Schwierigkeit, das Erkennen vom Urteil zu sondern [Kriegskunst]
Alles Denken ist ja Kunst. Wo der Logiker den Strich zieht, wo die Vordersätze aufhören, die ein Resultat der Erkenntnis sind, wo das Urteil anfängt: da fängt die Kunst an. Aber nicht genug: selbst das Erkennen des Geistes ist ja schon wieder Urteil und folglich Kunst, und am Ende auch wohl das Erkennen durch die Sinne. Mit einem Wort: wenn sich ein menschliches Wesen mit bloßem Erkenntnisvermögen ohne Urteil ebensowenig als umgekehrt denken läßt, so können auch Kunst und Wissen nie ganz rein voneinander geschieden werden. Je mehr sich diese feinen Lichtelemente an den Außengestalten der Welt verkörpern, um so getrennter wird ihr Reich; und nun noch einmal: wo Schaffen und Hervorbringen der Zweck ist, da ist das Gebiet der Kunst: die Wissenschaft herrscht, wo Erforschen und Wissen das Ziel ist. – [119] Nach allem dem ergibt sich von selbst, daß es passender sei, Kriegskunst als Kriegswissenschaft zu sagen.
Soviel hiervon, weil man diese Begriffe nicht entbehren kann. Nun aber treten wir mit der Behauptung auf, daß der Krieg weder eine Kunst, noch eine Wissenschaft sei in der eigentlichen Bedeutung, und daß gerade dieser Anfangspunkt der Vorstellungen, von welchem man ausgegangen ist, in eine falsche Richtung geführt, eine unwillkürliche Gleichstellung des Krieges mit anderen Künsten oder Wissenschaften und eine Menge unrichtiger Analogien veranlaßt hat.
Man hat dies schon früher gefühlt und deswegen behauptet, der Krieg sei ein Handwerk; damit war aber mehr verloren als gewonnen, denn ein Handwerk ist nur eine niedrigre Kunst und unterliegt als solche auch bestimmteren und engeren Gesetzen. In der Tat hat die Kriegskunst eine Zeitlang sich im Geiste des Handwerks bewegt, nämlich zur Zeit der Kondottieri. Aber diese Richtung hatte sie nicht nach inneren, sondern aus äußeren Gründen, und wie wenig sie in dieser Zeit naturgemäß und befriedigend war, zeigt die Kriegsgeschichte.
Der Krieg ist ein Akt des menschlichen Verkehrs
Wir sagen also: der Krieg gehört nicht in das Gebiet der Künste und Wissenschaften, sondern in das Gebiet des gesellschaftlichen Lebens. Er ist ein Konflikt großer Interessen, der sich blutig löst, und nur darin ist er von den andern verschieden. Besser als mit irgendeiner Kunst ließe er sich mit dem Handel vergleichen, der auch ein Konflikt menschlicher Interessen und Tätigkeiten ist, und viel näher steht ihm die Politik, die ihrerseits wieder als eine Art von Handel in größerem Maßstabe angesehen werden kann. Außerdem ist sie der Schoß, in welchem sich der Krieg entwickelt; in ihr liegen die Lineamente desselben schon verborgen angedeutet, wie die Eigenschaften der lebenden Geschöpfe in ihren Keimen.
Unterschied
Das Wesentliche des Unterschiedes besteht darin, daß der Krieg keine Tätigkeit des Willens ist, die sich gegen einen toten Stoff äußert wie die mechanischen Künste, oder gegen einen lebendigen, aber doch leidenden, sich hingebenden Gegenstand, wie der menschliche Geist und das menschliche Gefühl bei den idealen Künsten: sondern gegen einen lebendigen, reagierenden. Wie wenig auf eine solche Tätigkeit der Gedankenschematismus der Künste und Wissenschaften paßt, springt in die Augen, und man begreift zugleich, wie das beständige Suchen und Streben nach Gesetzen, denen ähnlich, [120] welche aus der toten Körperwelt entwickelt werden können, zu beständigen Irrtümern hat führen müssen. Und doch sind es gerade die mechanischen Künste, denen man die Kriegskunst hat nachbilden wollen. Bei den idealen verbot sich die Nachbildung von selbst, weil diese selbst der Gesetze und Regeln noch zu sehr entbehren, und die bisher versuchten, immer wieder als unzulänglich und einseitig erkannt, von dem Strom der Meinungen, Gefühle und Sitten unaufhörlich untergraben und weggespült worden sind.
