Madocs Kolonie gedieh. Die Menschen waren rege, aber auch kriegerisch gesinnt. Bald breiteten sie sich aus und hielten nach neuem Land Ausschau. Voller Wild sollte es sein. Sie durchquerten den Kontinent. Sie gelangten bis nach Mexiko. Sie suchten Trails, bauten Befestigungen, befuhren den Mississippi und andere große Flüsse mit ihren kleinen Booten. Sie gaben ihre Sprache und ihre Religion an die Indianerstämme weiter, denen sie begegneten. Nicht alle Indianer waren den Fremden wohlgesinnt. Endlich schlossen sich mehrere Stämme zusammen und zogen gegen die weißen Männer ins Feld. Eine blutige Schlacht fand im Mittelwesten statt. Madocs Truppen wurden aufgerieben. Er selbst fand den Tod. Ohne Anführer verwilderten die Auswanderer in ihren Sitten mehr und mehr. Endlich war ihnen überhaupt nicht mehr bewusst, dass ihre Vorfahren aus Europa herübergekommen waren. Sie hatten sich in ihren Lebensgewohnheiten ganz und gar denen der Indianer angeglichen. Aber sie hatten weiße Haut, und sie sprachen immer noch ihre Muttersprache.
Jahrhunderte später reiste Pfarrer Morgan Jones von Virginia nach South Carolina und fiel unterwegs Indianern in die Hände. Sie gaben ihm zu verstehen, er möge sich zum Sterben bereit machen. Jones in seiner Todesfurcht verfiel in seine Muttersprache. Auf Walisisch beklagte er sein Schicksal und begann in dieser Sprache seine Gebete zu sprechen. Zu seinem Erstaunen antwortete einer der Indianer in seiner Muttersprache, und im Augenblick waren sich alle Krieger darin einig, dass man den Pfarrer am Leben lassen wolle. Jones blieb mehrere Monate bei diesem Stamm und versuchte, die Indianer durch Predigten, die er in Walisisch hielt, zum Christentum zu bekehren.
Ein Schöpfungslied der Navajos
Ihr sagt, da waren keine Menschen.
Rauch breitete sich über der Erde aus.
Ihr sagt, da waren keine Menschen,
nur Rauch.
Der erste Mensch, so sagen sie, trat aus dem Rauch hervor.
Er brachte mit sich verschiedene Kleider und kostbare Dinge.
So sagen sie.
Rauch hing ausgebreitet über der Erde.
Er brachte mit sich weißen Mais und gelben Mais.
So sagen sie.
Rauch hing überall.
Er brachte mit sich die verschiedenen Tiere und die Dinge, die wachsen.
So sagen sie.
Rauch war da, ausgebreitet.
Die erste Frau war die erste, die hervortrat.
So sagen sie.
Sie brachte mit sich verschiedene kostbare Dinge und Kleider.
So sagen sie.
Rauch hing da.
Sie brachte mit sich den gelben Mais und den mehrfarbigen Mais.
So sagen sie.
Rauch hing ausgebreitet.
Sie brachte mit sich die verschiedenen Tiere und die Dinge, die da wachsen. So sagen sie.
Rauch hing überall, so sagen sie.
Da gab es noch keine Menschen.
Rauch war ausgebreitet überall.
Es gab noch keine Menschen.
Nur über allem hing Rauch.
Ein Weißer wollte von einem Indianer wissen, wie Amerika genannt worden sei, ehe der Weiße Mann es entdeckte. »Es wird wohl ein schwieriges Wort sein«, fügte er hinzu, »bitte, sprechen Sie es langsam und deutlich aus, damit ich es mir notieren kann.«
Der Indianer schüttelte den Kopf. »Es ist ganz einfach«, antwortete er, »wir nannten es unser!«
Roter Saynday trifft weißen Saynday
Eine Wintergeschichte der Kiowa
Die Kiowa-Indianer lebten im südwestlichen Oklahoma. Saynday ist einer jener Trickster-Helden, die in vielen indianischen Mythen auftauchen. Alice Marriott, die die Sommer- und Wintergeschichten Mitte der dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts bei den Kiowa gesammelt hat, meint von der Gestalt des Saynday: »Noch am ehesten lässt sich Saynday in der europäisch-amerikanischen Literatur mit Till Eulenspiegel oder mit Merlin vergleichen ... wie viele Saynday-Geschichten es in der Welt der Büffel gibt, wage ich gar nicht zu schätzen. Es mögen hundert sein, vielleicht aber auch tausend ...«
Saynday kam daher, und wie er so seines Weges ging, sah er einen weißen Mann. Der weiße Mann trug einen 20-Gallonen-Stetson-Hut, eine Wildlederweste mit allerlei Schnickschnack daran. Er hatte Wildlederhandschuhe mit langen Fransen an, seine Hosen waren aus Wildkatzenfell, und an den Beinen trug er ein Paar Cowboystiefel. Er ritt ein gutes Pferd mit weißer Mähne und weißem Schwanz, von der Rasse, die man Palomino nennt. Und der weiße Mann und sein Pferd wussten, dass sie eine gute Figur machten.
