Trotz des positiven, kommunistisch angehauchten Dharma-Karmas entwickelte sich die Kneipe zu einem finanziellen Desaster. Über der Kasse hing ein Schild mit der prophetischen Aufschrift: »Hier wird kein Profit gemacht!« Das meiste Geld ging für die Essensschnorrer drauf. Im Fenster stand eine Badewanne aus Porzellan, in der John und Paul jeden Tag einen riesigen Gemüsesalat anrichteten. Daneben eine Kanne Tee und ein Topf mit Suppe, alles gratis. Mit glasigen Augen kamen die Leute reingelatscht wie die reinsten Fressroboter und bedienten sich reichlich aus Salatwanne und Suppentopf. Danach erhob sich ein allgemeines Geschlürfe und Geschlabber. In Windeseile schlug sich jeder den Wanst voll und verschwand dann wieder, ohne auch nur einen Cent bezahlt zu haben. Es gab eben einfach zu viele, die Hunger hatten. Allerdings kamen auch Leute, die Kohle hatten und sich trotzdem für eine freie Mahlzeit anstellten. Sogar ich muss gestehen, die Total Assault Cantina um Berge von Reis und schüsselweise Suppe gelinkt zu haben, obwohl mir die Moneten in der Tasche klimperten. Zuerst hatten John und Paul versucht, Getränke- und Essensmarken an die Kunden auszugeben, aber sie wurden entweder völlig aufgeweicht auf den Tischen vergessen oder zum Wegwischen von Flecken benutzt. Jeden Tag backten die beiden frisches Brot. Und prompt fingen die Typen an, ganze Brotlaibe auf einmal zu klauen. Sie kamen reingeschlurft, bestellten sich einen Kaffee und waren plötzlich flink wie die Wiesel mit dem Brot unterm Arm zur Tür herausgehuscht — und das auf dem Nachhauseweg von ihrem Job.
Eins der New Yorker Wochenmagazine brachte eines Tages in seiner Beilage eine Story über die Kneipe und nannte sie »einen duften Platz, wo man prima und umsonst essen kann«. Das hatte beinah ein Chaos zur Folge. Die Leute kamen bis aus New Jersey, nur um einmal in ihrem Leben eine Beatnikmahlzeit zu schnorren. Hunderte standen draußen auf dem Bürgersteig Schlange und drinnen war es kaum auszuhalten. Spätestens jetzt hätten John und Paul einen klaren Strich ziehen müssen — von mir aus jedem einen Teller Suppe geben, aber alles andere berechnen sollen. Es kam sogar so weit, dass die Leute in der Druckerei herumschnüffelten, und das brachte mich auf die Palme, weil wir grad versuchten, Wehrpässe und falsche Personalausweise für Wehrdienstverweigerer zu drucken. Um die Flut der Wochenendbeatniks einzudämmen, kamen wir auf die wahnwitzige Idee, eine Speisekarte mit so abschreckenden Spezialitäten wie »Augäpfel au gratin« oder »Froschärschchen am Spieß« zu drucken und zehn bis fünfzehn davon an die Frontfenster der Cantina zu kleistern. Dann füllten wir die Salatwanne bis zum Rand mit einem widerlichen Brei, der aussah, als stamme er mindestens vom Mars, warfen die abgehackten Köpfe von circa einem Dutzend unheimlich echt aussehenden Gummischlangen in die schleimige Suppe, würzten alles mit Puppenköpfen, Unkraut aus dem Park und ein paar Ratten und klebten obendrüber ein Schild mit der Aufschrift GRATIS.
Ich führte die Druckerei, wo wir uns auf Protestaufrufe, Gedichtsammlungen, Wehrpässe, Personalausweise und Flugblätter spezialisiert hatten. Ich hatte alle Hände voll zu tun, und dann kamen die Typen von draußen rein und laberten mir stundenlang die Ohren voll. Am Schluss stand ich immer wie ein Zombie neben der Druckerpresse. Verrückte Macker mit unmöglichen Geschichten. Da waren zum Beispiel welche, die bestanden allen Ernstes darauf, dass ich sofort alles andere liegen ließ und erst mal ihren Gedichtband oder Aufsatz druckte. Oder auch sechs Jahre Tagebuch, wo sie von ihren Experimenten mit Trance-Tanz nach der Zen-Sufi-Methode berichteten, im arabischen Petra. Selbstverständlich erwarteten sie, dass ich die Papierkosten übernahm. Eines Tages kriegte ich Ärger mit einer von den ansässigen Straßengangs — ich glaube, sie nannten sich Visagenknacker oder so ähnlich, jedenfalls wurden sie echt sauer, als ich ihnen nicht meinen Werkzeugkasten aus der Druckerei borgen wollte, damit sie ihre Kanonen wieder auf Vordermann bringen konnten. Am nächsten Tag hatten wir ein eingeschlagenes Fenster.
