Im späten 17. Jahrhundert entwickelte der französische Physiker Denis Papin eine Frühform des Dampfkochtopfes, den er als „Fermenter“ bezeichnete und von dem er hoffte, dass er der ärmeren Bevölkerung helfen würde, mehr Nährstoffe aus Knochen zu ziehen. Leider erwies sich der Topf als zu kostspielig für das Zielpublikum. Kurz darauf wurde Papins Erfindung in größerem Maßstab zur effizienten Gewinnung von Gelatine eingesetzt, die als besonders nahrhaftes Lebensmittel galt, in dem Versuch, die ständig wachsende Bevölkerung Frankreichs zu ernähren, speziell die große Anzahl an Krankenhauspatienten und Kindern in Waisenhäusern. Philanthropen in Deutschland und England richteten später Küchen ein, in denen Suppen auf Gelatinebasis ausgegeben wurden. Wie es wohl bei den meisten Ernährungstrends der Fall ist, wurde auch hier ein wenig zu weit gegangen. Man begann zu untersuchen, ob Mahlzeiten, die aus nichts weiter als Brot und Gelatine bestanden, ausreichend waren, um Menschen und Tiere zu ernähren. Dabei zeigte sich schnell, dass diese Art der Ernährung nicht ausreichte, um einen Menschen bei Gesundheit zu halten. In der Folge kam Gelatine aus der Mode.
Heute wissen wir, dass zwar weder Gelatine noch Kollagenprotein für sich allein genommen ausreichende Eiweißquellen darstellen, die ihnen zugrunde liegenden Aminosäuren aber gut sind für eine ausgewogene Ernährung. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts machte der Wissenschaftler Carl Voit darauf aufmerksam, dass Gelatine über „proteinsparende“ Eigenschaften verfüge und meinte damit, dass es im Rahmen einer Mischkost helfen könne, den Abbau des Körperproteins zu verhindern.
Heutzutage werden traditionelle Gerichte wie die erwähnten zunehmend geschätzt, und zwar sowohl wegen ihres Nährwerts, als auch aufgrund des wachsenden Interesses daran, tatsächlich alle Teile eines Tieres zu verwerten. Knochenbrühe und Suppenfonds, die aus ansonsten nicht verwerteten Tierteilen hergestellt werden, gelten schon als neues „Superfood“, unter anderem aufgrund der großen Menge an Kollagenprotein, die sie enthalten.
In meiner Ernährungsberatung ermuntere ich die Patienten dazu, das komplette Spektrum an Tierprodukten in ihre Ernährung einzubauen, insbesondere Innereien (Organe), Haut und Knochenbrühe. Wenn Sie – wie die meisten meiner Patienten unter 40 – damit aufgewachsen sind, Fleisch, Geflügel und Fisch ohne Haut und Knochen aufgetischt zu bekommen, dann ist Ihnen vielleicht schon beim Gedanken daran, die „anderen Teile“ eines Tieres zu essen, ein wenig mulmig zumute. Sollte dies der Fall sein, dann wird es Sie sicherlich freuen zu hören, dass Sie die in Kollagen enthaltenen Nährstoffe auch zu sich nehmen können, ohne Ihren Gaumen zu überfordern. (Auch wenn Pho-Suppe mit Rindersehnen eines meiner Lieblingsgerichte ist und Ochsenschwanzsuppe ebenfalls zu meinem Speiseplan gehört, habe selbst ich mich bislang nicht an Schweinskopfsülze gewagt!) Neben einer kollagenreichen Ernährung sind Nahrungsergänzungsmittel eine praktische Möglichkeit, um Kollagenprotein zu sich zu nehmen. Worauf Sie bei der Auswahl achten sollten, erkläre ich in Kapitel 13.
Produkte aus Kollagen oder auf Kollagenbasis finden aufgrund ihres praktischen Nutzens und Nährwerts immer häufiger Verwendung in den Bereichen von Medizin und Pharmazie sowie in der Kosmetik- und Lebensmittelindustrie. Jüngste Forschungsergebnisse stützen das, was unsere „primitiven“ Vorfahren instinktiv wussten und die ersten Ernährungswissenschaftler vermuteten.
KAPITEL 3
Warum sollte Kollagen ein Teil unserer heutigen Ernährung sein?
Wir essen aus vielerlei Gründen, aber rein körperlich gesehen besteht der Hauptgrund darin, den nahezu 40 Billionen Zellen, aus denen unser Körper besteht, wichtige Nährstoffe zuzuführen (ganz zu schweigen von den hungrigen Bakterien in unseren Eingeweiden, von denen es etwa zehnmal so viele gibt). Lebende Zellen benötigen eine ständige Zufuhr an Energie (Kalorien) und Rohmaterial (Nährstoffen) für die unzähligen biologischen Prozesse, die rund um die Uhr ablaufen – und zwar so lange, bis eine Zelle für den Körper nicht mehr nützlich und ihre Zeit abgelaufen ist. Es folgt die Apoptose oder der programmierte Zelltod. Ist ein Mensch rundum gesund, werden abgestorbene Zellen sofort durch identische ersetzt, die dieselben Funktionen erfüllen.
