Zu den kritischen Zeiträumen, in denen sich ein Glycinmangel besonders schädlich auswirkt, zählen die Schwangerschaft und das Alter. Ich werde in Kapitel 11 noch näher auf diese Lebensabschnitte eingehen. Für den Durchschnittsbürger unter 60 ist ein Mangel nicht ganz so gravierend, aber dennoch problematisch. Wie bereits erwähnt, sinkt der Umsatz unseres eigenen Kollagens proportional zum Mangel an Glycin, wodurch in jedem Gewebe, das reich an Kollagen ist, die Anzahl der Schäden zunimmt. Wie Studien zeigen, auf die ich in späteren Kapiteln noch zu sprechen komme, können wir durch die Zufuhr von Kollagenprotein all jene Teile unseres Körpers auffrischen, die einen hohen Anteil davon enthalten. Das Auffüllen unseres Glycinvorrats ist ein wichtiger Grund, warum die Einnahme von Kollagenprotein die Kollagenproduktion unterstützt.
Neben den rund 12 Gramm Glycin, die eine optimale Kollagensynthese erfordert, benötigt der Körper die relativ klein wirkende Menge von 2,5 Gramm Glycin, um weitere wichtige Funktionen zu unterstützen. Ohne eine ausreichende Menge an Glycin kann beispielsweise die Produktion von Glutathion sinken. Glutathion gilt als der wichtigste antioxidativ wirkende Stoff im Körper. Studien deuten darauf hin, dass Glycinmangel den oxidativen Stress im Körper erhöht. Auf diese und andere wichtige Rollen, die Glycin im Körper übernimmt, gehe ich in Kapitel 10 noch genauer ein.
Prolin ist nahezu ebenso wichtig wie Glycin, denn es stellt zusammen mit einer modifizierten Form, dem Hydroxyprolin, etwa ein Viertel der Aminosäuren in Kollagen. Auch für die Proteinsynthese im gesamten Körper ist es wichtig, denn wir benötigen mehr Prolin als andere Aminosäuren.
Prolin ist auch ein wichtiger Ausgangsstoff für die Argininsynthese. Arginin ist ebenfalls eine Aminosäure, die wir zur Bildung des wichtigen Moleküls Stickoxid benötigen. Stickoxid spielt unter anderem eine Rolle bei der Regulierung des Blutflusses, der Kontraktion der Muskeln und dem Transport von Nährstoffen. Es agiert als natürlicher Vasodilatator, was bedeutet, dass es die Blutgefäße erweitert, damit das Blut ungehindert in alle Teile des Körpers fließen kann. Wenn Sie viel Sport treiben, dann ist Ihnen Stickoxid womöglich bereits als Mittel zur Leistungssteigerung bekannt. Und da Arginin auch noch 9 Prozent des Kollagenproteins ausmacht, gibt es für Sportler tatsächlich mehr als einen Grund es zu schätzen!
Genau wie Glycin stellt unser Körper Prolin ebenfalls aus anderen Aminosäuren her, auch aus über die Nahrung aufgenommenem Arginin (Prolin und Arginin werden je nach Bedarf zum jeweils anderen umgebaut). In Experimenten, bei denen Testpersonen eine prolinfreie Ernährung erhielten, sank der Prolin-Spiegel im Blut um 20 bis 30 Prozent, was belegt, dass Prolin aus Nahrungsmitteln zur Optimierung der Prolin-Menge im Körper benötigt wird, auch wenn der genaue Bedarf noch nicht bestimmt werden konnte.
Anders als bei Glycin sind nahezu alle eiweißreichen Lebensmittel auch gute Prolin-Quellen, wobei Kollagenprotein (23 Prozent Prolin und Hydroxyprolin) und Milcheiweiß (12 Prozent Prolin) am besten abschneiden. Die Tatsache, dass Milch reich an Prolin ist, erscheint durchaus verständlich – Neugeborene benötigen sehr viel Prolin und die Menge übersteigt zunächst ihre Fähigkeit, es selbst zu synthetisieren. Wenn Sie streng vegan leben, kann es womöglich schwierig sein, ausreichend Prolin über die Nahrung zu sich zu nehmen, da tierisches Eiweiß in der Regel drei bis sechs Mal so hohe Mengen an Prolin enthält wie pflanzliches Protein.
Bei einer Ernährung, die eine ausreichende Menge an Eiweiß umfasst, wird in der Regel eher ein Mangel an Hydroxyprolin eintreten als an Prolin. Zur Herstellung von Hydroxyprolin benötigt der Körper Prolin aus der Nahrung, ebenso wie Vitamin C und Eisen. Hydroxyprolin wird gemeinsam mit einer zweiten „hydroxylierten“ Aminosäure benötigt, um Prokollagen zu bilden, den Vorläufer des körpereigenen Kollagens. Wir sollten also stets ausreichend Vitamin C zu uns nehmen, um diesen fortlaufenden Prozess zu unterstützen.