Ob ein solcher Konflikt des Lebendigen, wie er sich im Kriege bildet und löst, allgemeinen Gesetzen unterworfen bleibt, und ob diese eine nützliche Richtschnur des Handelns abgeben können, soll zum Teil in diesem Buche untersucht werden; aber so viel ist an sich klar, daß dieser, wie jeder Gegenstand, der unser Begreifungsvermögen nicht übersteigt, durch einen untersuchenden Geist aufgehellt und in seinem inneren Zusammenhange mehr oder weniger deutlich gemacht werden kann, und das allein reicht schon hin, den Begriff der Theorie zu verwirklichen.
Viertes Kapitel: Methodismus
Um uns über den Begriff der Methode und des Methodismus, welche im Kriege eine so große Rolle spielen, deutlich zu erklären, müssen wir uns erlauben, einen flüchtigen Blick auf die logische Hierarchie zu werfen, durch welche wie durch konstituierte Behörden die Welt des Handelns beherrscht wird.
Gesetz, der allgemeinste, für Erkennen und Handeln gleich richtige Begriff, hat in seiner Wortbedeutung offenbar etwas Subjektives und Willkürliches und drückt doch gerade dasjenige aus, wovon wir und die Dinge außer uns abhängig sind. Gesetz, als ein Gegenstand der Erkenntnis ist das Verhältnis der Dinge und ihrer Wirkungen zueinander; als Gegenstand des Willens ist es eine Bestimmung des Handelns und dann gleichbedeutend mit Gebot und Verbot.
Grundsatz ist gleichfalls ein solches Gesetz für das Handeln, aber nicht in seiner formellen, definitiven Bedeutung, sondern es ist nur der Geist und der Sinn des Gesetzes, um da, wo die Mannigfaltigkeit der wirklichen Welt sich nicht unter die definitive Form eines Gesetzes fassen läßt, dem Urteil mehr Freiheit in der Anwendung zu lassen. Da das Urteil der Fälle, wo der Grundsatz nicht anzuwenden ist, bei sich selbst motivieren muß, so wird er dadurch ein eigentlicher Anhalt oder Leitstern für den Handelnden.
[121] Der Grundsatz ist objektiv, wenn er das Ergebnis objektiver Wahrheit und folglich für alle Menschen gleich gültig ist; er ist subjektiv und wird dann gewöhnlich Maxime genannt, wenn sich subjektive Beziehungen in ihm finden, und er also nur für den, welcher ihn sich macht, einen gewissen Wert hat.
Regel wird häufig in dem Sinn von Gesetz genommen und ist dann mit Grundsatz gleichbedeutend, denn man sagt: keine Regel ohne Ausnahme; man sagt aber nicht: kein Gesetz ohne Ausnahme; ein Zeichen, daß man sich bei der Regel eine freiere Anwendung vorbehält.
In einer anderen Bedeutung wird Regel für Mittel gebraucht: eine tiefer liegende Wahrheit an einem einzelnen, näher liegenden Merkmal zu erkennen, um an dieses einzelne Merkmal das auf die ganze Wahrheit gehende Gesetz des Handelns zu knüpfen. Von der Art sind alle Spielregeln, alle abgekürzten Verfahrungsarten in der Mathematik usw.
Vorschriften und Anweisungen sind eine solche Bestimmung des Handelns, durch welche eine Menge kleiner, den Weg näher bezeichnender Umstände mit berührt werden, die für allgemeine Gesetze zu zahlreich und unbedeutend sein würden.
Endlich ist Methode, Verfahrungsart, ein unter mehreren möglichen ausgewähltes, immer wiederkehrendes Verfahren, und Methodismus ist es, wenn statt allgemeiner Grundsätze oder individueller Vorschriften das Handeln durch Methoden bestimmt wird. Hierbei müssen notwendigerweise die unter eine solche Methode gestellten Fälle in ihren wesentlichen Stücken als gleich vorausgesetzt werden; da sie dies nicht alle sein können, so kommt es darauf an, daß es wenigstens so viele als möglich sind, mit anderen Worten: daß die Methode auf die wahrscheinlichsten Fälle berechnet ist. Der Methodismus ist also nicht auf bestimmte einzelne Prämissen, sondern auf die Durchschnittswahrscheinlichkeit der sich einander übertragenden Fälle gegründet und läuft darauf hinaus, eine Durchschnittswahrheit aufzustellen, deren beständige gleichförmige Anwendung bald etwas von der Natur einer mechanischen Fertigkeit bekommt, die zuletzt das Rechte fast ohne Bewußtsein tut.
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