Von den folgenden Nährstoffen müssen wir regelmäßig ausreichende Mengen zu uns nehmen, um das Funktionieren unserer Zellen und in der Folge unseres Körpers sicherzustellen: Kohlenhydrate und Fett für die Energiezufuhr, 13 verschiedene Vitamine, mehr als 16 Mineralstoffe, bestimmte Arten von essenziellen Fettsäuren und Wasser. Fehlt nur ein einziger dieser Nährstoffe oder ist er nur in unzureichender Menge vorhanden, kann die normale Funktionsweise des Körpers gestört sein. Beispiele dafür sehe ich täglich in meiner Praxis. Menschen glauben beispielsweise, sich gesund zu ernähren, nur weil sie auf bestimmte Lebensmittel verzichten, von denen sie gehört haben, sie seien schlecht für die Gesundheit. Sie wissen aber nicht, dass sie ihrem Körper dadurch eventuell wichtige Nährstoffe vorenthalten, die er unbedingt benötigt. In Kapitel 14 erfahren Sie mehr darüber, auf welche Nährstoffe sie achten sollten, wenn Ihnen Ihr Körper und die Kollagenversorgung am Herzen liegen.
Wer bei einem Treffen von Ernährungsberatern das Thema Protein anschneidet, muss sich auf viele widersprüchliche Meinungen gefasst machen: „In den Industriestaaten essen die meisten Menschen zu viel Protein.“ „Viele Menschen essen viel zu wenig Protein.“ „Zu viel Protein schadet den Knochen.“ „Zu wenig Protein führt zum allmählichen Abbau von Muskeln und Knochen.“ „Wir können das gesamte Protein, das wir benötigen, aus pflanzlichen Quellen beziehen.“ „Die optimale Proteinquelle ist tierisch.“ Wen wundert es da noch, dass die Öffentlichkeit komplett verunsichert ist, was sie wem glauben soll?
Auch die anderen beiden Hauptnährstoffe, Fett und Kohlenhydrate, sind nicht unumstritten. Wenn ich gefragt werde, was ich von Ernährungsweisen halte, die nahezu komplett auf Fett und Kohlenhydrate verzichten und dafür auf einen hohen Proteinanteil setzen, dann antworte ich meist, dass es keinen universellen Ernährungsplan gibt, der für alle geeignet ist. Das mag so wirken, als wollte ich der Frage aus dem Weg gehen, aber es ist tatsächlich die Wahrheit – und im Übrigen der Grund, warum ich für alle meine Patienten in Bezug auf die Hauptnährstoffe maßgeschneiderte Empfehlungen erstelle. Ich glaube, dass in Zukunft alle Diätassistenten und Ernährungsberater so vorgehen werden, vor allem wenn uns mehr Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um umfangreichere Untersuchungen zu veranlassen.
Was Protein angeht, können wir uns dennoch auf einige Fakten verlassen: Sicherlich essen manche Menschen zu viel Protein, aber die meisten von uns sollten definitiv mehr davon zu sich nehmen. Tierisches Protein – Fleisch, Geflügel, Meerestiere, Eier und Milchprodukte – ist tatsächlich das Protein mit der höchsten „biologischen Wertigkeit“ und wir sollten jeden Tag zumindest eine kleine Portion davon essen, und zwar auch dann, wenn unsere Ernährung ausreichend pflanzliches Protein umfasst. Die biologische Wertigkeit wird daran gemessen, in welcher Menge ein bestimmtes Protein für sich allein genommen in die Proteine eines lebenden Organismus integriert wird, beziehungsweise wie effizient es zur Bildung von körpereigenem Protein genutzt werden kann. Bei Eiweiß aus tierischen Quellen liegt dieser Wert in der Regel zwischen 75 und 96 Prozent, wobei Eier und Molkeneiweiß an der Spitze der Tabelle stehen.
Den biologischen Wert von Nahrungseiweiß erkennt man auch daran, wie sehr es dem Profil des Körpers an essenziellen Aminosäuren entspricht. Es gibt neun essenzielle Aminosäuren – Histidin, Isoleucin, Leucin, Lysin, Methionin, Phenylalanin, Threonin, Tryptophan und Valin –, die wir im Verlauf eines Tages in ausreichender Menge zu uns nehmen müssen. Sollte nur eine davon fehlen oder in zu geringer Menge zugeführt werden, kann der Körper nicht das ganze Spektrum an Proteinen erzeugen, das er für sein Funktionieren benötigt. Alle neun müssen im richtigen Verhältnis vorhanden sein, um die charakteristischen Aminosäureketten bilden zu können, aus denen die körpereigenen Proteine bestehen. Interessanterweise hat Kollagen für sich alleine genommen aufgrund des fehlenden Tryptophans eine biologische Wertigkeit von Null. Bitte lesen Sie dennoch weiter – das Kollagen wird seinen Wert noch unter Beweis stellen!
Читать дальше