Saynday blieb stehen und musterte sie genau.
»Ja«, sagte er bei sich, »ein solches Pferd und solche Kleider hätte ich auch gern.« Also ging er auf den weißen Mann mit dem schönen Palomino-Pferd und den eleganten Kleider zu und fragte: »Wie heißt du?«
»Saynday««, sagte der weiße Mann.
»Saynday? Nein, das kann nicht sein. Saynday, das bin ich. Saynday, das ist ein Indianername.«
»Ich bin der weiße Saynday.«
»Wirklich«, sagte der rote Saynday, »nun, ich bin der Saynday der Indianer.« – »Tja«, sagte der andere, »wenn das so ist ... von dir habe ich schon viel gehört. Aber ich habe mir dich ganz anders vorgestellt. Du siehst nicht wie jemand aus, der den Leuten ständig etwas zu reden gibt.«
Er musterte den Indianer-Saynday, der nur ein Paar alte Mokassins und ein schäbiges Gewand trug und darin recht komisch aussah.
»Na ja«, sagte der rote Saynday, »ich bin eben der alte gute Onkel Saynday. Saynday der Indianer. Ich bin der Mann, der immer daherkommt ...«
»Gut«, sagte der weiße Saynday, »besonders großartig siehst du aber nicht aus.« – »Wohl wahr«, sagte der rote Saynday, »aber ich finde, du hast die schönsten Kleider, die ich je gesehen habe.«
»Ach weißt du, das ist nur mein Anzug für alle Tage«, sagte der weiße Saynday, »ich habe ihn mir aus dem Montgomery-Versandhaus schicken lassen.«
»Er steht dir gut«, sagte der rote Saynday, »und ein gutes Pferd hast du auch.« Der weiße Mann sagte nichts. Er wusste wohl, dass es das beste Pferd in seinem Stall war. »Man hat mir gesagt«, fing er an, »du spieltest den Leuten immer Streiche.«
»Das ist richtig«, antwortete der rote Saynday, »bisher habe ich noch fast jeden hereingelegt.«
»Kommt es denn nie vor, dass dir ein Streich misslingt?« erkundigte sich der weiße Saynday.
»Nun ja, hin und wieder schon ... aber nicht sehr oft. Ich fange es immer ziemlich schlau an.«
»Das sagt man«, meinte der weiße Saynday, »und eben deswegen wollte ich dir schon immer einmal begegnen. Ich möchte nämlich behaupten, dass du mich nicht hereinlegen kannst.«
»Vielleicht hast du recht, vielleicht ich.«
»Weich jetzt nicht aus ...«, sagte der weiße Saynday, »ich wette, es gelingt dir nie und nimmer, einen Mann wie mich hereinzulegen.«
»Hier auf der Stelle würde es mir nicht gelingen«, antwortete der rote Saynday, »du weißt ja, wie es bei uns Indianern so geht. Wir müssen unsere Zaubermedizin zur Hand haben. Auch ich benutze für meine Streiche eine solche Medizin, ich habe sie gerade nicht bei mir, sonst würde mir jeder Streich gelingen.«
»Du prahlst nur«, sagte der weiße Saynday, »ich wette, du besitzt überhaupt keine Zaubermedizin. Alles Schwindel und fauler Zauber. Du versuchst jetzt nur, dich herauszureden, weil du erkannt hast, dass deine billigen Tricks bei mir nicht verfangen.«
»Nein, nein«, antwortete der rote Saynday, »es ist schon so, ohne meine Medizin bin ich machtlos.«
»Wo hast du denn diese wunderbaren Sachen?«
»Zu Haus!«
Читать дальше