Speziell für die Wundheilung ist es wichtig, prolinreiche Lebensmittel zu sich zu nehmen, da der Körper zur Reparatur des geschädigten Gewebes zusätzliches Prolin benötigt. Welche wichtigen Rollen Prolin genau übernimmt, erzähle ich Ihnen in Kapitel 10.
Kollagenprotein: Mehr als die Summe seiner Teile
Kollagenprotein arbeitet auf eine Weise, die die Wirkung der einzelnen Aminosäuren, aus denen es besteht, erheblich übersteigt. Jedes Kapitel in diesem Buch ist einem anderen Bereich gewidmet, in dem Sie von der Einnahme von Kollagenprotein profitieren können.
Bevor wir uns jedoch damit beschäftigen, was Kollagen so spannend macht, möchte ich auf einige wichtige Begriffe hinweisen, denen Sie im Verlauf dieses Buchs immer wieder begegnen werden. Zunächst einmal fasse ich alle Formen von Kollagenprotein, die wir uns zuführen können (zum Beispiel gereinigte Gelatine, Geflügelhaut, Rindersehnen und Kollagenpeptide) unter dem Oberbegriff „Kollagenprotein“ zusammen. Wenn ich das einzelne Wort „Kollagen“ benutze, bezieht es sich auf das Kollagen, das wir in unserem Körper haben.
Als Nächstes gilt es, den grundlegenden Unterschied zwischen Kollagenprotein in Form von Gelatine und Kollagenprotein in Form von Kollagenpeptiden zu verstehen:
Gelatine ist eine teilweise aufgespaltene Form von Kollagenprotein. Man erhält sie, indem man zunächst eine Quelle tierischen Kollagenproteins (Haut, Knochen, Schuppen usw.) entweder mit einer Säure oder Lauge behandelt und dann erhitzt, bis die einzelnen Stränge tierischen Kollagenproteins sich voneinander trennen. Die ersten wissenschaftlichen Studien zu Kollagenprotein verwendeten Gelatine, weil hydrolysiertes Kollagenprotein, das wir uns als Nächstes anschauen, erst seit rund einem Jahrzehnt verfügbar ist. Gelatine kommt besonders Fingernägeln und einer gesunden Verdauung zugute, genauso wie eine Knochenbrühe, die Gelatine und andere Nährstoffe enthält. Gelatine verfügt über die besondere Eigenschaft, beim Erkalten zu einem Gel zu erstarren, da sie nur zum Teil aufgespalten ist und Wasserstoffatome enthält, die für die Anziehung von Wasser verantwortlich sind.
Was Sie allerdings im Ladenregal und im Internet vorwiegend finden werden, ist das, was ich durchgängig als „Kollagenpeptide“ bezeichnen werde, sofern ich nicht die Einzelheiten einer Studie bespreche und mich dabei an die Terminologie der Autoren halte. Die Begriffe „Kollagenpeptide“, „hydrolysiertes Kollagen“ und „Kollagenhydrolysat“ – ebenso wie das seltener verwendete „hydrolysierte Gelatine“ – beziehen sich alle auf das gleiche Produkt: Kollagenprotein, das durch den Einsatz spezieller Eiweiß spaltender Enzyme in noch kleinere Teile aufgebrochen wurde. Manchmal wird auch der Begriff „hydrolysierte Kollagenpeptide“ verwendet, der jedoch „doppelt gemoppelt“ ist, da jegliches Kollagen in Peptidform hydrolysiert wurde.
Auch wenn die Unterschiede verwirrend erscheinen, so gibt es doch nur einige wenige Dinge, die Sie sich merken müssen: Zum einen stehen Kollagenpeptide im Mittelpunkt nahezu aller heutigen Untersuchungen und das mit gutem Grund, wie Sie noch feststellen werden. Zum Zweiten geht man davon aus, dass das Vorhandensein von „bioaktiven“ Dipeptiden und Tripeptiden (aus zwei beziehungsweise drei Aminosäure-Resten aufgebaute Peptide) der Grund für viele der gesundheitlichen Vorteile von Kollagenpeptid-Produkten sind. Und zum Dritten können Grad und Form der Hydrolyse oder wie viele aktive Dipeptide und Tripeptide ein Kollagenprodukt enthält, abweichen.
Was also macht Kollagenpeptide so besonders? Während man früher davon ausging, dass alle Proteine und Peptide im Verdauungstrakt restlos in die Aminosäuren aufgespalten werden, aus denen sie bestehen (beispielsweise Glycin und Prolin), wissen wir heute, dass dies nicht der Fall ist. Es gibt mehrere Kollagendipeptide und -tripeptide, die nicht vollständig verdaut werden, sodass bis zu 10 Prozent noch intakt sind, wenn sie in den Blutstrom gelangen. Diese bioaktiven Peptide zirkulieren dort mehrere Stunden lang und gelangen über das Blut an viele Orte, etwa zur Haut und zu den Gelenken, wo sie ihre wohltuende Wirkung bis zu zwei Wochen lang entfalten können. Die meisten dieser bioaktiven Peptide enthalten Hydroxyprolin, das hauptsächlich mit Prolin verbunden ist, aber auch mit anderen Aminosäuren.
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