Natürlich war keine Kohle da, um es reparieren zu lassen, und erst recht keine Versicherung, also mussten wir uns wohl oder übel nach einer Lösung auf der Straße umsehen. Zu der Zeit steuerte die Szene grade in eine Art Drogenpanik. Die Junkies sanken sogar so tief, dass ihnen nichts Besseres mehr einfiel, als das Total Assault auszuräumen. Sie klauten fünfzehn »gestimmte« Gongs, die dem Celestial Freakbeam Orchestra gehörten. Sie klauten die elektrische Kochplatte für die Suppe aus dem Frontfenster. Sie klauten meine elektrische Schreibmaschine, ließen aber die Offset-Presse stehen, wahrscheinlich, weil sie ihnen zu schwer war. Als sie mitten in der Nacht anrückten, wunderten sie sich wohl, über eine schnarchende Matratzenwiese zu stolpern — jedenfalls ließen sie elf Mann gefesselt, geknebelt und bis zum Hals in ihren Schlafsäcken verschnürt zurück. Zu allem Überfluss stellte die Post uns auch noch das Telefon ab, nachdem ein sogenannter Freund vier Stunden lang mit London telefoniert hatte, ohne einem von uns was davon zu erzählen. Der Ruin stand wie eine drohende Wolke am Horizont. Schließlich stellten John und Paul eine Liste mit den wichtigsten Schulden zusammen:
Gas / Strom |
60 $ |
Papier |
80 $ |
Holz |
160 $ |
Zwei Monatsmieten |
200 $ |
Lebensmittel |
200 $ |
»Wie zum Teufel sollen wir bloß siebenhundert Kröten zusammenkratzen?«
»Ich hoffe ja nur, es kommt nicht soweit, dass wir uns auf dem Times Square als blinde Bettler verkleiden müssen!«, ulkte Sam.
In unserer Verzweiflung hielten wir eine Wasserpfeifennotstandssitzung ab. Zuerst verfielen wir auf die traditionelle Tour, nämlich bei Brentano die Kunstbuchabteilung auszuräumen. Die Frage war nur: Wie sollten wir Publikationen von Skira und der New York Graphic Society im Wert von siebenhundert Dollar da rausschaffen, ohne dass die was davon mitkriegten? Als Nächstes entwarfen wir allen Ernstes einen Plan für einen gewaltlosen Banküberfall. Stundenlang zerbrachen wir uns die Köpfe damit, uns einen Zettel für den Bankschalter auszudenken, der erstens den Kassierer beruhigen, zweitens ihn tatsächlich dazu bringen sollte, das Geld rauszurücken und drittens nicht unsere unmittelbare Verhaftung zur Folge haben würde. Am Schluss stellte sich heraus, dass ein gewaltloser Banküberfall offenbar ein völlig unmögliches Unternehmen ist.
Eine Sache, die wir sofort in Angriff nahmen, war die Benefizveranstaltung, eine von diesen Marathondichterlesungen, die von abends acht bis morgens um vier dauern. Insgesamt erschienen siebenunddreißig Poeten und warteten aufgeregt auf ihren Auftritt. Das brachte uns lumpige fünfundsiebzig Dollar, obwohl es vom Publikumsandrang her gesehen ein voller Erfolg war. Außerdem hatte jemand seine Flöte unter dem Tisch vergessen, und es stellte sich heraus, dass sie bis zum Mundstück voll Amphetamin steckte. Das wurde natürlich Hals über Kopf verscherbelt, und der Reinerlös des Abends stieg auf einhundertundzehn Dollar. Die andern dachten sogar kurz daran, unsere Druckerpresse zu verkaufen, aber was sollten wir mit einer revolutionären Kneipe, wenn wir da nicht mal drucken konnten?
Am nächsten Morgen rief John bei seiner Tante an. Seine Verwandtschaft verkaufte nämlich Obst und Gemüse auf dem Hunts Point Market, wo das Total Assault mittlerweile mit einer beträchtlichen Summe in der Kreide stand. John wollte seiner Tante noch mal für ein paar Wochen Lebensmittel abluchsen und im Lauf des Gespräches erzählte sie ihm: »Übrigens ist Larry aus Hongkong zurück. Er hat schon versucht, dich zu erreichen. Soweit ich weiß, will er irgendwas mit dir besprechen.«
Читать дальше