu diesen Gerüchten ist jedenfalls, dass es sich dabei um typische »urban legends«, moderne Großstadtlegenden, handelt, von denen bisher ungewohnte soziale Strukturen grundsätzlich begleitet werden.
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